Saison 2006/2007: Konzert 6

4. März .2007 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Concerto Italiano

Musik des 17. und 18. Jahrhunderts von Signore Detri, Giuseppe Sammartini, Antonio Vivaldi u.a. Dorothee Oberlinger Blockflöte Giampietro Rosato, Cembalo, Orgel Walter Vestidello, Violoncello Giancarlo Rado, Arciliuto, Barockgitarre Dorothee Oberlinger In Coproduktion mit WDR 3 Sendung im Deutschlandfunk am 13.3.2007

Vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht das Repertoire der mit internationalen Preisen ausgezeichneten Blockflötistin Dorothee Oberlinger. Mit dem Continuo-Team des renommierten italienischen Spitzenensembles »Sonatori de la Gioiosa Marca« widmet sie sich in ihrem »Concerto Italiano« aber nun einer handverlesenen Auswahl von italienischer Kammermusik des 17. und 18. Jahrhunderts – mit darunter zum Teil wieder entdeckten oder selten eingespielten Werken für die Blockflöte.

Programmfolge

Arcangelo Corelli (1653-1713)
Sonate C-Dur op. 5,3
Fassung für Altblockflöte und Basso continuo (London 1707)
Adagio - Allegro - Adagio - Allegro - Allegro

Giuseppe Sammartini (1695-1750)
Sonate B-Dur (original F-Dur)
Fassung für Forthflute und Basso continuo
Allegro - Andante - Allegro

Bernardo Pasquini (1637-1710)
Variazioni capricciose
Toccata con lo Scherzo del Cucco
für Cembalo (Rom 1698)

Signore Detri
(Louis Detry?, 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts)
Sonate c-Moll
für Altblockflöte und Basso continuo
Adagio - Presto - Adagio - Giga. Allegro

Pause

Antonio Vivaldi (1678-1741)/Nicolas Chédeville (1705-1782)
Sonate g-Moll op. 13,6 RV 58
Fassung für Altblockflöte und Basso continuo (Paris 1737)
Vivace - Allabreve. Fuga da Capella - Largo - Allegro ma non presto

Sonate a-Moll RV 44 für Violoncello und Basso continuo (Paris 1740)
Largo - Allegro poco - Largo - Allegro

Arcangelo Corelli
Sonate d-Moll op. 5,12 »La Follia«
Fassung für Altblockflöte und Basso continuo (London 1702)

Einführung

Flauto diretto, flute à bec, recorder, voice flute – unter den mannigfachen Bezeichnungen, die sich im Laufe der Zeit für die Blockflöte einbürgerten, sticht eine romanische Form als mit Abstand poetischste heraus: flauto dolce oder flûte douce. Der darin angesprochenen Süße und Anmut des Klangs galt die Sympathie der Komponisten im 17. und 18. Jahrhundert, wenn sie in ihren Opern und Kantaten, ebenso aber in der konzertierenden Instrumentalmusik Blockflöten-Partien schrieben. Was dem zunächst so schlicht anmutenden Instrument hier an Virtuosität, an Klangfarben und melodischer Ausdruckskraft abverlangt wird, steht ebenbürtig neben den Qualitäten, die man heute allgemein mit dem anderen bevorzugten Soloinstrument der Barockzeit, der Violine, verbindet. Die Violinmusik spielte auch eine große Rolle in den Blockflöten-Editionen der geschäftstüchtigen Notenverleger. Schon ein flüchtiger Blick insbesondere in die Londoner Verlagskataloge der Zeit macht deutlich, wie populär Kammer-Arrangements für Flöte waren, mit deren Hilfe man die Erfolgsstücke von Opernbühne und Konzertpodium zuhause nachspielen konnte; ein Blick in die Noten zeigt schnell, wie anspruchsvoll die Werke auch in der Bearbeitung blieben, und er belegt einen bemerkenswert hohen Stand privater Musikpflege.

