Saison 2001/2002: Konzert 5

Sonntag, 24. Februar 2002 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Pimpinone oder
Die ungleiche Heyrath oder
Das herrsch-süchtige Cammer-Mägden

Intermezzo giocoso Musik von Georg Philipp Telemann und Fortunato Chelleri Heidrun Kordes, Sopran Michael Schopper, Bass La Stagione Frankfurt Sendung im Deutschlandfunk am 5.3.2002

Bis Pimpinone entscheidet: "Ich bleibe stumm!", tobt eine wahrhafte Zimmerschlacht zwischen ihm und seiner Angebeteten. Die Geschichte - älterer Herr heiratet junge Schöne - bildet einen Allgemeinplatz im Opernspielplan. Telemanns Intermezzo "Pimpinone" unterscheidet sich allerdings insofern davon, dass es erstens schon zu spät ist, als Pimpinone die Einsicht dämmert, nicht er habe Vespetta, sondern sie ihn geheiratet, und zweitens die Geschichte nicht in eitel Sonnenschein endet, weshalb schon die Zeitgenossen den originalen Titel der drei 1725 uraufgeführten Intermezzi: "Die ungleiche Heyrath zwischen Vespetta und Pimpinone" durch den bei weitem aussagekräftigeren Untertitel: "Das herrsch-süchtige Cammer-Mädgen" ersetzten. Es erklingt der von Telemann virtuos grotesk und komisch nachgezeichnete Flirt ungleicher Freier als eine Art musikalisierter Rosenkrieg - allerdings schon vor der Ehe! Und nur wer Angst vor Vespetta (oder Virginia Woolf?) hat, läßt sich diese tragik-komische Geschichte entgehen.

Programmfolge

Fortunato Chelleri (ca. 1690-1757)

Sinfonia B-Dur für Streicher und Basso continuo
Allegro
Andante
Allegro

Georg Philipp Telemann (1681-1767)

Pimpinone, 1. Akt
Vespetta, eine schlaue, gerade stellungslose Kammermagd, ergreift die zufällige Gelegenheit, beim reichen, einfältigen Junggesellen Pimpinone Anstellung zu finden. Dass er von ihr angetan ist, eröffnet ihr weitreichende Perspektiven.

Chaconne comique
aus der Oper "Der neumodische Liebhaber Damon"

Pimpinone, 2. Akt
Vespetta droht Pimpinones Dienste zu verlassen und erreicht dadurch, dass er ihr die Ehe anträgt. Am Ziel ihrer Pläne, willigt sie ein.

Pause

Pimpinone, 3. Akt
Ehegattin Vespetta entpuppt sich als wahrhaftige Hausherrin. Pimpinones halbherziges Aufbegehren dagegen scheitert kläglich.

Emanzipatorisches Zwischenspiel

Schwerlich machen wir uns heute eine Vorstellung davon, wie es in einem bürgerlichen Opernhaus des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zuging: Im unbestuhlten Parterre stand man, immer in Gefahr, aus den Logen mit Abfällen jeder Art beworfen zu werden; Kerzen spendeten mildes Licht, im Sommer aber auch jede Menge unerwünschter Wärme, der man mit Erfrischungen jeder Art Herr zu werden versuchte, im Winter hingegen jene wohlige Wärme, die man zuhause vergebens suchte. Nun empfing man Freunde in den Logen (sehr enge Freunde bisweilen), unterhielt sich mit den Nachbarn oder dem Gegenüber und schenkte der Musik, wenn nicht gerade Spitzenstars in Aktion waren, herzlich wenig Aufmerksamkeit. Welches ernsthafte Interesse konnten überhaupt auch die Götter und Halbgötter zwischen Parkett und Parnass und der immer wiederkehrende Zwiespalt zwischen "gloire et amour" - zwischen Ruhm und Ehre - und dem Ruf der Sinne beanspruchen? Erst wenn Klamauk und Allotria hinzukamen, wenn Pyramus und Thisbe auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurden und sich in Pimpinon und Vespetta verwandelten, wurde es interessant, dann hieß es "hinhören" - wurden jetzt doch die Alltags-Geschichten drastisch-satyrisch dargestellt: Wenn schon kein Mitleid mit Dido, dann doch umso mehr Schadenfreude!

