Saison 2001/2002 Konzert 7

Sonntag, 21. April 2002 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Musica Hispanica

Werke von Francesco de la Torre, Antonio de Cabezòn, Diego Ortiz und anderen Flautando Köln Torsten Müller, Percussion Sendung im Deutschlandfunk am 7.5.2002

Sanfte Klänge aus einer fremden Welt verspricht das Programm des Ensembles Flautando Köln. Die vier Damen des Ensembles und der Percussionist Torsten Müller wenden sich der Musik der iberischen Halbinsel zu, die hierzulande derart unbekannt ist wie die kaum eines anderen europäischen Landes. Zu Unrecht, denn dass die spanische Renaissance-Musik zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert eine eigene, äußerst reizvolle Klang- und Formenwelt besitzt, vermittelt die Programmzusammenstellung ebenso wie die Wahl der Instrumente, die aus der reichen Welt der (Block-)flöten-Familie(n) stammen.

Programmfolge

Villancicos:
"Ora sus!" - Pedro Escobar (ca. 1465-nach 1535)
"Pase el agua, ma Julietta" - anonym
"De vosotros é mansilla" - Juan de Espinosa (1479-nach 1527)
"L'amor, dona,ch'io te porto" - anonym

O gloriosa Dei genitrix - Nicolas Gombert (ca. 1495-ca. 1560)

Ave maris stella:
Hymnus "Ave maris stella" - Guillaume Dufay (um 1400-1474)
Intermedios para las estrofas del Himno "Ave maris stella" - Antonio de Cabezón (1510-1566)

Diferencias:
Diferencia sobre la Pavana Italiana - Antonio de Cabezón
Diferencia sobre la Galliarda Milanesa - Antonio de Cabezón

Soneto a la muerte de la Serenisima Princesa Doña Maria - Alonso Mudarra (ca. 1510-1580)

Villancicos:
"Deh fosse la qui mecho" - anonym
"Como está solo mi vida" - Juan Ponce (ca. 1480-nach 1521)
"El cervel mi fa nocte i die" - anonym

Pause

La Spagna:
Alta - Francisco de la Torre (15./16 Jahrhundert)
La Spagna in re - anonym, ca. 1480

Himnos:
In festivitatibus beatissimae Virginis - Pedro Escobar
In Epiphania Domini - Pedro Escobar
In Natala Apostolorum - Pedro Escobar

Motetes:
"O lux et decus Hispaniae" - Tomás Luis de Victoria (1548-1611)
"Pueri Hebraeorum" - Tomás Luis de Victoria

Ung gay bergier:
Chanson à 4 - Thomas Crequillon (ca.1505-1557)
Intavolatura - Antonio de Cabezón

Recercadas:
Recercada primera - Diego Ortiz (ca. 1510-1570)
Recercada quinta - Diego Ortiz
Recercada segunda - Diego Ortiz

Stille Harmonien, prägnante Rhythmen

"Blockflöten ... haben durch alle Stimmen in jedem Corpore sieben Löcher vornen, und eins hinten. ... Und geben die größten Blockflöten nicht mehr als ordinariè 13 Ton; in den kleinen aber kann man, darnach sie gut sein, 14 Ton haben; extraordinariè aber können etliche geübte Instrumentisten noch vier Ton, auch wohl den siebenden Ton höher, über vorgesetzte 13 oder 14 Ton ascendieren ... Um mehrer Nachrichtung willen, hab ich die achterlei Sorten der Blockpfeifen hierbei auch mit einsetzen wollen:
1. Klein-Flötlein, eine Quintadecima, das ist, zwo Oktaven höher als ein Cornett.
2. Diskant-Flöt, ein Quart niedrer.
3. Diskant-Flöt, ein Quint niedrer, als die erste Art.
4. Alt-Flöt, ein Oktav niedrer, als die erste Art.
5. Tenor-Flöt, ein Quint niedrer, als die vierte Art.
6. Bass-Flöt, noch ein Quint niedriger; welche unten ein Schloss oder Fontanelle haben.
7. Bass-Flöt, eine Quint niedriger, als die sechste Art.
8. Groß-Bass-Flöt, ein Oktav niedriger, von der sechsten Art oder Sorten.
Und ein solch ganz Stimmwerk kann aus Venedig um 80 Taler ohngefähr heraus gebracht werden."