Der heutige Abend gewährt charakteristische Einblicke in diese Welt des barocken Kammerkonzerts italienischer Provenienz, die da im nördlichen Europa erblühte – selbst in Paris, wo man dem goût italien zunächst noch reservierter gegenüberstand. London in seiner geradezu euphorischen Begeisterung für den römischen Violinmeister Arcangelo Corelli wurde zu einer Hauptstadt des Concerto italiano und seiner Virtuosen. Wer bei Corelli Violine und Komposition studiert hatte, dem stand das Musikleben an der Themse offen – das beweisen die Karrieren von Francesco Geminiani, Pietro Locatelli, Pietro und Prospero Castrucci, in gewissem Sinne auch die von Georg Friedrich Händel, der bei seinem Eintreffen in London ebenfalls römische Corelli-Erfahrungen vorweisen konnte und hörbar in seine Sonaten und Concerti grossi einfließen ließ. Für die offenbar umfangreiche Zahl fähiger Blockflötisten in England war Corellis Œuvre spätestens seit 1702 eine feste Größe. In diesem Jahr veröffentlichte der rührige Verleger John Walsh mehrere Bearbeitungen aus den Triosonaten-Drucken Opus 2 und 4, aber auch aus den Solosonaten Opus 5. Während Walsh die Triosonaten für zwei Flöten und Continuo setzt, ist seine Zuweisung der Solosonaten an eine hohe Flöte und eine Bassflöte als Analogie zur originalen Besetzungsangabe Corellis zu verstehen: Dessen Formulierung "a Violino e Violone o Cimbalo" stellt die Mitwirkung eines akkordischen Begleitinstruments frei. Walsh veröffentlichte damals in der Flötenfassung nur die letzten sechs Sonaten aus Opus 5, die Corelli im Kammerstil gehalten hat, mit einer schnellen Einleitung und einer Folge von Tanzsätzen. Eine Besonderheit stellt dabei die 12. Sonate dar, die das heutige Konzert beschließt. Sie bietet die seinerzeit europaweit beliebte Follia-Weise samt 21 Variationen, in denen zum Teil auch die ansonsten auf die Begleitrolle konzentrierte Bassstimme virtuos hervortritt.
Die erste Sonate des heutigen Abends (die dritte aus Opus 5) führt dagegen den Kirchenstil Corellis vor, in dem anstelle tänzerischer Periodik die kontrapunktische Verbindung der Stimmen in den Vordergrund tritt. Ihr vierter Satz findet sich 1707 bei Walsh inmitten eines Sammeldrucks, der überwiegend Triosonaten des deutschen Corelli-Schülers Johann Christoph Pez bietet. Der Satz ist als "excellent Solo … artfully transpos'd and fitted to a Flute and a Bass" angekündigt und wie so manche "praktische Ausgabe" der Zeit mit reichlich Verzierungen versehen, die den heutigen Interpreten wertvolle Hinweise auf die historische Ornamentierungspraxis geben.

Eine anderer Musiker in Rom, der weit nach Norden ausstrahlte, war neben dem Geiger Corelli noch sein ebenso virtuoser Kollege am Cembalo, Bernardo Pasquini. Als Organist an verschiedenen Kirchen und Oratorien der Stadt tätig, komponierte Pasquini für die führenden Mäzene des römischen Kulturlebens wie die Kardinäle Chigi, Pamphili und Ottoboni und die im Exil lebende Königin Christina von Schweden, vor allem aber für den Prinzen Giambattista Borghese. Die beiden heute vorgestellten Werke hat er 1702 in seine handschriftliche Sammlung Sonate per Gravicembalo aufgenommen und dabei neben dem Entstehungsdatum 1698 auch noch notiert, das Kopien davon u.a. an einen schottischen Adeligen gingen (erst mehr als zwanzig Jahre nach dem Verlagskonkurrenten Etienne Roger in Amsterdam hatte dann 1719 auch Walsh in London Werke Pasquinis in seinem Angebot, innerhalb einer Collection of Toccates Vollentarys and Fugues). Kapriziös wirkt an Pasquinis Variazioni capricciose vor allem, dass er die von Corelli in seinen Kammersonaten etablierte Folge von stilisierten Tanzsätzen mit passagenhaften clavieristischen Intermezzi durchsetzt. In der Toccata con lo Scherzo del cucco ist der namensgebende Terzfall vom ersten Takt an zu vernehmen, auch wenn begleitende Spielfiguren und kurze kontrapunktische Durchführungen ihn kurz einmal in den Hintergrund drängen sollten.

