Saison 1999/2000: Konzert 4

Sonntag, 19. Dezember 1999 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Melting Pot Music

Englische Barockmusik des 17. und 18. Jahrhunderts ornamente 99 Sendung im Deutschlandfunk am 11.1.2000

ornamente 99 ist ein junges Ensemble der Alten Musik um die Blockflötisten Karsten Erik Ose und Dorothee Oberlinger. Sie präsentieren Stücke von bekannten und unbekannten Komponisten, die in London um 1700 für Hof und Theater geschrieben haben: abwechslungsreiche Musik, die seit dreihundert Jahren nicht mehr erklungen ist.

Programmfolge

Gottfried Keller (gest. 1704)
Sonata in G für zwei Blockflöten in f´, zwei Violinen und Basso continuo
Vivace Allegro Adagio Allegro-Adagio

Gottfried Finger (um 1660-1730)
A Division on a Ground by Mr. Finger für Blockflöte in f´ und Basso continuo aus "The Division Flute" (Part I, London 1706)

Thomas Baltzer (um 1630-1663)
Senr. Balshar´s Division on a Ground John come kiß etc. für Violine und Basso continuo aus "The Division Violin" (Part I, London 1684)

Henry Purcell (1659-1695)
aus der Suite Nr. 2 in g für Cembalo
Prelude (Almand) Corant Saraband

A Sonata in four Parts in e für zwei Blockflöten in f´´, obligaten Bass und Basso continuo
Adagio Canzona (Allegro) Largo-Allegro

Gottfried Finger
Sonata in C op. 5/10 für Blockflöte in c´´, obligaten Bass und Basso continuo
Allegro-Adagio Largo-Presto-Adagio Largo-Allegro Vivace Allegro

Gottfried Keller
Sonata in C für zwei Blockflöte in f´´, zwei Violinen und Basso continuo
Vivace, Vivace, Allegro

Pause

William Babell (um 1690-1723)
Concerto in G op. 3/4 für Blockflöte in c´´, Violino concertato, Violino ripieno und Basso continuo
Allegro, Adagio, Allegro

Francesco Geminiani (1687-1762)
Sonata in a op. 5/6 für Violoncello und Basso continuo
Adagio-Allegro assai, Grave, Allegro-Non tanto-Allegro (da capo)

Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Concerto in B für Blockflöte in f´´, zwei Violinen und Basso continuo
Allegro, Adagio, Allegro

Sonata in g für Blockflöte in f´ und Basso continuo
Larghetto, Andante, Adagio, Presto

Robert Woodcock (Ende 17. Jh.-um 1734)
Concerto Nr. 4 in a für zwei Blockflöten in c´´, Violino concertato, Violino ripieno und Basso continuo
Presto, Largo, Gavotta

Die Insel, ein musikalischer Schmelztiegel

Was ist englisch an der englischen Barockmusik? Im 17. und 18. Jahrhundert treffen in London Musiker und Komponisten aus Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich aufeinander und vermischen die eigene Kultur mit dem, was sie auf der Insel vorfinden - wie in einem "melting pot", einem Schmelztiegel. Da purzelt dann vieles bunt durcheinander: archaischer Kontrapunkt und harmonisches Raffinement des strengen Satzes, höfische Eleganz französischer Tanzsätze, überschwängliche Spielfreude, ausgelassene Virtuosität "alla maniera italiana". Spätestens mit der Ankunft eines gewissen "Mr. Handel", der nur gebrochen Englisch spricht, aber musikalisch für England tonangebend wird, feiert der schillernde "gusto italiano" seinen Siegeszug über jene englische "melancholy", der das gesamte Inselreich in Literatur und Musik für lange Zeit verfallen war. Bis dahin ist es freilich ein langer Weg, und das heutige Konzert versucht diese Entwicklung der englischen Barockmusik von ihren Wurzeln bis zur totalen Überfremdung durch ausländische Importkunst nachzuzeichnen - in Streiflichtern, versteht sich: Die Blockflöte im Zentrum des Geschehens schränkt das Repertoire natürlich ein - Oper, "masque", "consort-musick" oder Lautenlied hat ornamente 99 in kleiner Besetzung nicht zu bieten. Und dennoch ist das Programm repräsentativ; denn die Blockflöte, das erklärte Lieblingsinstrument des musizierenden Gentleman, greift in jener Zeit nahezu alle musikalischen Erscheinungen auf: von einfachsten Formen der Hausmusik (Stücke zum Abrichten von Singvögeln!) bis hin zu Arrangements der beliebtesten Opernhits für Blockflöte solo. Gerade der (vermeintliche) Mangel an Originalität, der die Blockflöte heutzutage noch immer in Verruf bringt, macht sie im 18. Jahrhundert zum idealen Sprachrohr verschiedenster Idiome. Sie ist das Instrument des Orchestermusikers, des reisenden Virtuosen, des selbstverliebten Aristokraten und des aufstrebenden Bürgertums, das "immerhin" blockflötend am musikalischen Geschehen teilnimmt.

[...]

Wir bemühen uns um etwas, was die Historische Aufführungspraxis Alter Musik von Anfang an auf ihre Flaggen geschrieben hat, wenngleich sie im zunehmend etablierten Konzertbetrieb inzwischen davon abzurücken droht: um Originalität. Die klanglichen Ergebnisse sind nicht allein original - sondern überraschend originell! Und ist es mit dem Ohrenschmaus nicht ebenso wie mit den Gaumenfreuden? Die menschlichen Sinne sind so bestechlich, gewöhnen sich so schnell an das, was sie gestern noch befremdet hat. Schwan an Zimt, Bärentatzen in Ingwer - die Delikatessen der barocken Tafel sind gewöhnungsbedürftig. Nur wer davon kostet, wird wissen, was er goutiert und was nicht. Und vielleicht am Ende ja Lust auf mehr verspüren: auf exotische Gewürze, sprich fremde Töne, Trillerketten, rauschende Arpeggien, die erst das Salz in der musikalischen Suppe ausmachen.
"Bon appetit" wünscht ornamente 99.

Karsten Erik Ose

Mitwirkende

ornamente 99
Karsten Erik Ose
Dorothee Oberlinger
Anton Steck
Alexander Puliaev
Olaf Reimers