Den Preis für einen Satz Blockflöten aus Venedig konnte Michael Praetorius, der Wolfenbütteler Hofkapellmeister, 1619 wohl aus eigener Erfahrung angeben, als er im zweiten Band seiner Enzyklopädie "Syntagma musicum" die seinerzeit bekannten Musikinstrumente aller Art auflistete, erklärte und auf 42 Kupferplatten abbildete. Blockflöten waren damals europaweit geschätzt und allerorten eingesetzt - gerne im Ensemble mit Singstimmen oder anderen Instrumenten, ebenso aber im reinen Flötenchor zu vier oder mehr Stimmen. Praetorius dazu im 3. Band seines Syntagma: "Wenn man aber sonsten die Flöten gar alleine, ohn Zutun anderer Instrumenten, in einer Canzon, Motet, oder auch in eim Concert per Choros gebrauchen will: So kann man das ganze Accort und Stimmwerk der Flöten, sonderlich die fünf Sorten von den größsten an zu rechnen (weil die kleinen gar zu stark und laut schreien), gar wohl und füglich gebrauchen; und gibt eine sehr anmütige stille, liebliche Harmoniam von sich, sonderlich in Stuben und Gemächern."

Praetorius schrieb noch zu einer Zeit, die für ihre Musik kaum definitive Instrumentenangaben kannte, allenfalls Besetzungsempfehlungen aussprach. Eine weltliche französische Chanson, eine geistliche lateinische Motette, ein virtuoses instrumentales Ricercar -- sie alle ließen sich in der Kammer eines vornehmen Kunstfreundes auch im anmutigen Klanggewand eines Blockflötenconsorts musizieren. Mitunter mochte sich eine Gesangsstimme hinzugesellen, um eine Partie in den Vokalkompositionen zu übernehmen.

Willkommen als reizvoller Kontrast zu den bisweilen der aristokratischen Melancholie zuträglichen "lieblichen Harmonien" waren aber auch die leichter zu fassenden Melodieformeln und Rhythmen modischer Tänze und Tanzlieder, die sich zunehmend vom Ruch einer "bäuerischen" und "wilden" Herkunft befreit hatten und im 16. Jahrhundert längst hoffähig geworden waren. Das eröffnete auch den Schlaginstrumenten gewisse Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb der europäischen Musikkunst, wenngleich sie von der Musiktheorie der Zeit allenfalls als Randerscheinungen berücksichtigt wurden. Intellektueller Standesdünkel, gepaart mit Skepsis (wenn nicht Phobie) gegenüber Fremdem, Exotischem, bedingte wohl in erster Linie die Reserviertheit der herrschenden europäischen Musiklehre gegenüber "Cymbelchen, Glöcklein, ... Heer- oder Kesselpauken, Soldaten-Trummel" und "anderen muscowiterschen, türkischen, seltsamen fremden Instrumenta" (Praetorius). So blieben das Schlagwerk in der Regel ein improvisatorisches Element, das keine konkreten Spuren in der schriftlichen Überlieferung der Musik hinterließ. Und so sind auch heutige Aufführungen Alter Musik im Hinblick auf die Schlaginstrumente mindestens ebenso auf improvisatorisches Gespür wie auf Kenntnisse alter Tanz- und Rhythmusformen und außereuropäischer Traditionen angewiesen.

"Musica Hispanica", Musik aus Spaniens "goldenem Zeitalter", stellt Flautando Köln im heutigen Konzert in einer Consort-Ausführung mit Flötenchor, Singstimme und Schlaginstrumenten vor. Historische und politische Ereignisse hatten das geographisch peripher gelegene Land seit dem Ende des 15. Jahrhunderts zu einer dominierenden Größe im europäischen Machtgefüge werden lassen. Das blieb nicht ohne Wirkung auf das kulturelle Leben, das auf der iberischen Halbinsel seit Jahrhunderten vom islamischen Königreich Granada und der großen jüdischen Gemeinde der Sepharden mit beeinflusst worden war. Diese Prägung hat auch die 1492 mit aller Härte durchgeführte "Reconquista" des "katholischen Königpaars" Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon nicht gänzlich auslöschen können; besondere Charakteristika der spanischen Renaissancemusik - harmonische Klarheit und rhythmische Prägnanz, die im weltlichen Bereich begleitendes Schlagwerk zumindest nahelegen - wurzeln eben auch in maurischen und sephardischen Traditionen.

Mit den Villancicos fand eine volkstümliche Refrainlied-Form Eingang ins höfische Repertoire. Überliefert sind diese volkssprachlichen Kompositionen weltlichen oder auch geistlichen Inhalts in den umfangreichen handschriftlichen Sammelbänden der Höfe und Kathedralen. Die Villancicos des aus Portugal stammenden Hof- und Kathedralsängers Pedro Escobar, des an der Kathedrale von Toledo wirkenden Maestro Juan de Espinosa sowie des am Hofe Ferdinands tätigen Sängers Juan Ponce überliefert allesamt das Madrider "Cancionero musical de Palacio".