Oper - zumal italienische - war im Barock veritable U-Musik: Nur so lässt sich die heute beinahe unüberschaubare Menge der Produktion erklären; es waren "fiori musicali", die zur venezianischen und neapolitanischen Karnevalssaison im Frühjahr erblühten, im frischen insulären Klima Englands sommers erneut gegeben wurden, im Jahr drauf dann in Hamburg aber allenfalls noch den Reiz einer Strohblume hatten. Je weniger Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit die "opera seria" zu vermitteln mochte, umso mehr Bedeutung wuchs den eingeschobenen "komischen" Verismo-Szenen dieser Werke zu. Folgerichtig entwickelte sich so aus der "komischen" Szene der Barockoper das "komische Intermezzo" und daraus die eigenständige "opera buffa".

Was ein "lntermezzo" ist? Kurz gesagt: ein Zwischen-Spiel. - Zwischen was? Barocke Theater verfügten nicht über ein Foyer, jenen Ort, wo man heute sieht und gesehen wird, am Schampus nippt. Man öffnete die Tür des Opernhauses und erreichte bestenfalls nach einigen Treppenstufen die Tür zum Parkett und nach einigen weiteren die Logen-Eingänge. In den zur Erholung der Sänger notwendigen Pausen konnte man also das Publikum nicht hinaus in den knöcheltiefen Morast schicken - Unholde machten zudem die unbeleuchteten Straßen unsicher. Man blieb am Platz und wurde mittels eines Violinkonzerts - und selbst ein Veracini oder Vivaldi scheute diesen Auftritt nicht - oder besser noch: eines Intermezzo über die Pause zwischen den Akten getröstet. Unvorstellbar eigentlich, aber doch bezeichnend, dass das kaum ohne Kompass zu entwirrende Durcheinander von Göttern und Geliebten der Haupt-Oper, das kaum verständliche Aktionsgeflecht nun noch durch eine zusätzliche Aktion auf völlig anderer Ebene zerfleddert wurde.

Und hier, in der Pause, dem Intermezzo, geschah eben jenes kleine Wunder, dass das Publikum seinem berechtigten (?) Wunsch nach adäquater Unterhaltung, nach Glaubhaftigkeit, Gehör verschaffte. Nein, es war nicht Telemanns "Pimpinone", der am 1. November 1725 als Intermezzo für Händels deutsche Erstaufführung des "Julius Caesar" eine Musikwelt zum Einsturz brachte, sondern Giovanni Battista Pergolesis ähnlich geartete "Serva padrona" - eigentlich ein ältliches Mädchen, das bereits zwischen 1733 und 1735 entstanden war, und am 1. August 1752 in Paris das Publikum in zwei handgreiflich aufeinander einschlagende Parteien spaltete: in die Liebhaber der italienischen Musik und die "vrais partisans de la musique ancienne".

Gibt es Wilderes als die "tempêtes" französischer Opern, Ergreifenderes als die "lamenti" der deutschen Oper um 1700, Virtuoseres als eine heftigst für Ruhe sorgende italienische Opernsinfonia? Nein, musikalisch-kompositorische Gründe für den Triumph des "komischen" Genres gibt es nicht; weder Telemanns "Pimpinone" noch Pergolesis "Serva padrona" sind nach heutigem Dafürhalten Gipfelpunkte europäischer Musikkultur. Das zeitgenössische Publikum, geödet von den in unerreichbaren Höhen angesiedelten Heroen, Halb- und Ganz-Göttern, war aber zu Recht hingerissen vom "verismo" einer barocken Else Stratmann und ihrer halb-adeligen Zeit- und Leidensgenossin Dame Edna, von Menschen, die nicht nur marionettenhaft der Prädestination des Schicksals gehorchten, sondern das "carpe diem" ernst nahmen und handelten. In mehr als nur gewisser Weise war das Intermezzo Vorbote einer neuen Zeit, die den barocken Grundgedanken, die ganze Welt sei nur eine Bühne, auf der die bereits vorbestimmte Rolle zu spielen sei, ad absurdum führte.

Der Grundkonflikt fast aller Intermezzi und auch vieler "opere buffe" ist jener alltägliche, den bereits die Bibel ankündigt: "Ich werde Feindschaft säen zwischen dir und deinem Weibe" (1 Mose 3,15). Wovon ja auch Telemann später selbst ein mehrstrophiges Lied singen konnte. Weibliche Schwatzhaftigkeit, raffiniertes Intrigen-Spiel, Putz-, Genuss- und Herrschsucht, männlicher Eroberungswahn, Herrschafts- und Versorgungsanspruch, törichte Gutgläubigkeit sowie Großmäuligkeit sind die Ingredienzien, die in immer neuen Mischungsverhältnissen immer neuen Zündstoff für brisante Libretti ergaben; solange, bis es nicht mehr nur "komisch" war, sondern der gesellschaftskritische Unterton so unüberhörbar laut wurde, dass Kirche und Staat eingriffen.

