Saison 2001/2002: Konzert 8

Sonntag, 26. Mai 2002 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Eine Opern-Gala für Bläserensemble

Opernauszüge in Bearbeitungen für Bläserensemble Harmoniemusik der Neuen Düsseldorfer Hofmusik Sendung im Deutschlandfunk am 4.6.2002

"Es ertönte eine angenehme Musik von etwa 20 Spielenden, durchaus Blasinstrumente; man nannte sie 'Harmonie'. Man führte Symphonien, Opernstücke und klassische Stücke von grossen Meistern auf: Gluck, Händel, Mozart", erinnert sich Franz Gräffer an ein sonntägliches Frühstück im Wiener Augarten im Jahre 1800. Zwischen 1780 und 1820 bezeichnet 'Harmonie' die selbständig musizierende Holzbläser-Abteilung des Orchesters. Ihrem Wesen nach ist Harmoniemusik Freiluftmusik, ihre Struktur ist kammermusikalisch. Was heutzutage Tonträger übernommen haben, nämlich das Angebot des Wiederhörens, gehörte zu den vornehmlichen Aufgaben der Harmoniemusik. Ihre Funktion bestand hauptsächlich in der Verbreitung selten gehörter Werke (wie Opern und Sinfonien), die dadurch größte Popularität erlangten. Die Kunst des Arrangements bestand darin, die Partitur ohne qualitativen Verlust auf den Holzbläsersatz zu reduzieren.

Programmfolge

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
in der Bearbeitung von
Johann Nepomuk Wendt (1745-1801)

"Le nozze de Figaro"
Ouvertüre
Cavatina des Figaro "Se vuol ballare signor contino"
Arie des Figaro "Non piu andrai"
Canzona des Cherubino "Voi che sapete che cosa e amor"


Wolfgang Amadeus Mozart
in der Bearbeitung von
Franz Joseph Rosiniack (ca. 1750-1823)

"Die Entführung aus dem Serail"
Arie der Konstanze "Martern aller Arten"


Ludwig van Beethoven (1770-1827)
in der Bearbeitung von
Wenzel Sedlak (1776-1851)

Ouvertüre zu "Fidelio"


Carl Maria von Weber (1786-1826)
in der Bearbeitung von
Wenzel Sedlak
"Der Freischütz"
Introduktion und Chor der Landleute "Viktoria"
Terzett und Chor "Oh diese Sonne"
Arie des Max "Durch die Wälder"
Jägerchor "Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen"


Gioacchino Rossini (1792-1868)
in der Bearbeitung von
Guillaume Legrand (1769-1845)

Ouvertüre "L'Italiana in Algeri" und zu "Tancredi"

Oper in Divertimento-Form

"Nun habe ich keine geringe arbeit. - bis Sonntag acht tag muß meine Opera auf die harmonie gesetzt seyn - sonst kommt mir einer bevor - und hat anstatt meiner den Profit davon ... sie glauben nicht wie schwer es ist so was auf die harmonie zu setzen - dass es den blaßinstrumenten eigen ist, und doch dabey nichts von der Wirkung verloren geht."

Dies schrieb Wolfgang Amadeus Mozart am 20. Juli 1782 seinem Vater nach Salzburg, vier Tage, nachdem er sein Singspiel "Die Entführung aus dem Serail" in Wien zur Uraufführung gebracht hatte.

Der große Erfolg, den das Werk auf Anhieb errang, bescherte Mozart gleich die neue Terminarbeit, von der hier berichtet: Kaiser Joseph II. wollte der Musik zur "Entführung" nicht nur in der Loge seines Burgtheaters lauschen, sondern auch an der Tafel und im Salon. Also hatte er Mozart beauftragt, die Musik innerhalb weniger Tage für seine einige Monate zuvor gegründete "Kaiserliche Harmonie" umzuschreiben, für ein Bläseroktett mit je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten, dessen Mitglieder dem Hofopernorchester angehörten, aber für ihre "harmonischen" Aufwartungen in der Residenz extra entlohnt wurden. Und mit einem angemessenen Honorar rechnete in diesem Fall auch Arrangeur Mozart.

Der Kaiser, ansonsten eher für seine Sparsamkeit bekannt, folgte mit seinem Harmoniemusik- Ensemble einem Modetrend, der sich von Böhmen aus in die Wiener Fürstenresidenzen eingeführt hatte. Gleichzeitig verhalf er ihm zu einem höheren Interpretationsniveau - und einer explosionsartigen Ausweitung des Repertoires. Bei den zunächst adeligen Auftraggebern waren Bearbeitungen von Erfolgsstücken aus Oper und Konzert offenbar weitaus beliebter als kammermusikalische Originalkompositionen fürs Bläserensemble; so fanden sich 1837, als die Kaiserliche Harmonie nach 55 Jahren aufgelöst wurde, in ihrem Notenarchiv denn auch nur 22 Originalwerke, aber weit über hundert Opernbearbeitungen...