Escobars Hymnen - dreistimmige Harmonisierungen gregorianischer Choralmelodien besitzen als liturgische Musik zwar einen wesentlich ernsteren Charakter als die Villancicos, unterscheiden sich in ihrer homophonen, auf die Hauptkadenzen ausgerichteten Anlage aber auch deutlich vom Motettenrepertoire der franko-flämischen Meister, die damals im übrigen Europa den Ton angaben. Stärker wurde deren Einfluss auf die iberische Musik unter dem Habsburger-Kaiser Karl V., der zugleich als Carlos I. seit 1516 das spanische Königreich regierte. So stand in den 1520er Jahren Nicolas Gombert als Sänger in seinen Diensten. Seine Kompositionen wurden der nachfolgenden Generation zum Vorbild eines imitatorischen, gleichwohl harmonisch reichen Stils. Gomberts Marien-Motette "O gloriosa Dei genitrix" erschien 1539 in einem venezianischen Sammeldruck, dessen Titel "Musica quatuor vocum" die Besetzung der ursprünglich als Vokalmusik entstandenen Werke bewusst offen ließ.

In der Nachfolge Karls regierte sein Sohn Philipp II. von 1556 bis zu seinem Tod 1598 als spanischer König. Mehr als zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte in dieser Zeit der aus Avila stammende Tomás Luis de Victoria als Sänger und Komponist in Rom, zunächst als Stipendiat des auch von Philipp geförderten jesuitischen Collegium Germanicum, später in Diensten verschiedener Kirchen und Bruderschaften. Die Widmung seines zweiten Messenbuches 1583 an Philipp verhalf Victoria dann spätestens 1587 zur Rückkehr nach Spanien, wo er von nun an als Maestro am Nonnenkonvent der Descalzas Reales in Madrid wirkte. Dass Victorias Motette "O lux et decus Hispaniae", die ebenfalls 1583 in Druck erschien, mit seinem Rückkehr-Gesuch an Philipp in direktem Zusammenhang steht, legt bereits ihr Textanfang nahe.

Alonso Mudarra, von 1546 bis zu seinem Tod 1580 Kanonikus der Kathedrale von Sevilla, wurde der Nachwelt als Verfasser der "Tres libros de musica en cifras para vihuela" bekannt, einer Sammlung von mehr als 70 Kompositionen, in denen er besonders dasjenige Instrument berücksichtigte, auf dem er selbst es bis 1546 zu großer Meisterschaft gebracht hatte: die Vihuela, ein sowohl der Gitarre als auch der Laute verwandtes 6-chöriges Zupfinstrument. Das Soneto a la muerte de la Serenisima Princesa Doña Maria betrauert den Tod der Tochter Johanns III. von Portugal, die 1545, zwei Jahre nach ihrer Vermählung mit Philipp II., gestorben war. Es findet sich im dritten Buch Mudarras unter den Übertragungen für Gesangstimme und Vihuela.

Dem Habsburgischen Herrscherhaus blieb der blinde Organist Antonio de Cabezón von 1526 bis zu seinem Tod 1566 verbunden, zunächst in Diensten der Kaisergattin Isabella von Portugal, dann als Musiker Karls und Philipps. Durch Auftritte in dessen Gefolge europaweit als Tastenvirtuose berühmt, wurde Cabezón erst posthum auch als außergewöhnlicher Komponist zum Begriff: Sein Sohn Hernando veröffentlichte 1578 in Madrid die "Obras de música para tecla, arpa y vihuela", die eine Fülle von instrumentalen Kompositionsformen bieten. Gerne nahm Cabezón bekannte Vorlagen zum thematischen Ausgangspunkt seiner Werke. So stellen die Diferencias sobre la Pavana Italiana und sobre la Galliarda Milanese Variationenfolgen über italienische Tänze dar; die Intermedios para las estrofas del Himno "Ave Maris stella" greifen die gregorianische Melodie des bekannten Marienhymnus auf (der hier auch in einer Harmonisierung des im 15. Jahrhundert in Burgund und Italien wirkenden Guillaume Dufay zu hören ist). Cabezóns Intavolierung "Ung gay bergier" liefert eine virtuose Instrumentalfassung zu jener einst populären vierstimmigen Chanson, die Thomas Crequillon, der franko-flämische Lieblingsmusiker Karls V., wohl in den 1540er Jahren komponiert hatte.

In Neapel, das damals ebenso wie Sizilien und Sardinien zum spanischen Herrschaftsbereich gehörte, verfasste der aus Toledo stammende Kapellmeister Diego Ortiz 1553 seinen in Rom edierten "Trattado de glosas", eine instrumentale Verzierungslehre. Ihre Recercadas bieten praktische Beispiele für die virtuose Ausgestaltung vorgegebener Harmonie- und Melodiefolgen. In Ortiz' "Trattado" begegnet auch jene als Spagna bezeichnete Bass-Melodie, die den zwischen 1483 und 1504 in der Aragoneser Hofkapelle nachweisbaren Komponisten Francisco de la Torre dereinst zu seiner dreistimmigen Alta inspiriert hatte.

behe

Mitwirkende

Flautando Köln
Ursula Thelen - Blockflöte, Gesang
Katharina Hess, Susanne Hochscheid, Kerstin de Witt - Blockflöten
Torsten Müller - Schlagwerk

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