Die zeitgenössischen Aufführungsbedingungen der Intermezzi sind augenblicklich noch ungeklärt. Naheliegend ist die Vermutung, dass sie zumindest in der Frühzeit von einem auf der Bühne stehenden, einfach besetzten Streicherensemble begleitet wurden und auch eine von der Haupt-Oper abweichende Sängerbesetzung aufwiesen. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die sterbende Dido mal eben in ein Kammermädchen verwandelte, auch nicht, dass die für Image-Pflege berüchtigten italienischen Sängerinnen und Kastraten sich mir-nichts-dir-nichts in einer Klamotte einsetzen ließen.

Dies zumindest kam dem Komponisten zugute, konnte er doch somit ganz ohne Rücksichtnahme auf persönliche Eitelkeiten der "Stars" den Vorgaben des Librettos folgen - was bei der Opera seria überhaupt nicht der Fall war. In der Tat zeichnen sich Intermezzi und Opera comique im Allgemeinen durch kompositorische Geschlossenheit und stilistische Einheit aus.

Was allerdings das "Komische" ausmacht, das Telemann nicht nur in "Pimpinone" hervorragend trifft, ist schwer zu ergründen. Sicher hat das mit seiner persönlichen "Schreibart" zu tun, rhythmische Konstrukte der Oberstimmen in Lauf, Umdeutung und plötzlichen Stau vor Kadenzen zu organisieren, sicher auch mit seiner Vorliebe für ohnehin "schertzhaft" wirkende kurz-lang-Rhythmen des Jambus (von dem Mattheson schrieb, er habe "seinen Nahmen von stachelichten, anzüglichen Gedichten") und des Anapästus ("hat seinen Nahmen von gewissen spöttischen und satirischen Gedichten"), für verunsichernde Synkopationen und das Wort kommentierende Einwürfe.

"Pimpinone" war - wie auch viele andere Kompositionen des großen Telemann - keine Eintagsfliege, sondern ein Erfolgsstück, das nicht nur gedruckt wurde, sondern 1727 mit "Die Amours der Vespetta oder Der Galan in der Kiste" eine pikante Fortsetzung erfuhr. Die Vertonung eines noch pikanteren dritten Teils hingegen ersparte sich Telemann: die Publikation "II Pregio del Ignoranzia oder Die Baßgeige" von J. P. Praetorius bot dem interessierten Leser Einblicke in das turbulente Eheleben des Komponisten mit "Thyrsine", der im "Friedens- und Liebes-Tractat ... geschlossen zu Franckfurt am Mayn den 28. Augusti 1714" so genannten Kornschreibers-Tochter Maria Catharina Textor, die ihm immerhin neun Kinder gebar und irgendwann gegen Ende der 1720er mit einem schwedischen General das Weite suchte. Fürderhin unbeweibt konnte sich Telemann drei fruchtbare Jahrzehnte lang dem Komponieren hingeben...

Reinhard Goebel
(Textwiedergabe mit freundlicher Erlaubnis von BMG Ariola Classics / deutsche harmonia mundi)

Die Komponisten

Georg Philipp Telemann wird am 14. März 1681 in Magdeburg geboren. Früh zeigt sich beim ihm ein außergewöhnliches musikalisches Talent, nach Erfahrungen auf verschiedenen Instrumenten wagt er sich bald ans Komponieren und legt mit nicht einmal zwölf Jahren die Vertonung eines Hamburger Opernlibrettos vor. Nach Schülerjahren in Zellerfeld (Harz) und Hildesheim beginnt er 1701 ein Jurastudium in Leipzig. Seiner Gründung eines studentischen Collegium musicum 1702 folgt noch im gleichen Jahr die Berufung zum Leiter der Leipziger Oper, 1704 die zum Organisten und Musikdirektor der Neuen Kirche. Kurz darauf wird Telemann als Kapellmeister an den Hof des Grafen Erdmann von Promnitz in Sorau (Niederlausitz) berufen, 1708 an den Eisenacher Hof, wo er zunächst als Konzertmeister, dann als Kapellmeister mit der Verpflichtung auch zu kirchenmusikalischen Kompositionen in Dienst genommen wird. Hier heiratet er 1709 Amalie Louise Juliana Eberlin, die aber schon im Januar 1711 bei der Geburt der ersten Tochter stirbt.