Zu den Italienern, die nach ersten Anstellungen in der Heimat ihr Glück in London suchten und fanden, gehört der Mailänder Giuseppe Sammartini. Bekannt gemacht hatte ihn in England wiederum Walsh, als er 1727 ein Dutzend seiner Triosonaten druckte, mehr als ein Jahr, bevor ihr Komponist selbst an der Themse eintraf und schnell zum Lieblings-Oboisten Händels avancierte. Sammartini war von der Bandbreite der englischen Blockflötensorten offensichtlich sehr angetan; so komponierte er etwa ein Konzert für die höhere Fifthflute. Seinem Beispiel folgend, hat Dorothee Oberlinger eine der noch in Italien komponierten Blockflöten-Sonaten Sammartinis transponiert und trägt sie nun auf der eine Quarte höheren Forthflute vor. Dabei kann sie auf eine noch unveröffentlichte Ausgabe zurückgreifen, die der amerikanische Musikforscher David Lasocki kürzlich nach einem Manuskript aus der Biblioteca Palatina in Parma angefertigt hat. Auch hinter dem Komponistennamen jener c-Moll-Sonate, die als Unikat in der Universitätsbibliothek Rostock überliefert ist, könnte man einen italienischen Musiker vermuten. Doch war der auf dem Manuskript erwähnte Signore Detri höchstwahrscheinlich französischer Abstammung, denn da die Noten zur Musikaliensammlung des Erbprinzen Friedrich Ludwig von Württemberg gehören, dürfte der Komponist mit dem württembergischen Hoffagottisten Louis Detry identisch sein. Die originelle Sonate mit ihren technisch anspruchsvollen schnellen Sätzen wäre dann etwa zwischen 1727 und 1731, dem Todesjahr des Erbprinzen, entstanden. Sie scheint nicht nur vom Formmodell Corellis inspiriert, sondern auch vom melodischen Vorbild eines Georg Philipp Telemann, dessen Werke in der Bibliothek des Erbprinzen ebenso präsent waren.

Um französische Musik im italienischen Gewande handelt es sich definitiv bei den Sonaten für ein Soloinstrument und Basso continuo, die als 13. Opus des Venezianers Antonio Vivaldi 1737 unter dem Titel Il Pastor Fido in Paris erschienen. Denn als ihr wahrer Komponist ist inzwischen Nicolas Chédeville identifiziert worden, ein berühmter Oboist und vor allem Musette-Spieler in der französischen Hauptstadt. Als großer Bewunderer der italienischen Musik und Freund von Kompositionen in jenem pastoralen Kolorit, in dem sein Dudelsack-Instrument am besten zur Geltung kam, veröffentlichte er zwei Jahre nach dem Pastor Fido sogar Sätze aus Vivaldis Vier Jahreszeiten in Bearbeitungen für Musette bzw. Drehleier, Violine, Flöte und Basso continuo. Die sechste Sonate aus Il Pastor Fido bietet nach drei französischen Sätzen im italienischen Stil (von denen der zweite im Fugato gar das Vokalideal der päpstlichen Kapelle in Rom heraufbeschwören möchte) sogar noch etwas echten Vivaldi. Der Finalsatz gründet nämlich auf der Eröffnung des sechsten Violinkonzerts aus der Sammlung La Stravaganza, die Roger in Amsterdam um 1712 als Vivaldis Opus 4 herausbrachte. Mehr als zwei Jahrzehnte, bevor Chédeville seinen Vivaldi veröffentlichte, hatte dieses Konzert Johann Sebastian Bach vorgelegen, der es sich für Tasteninstrument allein einrichtete. In der Verzierungspraxis des Chédeville-Vivaldi lassen sich die Musiker heute Abend von der Bach'schen Cembalofassung BWV 975 inspirieren.

Dem ominösen Opus 13 folgte ebenfalls in Paris 1740 ein Vivaldi'sches Opus 14, dessen Kompositionen aber wirklich aus seiner Feder stammten: VI Sonates pour Violoncelle Solo col Basso. Im Konzert erklingt mit der Komposition in a-Moll RV 44 aber eine der drei Violoncellosonaten Vivaldis, die nur handschriftlich überliefert sind und vermutlich als Repertoirebereicherung am Ospedale della Pietà in Venedig entstanden, an dem Vivaldi als Musiklehrer wirkte. Der Venezianer, sonst Sinnbild des extravaganten Solospiels vor mitunter schematisch konstruiertem Ritornell-Hintergrund, nähert sich hier trotz manch virtuoser Attitüde mit beeindruckender Leichtigkeit der klassisch ausgewogenen Sprache seines älteren römischen Kollegen Corelli.

behe

Mitwirkende

Dorothee Oberlinger, Blockflöte
Giampietro Rosato, Cembalo, Orgel
Walter Vestidello, Violoncello
Giancarlo Rado, Arciliuto, Barockgitarre