Ob nun Bearbeitung oder Originalkomposition - Harmoniemusik, obgleich entwicklungsgeschichtlich in der Militärmusik wurzelnd, war (und ist) Unterhaltungsmusik, auf Wirkung angelegt, auf Überraschungseffekte bedacht. Die konnte ein auch nur halbwegs talentierter Komponist relativ leicht anbringen, wenn er daran ging, ein neues "Divertimento" zu schreiben. Schwieriger gestaltete sich das Bearbeiten einer erfolgreichen Vorlage: Kein Arrangeur mochte sich alleine auf deren schöne Melodien, griffige Klänge oder spritzige Rhythmen verlassen - auch ein Mozart nicht. Wie er seine Musik zur "Entführung" der Spieltechnik der Holzbläser und dem beschränkten Tonvorrat der Hörner angemessen arrangierte, ohne den Charakter der orchestralen Ouvertüre, vor allem aber denjenigen der Arien anzutasten, die so sehr von den besonderen Ausdrucksmöglichkeiten der Singstimme leben - wir würden es gerne erfahren. Im Gegensatz zu einer größeren Zahl divertimentohafter Originalkompositionen für Harmoniemusik (berühmtestes Beispiel: die "Gran Partita" Es-Dur KV 361) ist aber seine Harmoniefassung der "Entführung" leider verschollen. Und so begegnet uns Mozart als eigener Harmonie-Bearbeiter nurmehr beiläufig in der Oper, genauer: in der Tisch-Szene des "Don Giovanni", zu der er ein Bläserensemble unter anderem mit der Arie "Non più andrai" aus "Figaros Hochzeit" aufspielen lässt.

Die Harmoniemusik der Neuen Düsseldorfer Hofmusik muss bei ihrer "Operngala" also auf "Fremd"-Bearbeitungen zurückgreifen. Gefunden hat sie sie zum Teil in der Notenbibliothek des Schlosses Donaueschingen. Dort, in der Fürstenbergischen Residenz, von der aus seit 1783 mit Fürst Joseph Maria Benedikt ein ausgesprochener Förderer der Musik regierte, hatte es wohl schon ein Harmonie-Ensemble gegeben, bevor Prinz Karl Egon mit frischen Eindrücken von der neu gegründeten Kaiserlichen Harmonie aus Wien zurückkehrte. Jetzt nahm die Bläsermusik jedenfalls einen ungeahnten Aufschwung, erklangen neben eigens komponierten "Parthien", Divertimenti und Serenaden auch zahlreiche Opernbearbeitungen, in denen sich widerspiegelte, was in der Hofoper Neues gespielt worden war oder gespielt werden sollte. Darunter auch "Die Entführung aus dem Serail", die in Donaueschingen 1785 erstmals gegeben wurde, und "Figaros Hochzeit", hier 1787, ein Jahr nach den ersten Aufführungen in Wien und Prag, als Singspielbearbeitung auf die Bühne gebracht.

Die Donaueschinger Harmoniemusik-Bearbeiter sind nicht alle dem Namen nach bekannt, erweisen sich aber allesamt als Meister ihres Faches. In der Regel darf man in ihnen führende Mitglieder der Harmonie vermuten, die sich der Vorlagen mit praktischem Gespür für das auf den Blasinstrumenten Machbare annahmen. Das bestätigt auch die Bearbeitung der "Entführung", die der aus Böhmen stammende Oboist Franz Joseph Rosiniack anfertigte, seit 1777 in Donaueschinger Diensten. Böhmische Holzbläser gaben auch bei der Wiener Harmoniemusik den Ton an. So berief Joseph II., als er sein Ensemble gründete, Georg Triebensee und Johann Nepomuk Wendt zu dessen Oboisten. Beide hatten zuvor in Diensten des Fürsten Schwarzenberg gestanden, der dem Kaiser in Sachen Harmoniemusik mit gutem Beispiel vorangegangen war - Triebensee an der ersten Oboe, Wendt am ersten Englischhorn (der böhmische Fürst bevorzugte in seiner Harmonie diese Tenoroboen anstelle der Klarinetten). Für nahezu zwei Jahrzehnte betätigte Wendt sich in der Folge nicht nur als Virtuose in der Kaiserlichen Harmonie, sonder auch noch als deren Komponist und Bearbeiter. Außerdem versorgte er weiterhin das Schwarzenbergische Pendant mit neuem Repertoire. Mehr als 50 seiner Harmonie-Bearbeitungen von Opern und Balletten sind denn auch überliefert, darunter fünf Mozart- Opern, die er für jedes der beiden Ensembles einrichtete.