Das Jahr 1712 markiert Telemanns endgültigen Wechsel in das großstädtische bürgerliche Musikleben. Er wird als Kapellmeister und städtischer Musikdirektor an die Barfüßerkirche in Frankfurt am Main berufen. Das lukrative Angebot, den vakanten Kapellmeisterposten in Gotha zu übernehmen, schlägt Telemann 1717 aus, nicht zuletzt, wie er selbst in einer Autobiographie angibt, weil seine zweite Ehefrau Maria Catharina (geborene Textor), mit der er seit 1714 verheiratet ist, sich gegen den Wechsel sträubt.

1721 wird Telemann zum städtischen Musikdirektor der Hamburger Hauptkirchen und Kantor am Johanneum ernannt; bald wird er auch mit der Organisation der Hamburger Oper betraut. Bedenken des städtischen Rates gegen die umfangreiche Betätigung des Kantors außerhalb des kirchlichen Amtes beantwortet Telemann 1722 mit der - erfolgreichen - Kandidatur um das Leipziger Thomaskantorat. Das Einlenken der Hamburger Vorgesetzten hat zur Folge, dass Telemann bei verbesserten Konditionen in der Hansestadt bleibt -- und dass letztlich Johann Sebastian Bach 1723 das Leipziger Amt übernimmt. Das Hamburger Publikum kann auf der "Schau-Bühne" am Gänsemarkt alsbald Aufführungen von Telemanns Oper "Der neumodische Liebhaber Damon" (1724) und seinem Intermezzo "Pimpinone" (1725) erleben.

Im Herbst 1737 beginnt Telemann eine achtmonatige Reise nach Frankreich, die in Paris mit erfolgreichen Aufführungen seiner Werke am Hof und in den Concerts spirituels gekrönt wird. 1755 wendet sich der 74-jährige Telemann noch einmal der Oratorien-Komposition zu und bedient sich dazu der Poesie der führenden jungen Dichtergeneration. Daneben entstehen Instrumentalwerke in einer neuen, "empfindsameren" Musiksprache, orientiert nicht zuletzt an den Idealen jüngerer Komponisten, als deren berühmtester norddeutscher Vertreter bald Telemanns Patenkind Carl Philipp Emanuel Bach gelten wird. Der Bach-Sohn tritt auch im März 1768 die Amtsnachfolge seines Paten in Hamburg an, nachdem Telemann am 25. Juni 1767 im hohen Alter von 86 Jahren gestorben ist.

Fortunato Chelleri, Sohn eines aus Deutschland emigrierten Musikliebhabers und einer Italienerin aus der Musikerfamilie Bazzani (Bassani), wird wahrscheinlich 1690 in Parma geboren. Zunächst Chorknabe in seiner Heimatstadt, kommt er nach dem frühen Tod der Eltern unter die Obhut seines Onkels Francesco Maria Bazzani in Piacenza, der ihn zum Musiker und Komponisten ausbildet. Seit 1708 komponiert Chelleri Opernmusik für verschiedene oberitalienische Bühnen. Nach Stationen in Barcelona, Florenz und Venedig im Operndienst verschiedener Adeliger wird er 1722 Hofkapellmeister des Würzburger Fürstbischofs Johann Philipp Franz von Schönborn, nach dessen Tod 1725 Hofkapellmeister des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel. Dessen Sohn und Nachfolger Friedrich residiert als schwedischer König in Stockholm; an seinem Hof hält sich Chelleri zwischen 1732 und 1734 auf, kehrt dann aber, mit den Titeln und Einkünften eines Hofrates ausgestattet, nach Deutschland zurück und wirkt bis zu seinem Tod am 11. Dezember 1757 als Leiter der Privatkapelle von Friedrichs Bruder Wilhelm in Kassel. Den Anfordernissen seiner Dienstherren nördlich der Alpen entsprechend, hat Chelleri seit 1722 wohl nur noch Kirchenmusik (darunter aber auch Oratorien in italienischer Sprache) sowie Instrumentalwerke komponiert. Von diesen erschienen neben Kompositionen für Tasteninstrumente auch sechs Streichersinfonien in einem eigenständigen Druck.

behe

Mitwirkende

Heidrun Kordes - Sopran
Michael Schopper - Bass
La Stagione Frankfurt
Konzertmeisterin Veronika Schepping

La Stagione Frankfurt spielt heute in folgender Besetzung:
Veronika Schepping, Anette Sichelschmidt, Volker Mühlberg, Mechthild Werner - Violine 1
Hans Peter Steffen, Hajo Bäß, Katrin Ebert - Violine 2
Andreas Gerhardus, Werner Saller - Viola
Julie Borsodi, Annette Schneider - Violoncello
Christian Zincke - Violone
Christian Rieger - Cembalo