Der Klarinettist Wenzel Sedlak war ein Landsmann von Wendt und Triebensee, aber eine Generation jünger. Er wirkte seit 1805 in der Harmonie des Fürsten Liechtenstein, übrigens neben Triebensees Sohn (gleichzeitig Wendts Schwiegersohn) Josef, der sich ebenfalls als Virtuose, Komponist und Bearbeiter von Harmoniemusiken einen Namen gemacht hat. Sedlak wurde mit der Neuformierung des Liechtenstein'schen Ensembles zwischen 1812 und 1835 auch der Kapellmeister des Fürsten. Nahezu ein Vierteljahrhundert lang agierte er nun als Wiens bedeutendster Harmonie-Bearbeiter aktueller Opern- und Ballett-Produktionen. Seine kunstvolle Einrichtung des "Fidelio" von Ludwig van Beethoven erschien im Januar 1815 beim Verlagshaus Artaria im Druck, also in zeitlicher Nähe zur Premiere der dritten, endlich erfolgreichen Bühnenfassung von 1814. Sedlak hatte für sein neunstimmiges Arrangement elf der 17 Nummern ausgewählt, wahrscheinlich unter dem kritisch prüfenden Blick des Komponisten. Jedenfalls hatte Beethoven die Fidelio-Ausgaben von Artaria schon im Sommer 1814 in einer Notiz der Wiener Zeitung autorisiert.

Noch im Jahr seiner Berliner Uraufführung 1821 hatte Carl Maria von Webers "Freischütz" seine Wiener Premiere erlebt - die "deutsche romantische Oper" schlechthin, von der Theaterkritik der Zeit zum programmatischen Antipoden der italienischen Opera seria Gioacchino Rossinis hochstilisiert - und beim Publikum nicht minder beliebt. Kein Wunder also, dass die Erfolgsstücke aus Webers Oper die zunehmend an bürgerlichen Konzertbedürfnissen orientierten Podien der Harmoniemusiken bald ebenso bereicherten wie Rossinis Ouvertüren und Arien. Sedlak hat die Erfolgsstücke beider Komponisten für Harmonie bearbeitet. Den patriotisch gefärbten Streit um die "richtige" ästhetische Ausrichtung des Musiktheaters mochte man anderswo austragen.

Auch München befand sich seit 1816 im Rossini-Taumel, seit der Premiere von "L'Italiana in Algeri", nach der hier bis 1824 noch 19 weitere seiner Opern zur Aufführung kamen. Eine Begeisterung, die nicht ohne Wirkung auf das höfische und bürgerliche Konzertleben blieb, das zu Zeiten des neuen Königreiches Bayern (seit 1806) entscheidend von den Münchener Militärkapellen mitgeprägt wurde. An deren Spitze stand, zumindest nominell, bis 1843 ein Oboist: Guillaume Legrand. Sohn eines Hofmusiker-Ehepaares aus der pfälzischen Residenzstadt Zweibrücken, war er noch zu Zeiten des Kurfürsten Carl Theodor an die Münchener Hofkapelle gekommen. 1797 zum "Musikdirektor der Militärchöre" und 1812 zum "Armee-Musikdirektor" ernannt, hatte er sich zunehmend mit der Organisation der bayerischen Militärmusik zu befassen. Was der Qualität seiner Bearbeitungen von Ouvertüren und Arien aus Opern Rossinis keinen Abbruch tut, die bald auch beim Leipziger Verlagshaus Breitkopf & Härtel im Druck erschienen und sich auch heute noch gleichermaßen zum groß besetzten Platzkonzert und zur kammermusikalischen Harmonie empfehlen.

behe

Mitwirkende

Die Harmoniemusik der Neuen Düsseldorfer Hofmusik musiziert heute in folgender Besetzung:

Michael Schmidt-Casdorff - Flöte
Hans-Peter Westermann, Annette Spehr - Oboe
Diego Montes, N.N. - Klarinette
Oliver Kersken, Tilman Schärf - Horn
Veit Scholz, Ilka Wagner - Fagott
Michael Neuhaus - Kontrabass

Mehr zu den Mitwirkenden in unserer Musikerdatenbank und auf ihrer Homepage (externer Link)