Saison 2010/2011: Konzert 4

Sonntag, 19. Dezember 2010 17 Uhr Trinitatiskirche

Giovanni Girolamo Kapsperger

I Pastori di Bettelemme Echo du Danube Echo du Danube Sendung auf WDR 3 am 30.12.2010

Er war ein Liebling des Vatikans und wusste genau den Geschmack des Papstes zu treffen: Giovanni Girolamo Kapsperger, der heute vor allem als Komponist von Lautenmusik bekannt ist. Den Text des stimmungsvollen weihnachtlichen Hirtenspiels I Pastori di Bettelemme, den er 1630 für eine Aufführung im apostolischen Palast vertonte, hat kein Geringerer als Giulio Rospigliosi verfasst, der spätere Papst Clemens IX. Die alte Partitur, in der Kapsperger die ganze Palette pastoraler Klangfarben angelegt hat, erweckt das Ensemble Echo du Danube am 4. Advent mit sechs Gesangsstimmen und einem reichen Instrumentalaufgebot zu neuem Leben.

Programmfolge

Giovanni Girolamo Kapsperger (1580-1651)
»I Pastori di Bettelemme«

Weihnachts-Dialog, Rom 1630.
Text von Giulio Rospigliosi
Erweiterte Fassung mit Einlagesätzen des Komponisten
sowie von Giovanni Lorenzo Baldano (1576-1660)

I Pastori
Paso e mezo. Gagliarda (Baldano)
Sinfonia prima à 4 con 2 bassi (Kapsperger)
Sinfonia - Primo Pastore solo - Coro dei Pastori
La Bergamasca (Baldano)
Primo al quinto Pastore - Coro dei Pastori
Toccata seconda (Kapsperger)

Natale
Angelo
»Hodie Christus natus est« (Kapsperger)
Primo al quinto Pastore - Coro
Piva (Kapsperger)

Viva etá felice
»Laudate Dominum« (Kapsperger)
Testo - Coro

Gl’Angeli intorno al Presepio
Fantasia pastorale (Baldano)
Angelo primo al terzo
Corrente quinta (Kapsperger)
»In diem natalem lesu Christi« (Kapsperger)
»Dormi figlio«
»Figlio dormi« (Kapsperger)


Pdf-Download: Gesangstexte und Übersetzungen

Zum Lobe Gottes und seiner irdischen Statthalter

Der Komponist und Lautenist Giovanni Girolamo Kapsperger prägte mehrere Jahrzehnte lang das römische Musikleben und faszinierte mit seinem ebenso ausdrucksvollen wie virtuosen Spiel sein erlesenes Publikum. Als Spross einer deutschstämmigen Adelsfamilie wurde er um 1580 in Venedig geboren, erhielt eine grundlegende musikalische Ausbildung und veröffentlichte 1604 in seiner Heimatstadt seinen ersten Druck, das Libro primo d’intavolature di Chitarrone. Im Jahr darauf wandte er sich nach Rom, das in der frühen Barockzeit einen der entscheidenden Brennpunkte musikalischer Entwicklung in Europa darstellte. An den zahlreichen Kirchen und Palästen wirkten herausragende Komponisten, Sänger und Instrumentalisten, deren Arbeit wirkungsvoll von interessierten und vor allem finanzkräftigen Patronen unterstützt wurde. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte setzte sich von Rom ausgehend ein vollkommen neues musikalisches Stilprinzip durch. Nicht mehr kontrapunktische Vokalpolyphonie war zu hören, sondern klein besetzte Solomadrigale, begleitet von Instrumenten. Kapsperger gelangte schnell in die höchsten Kreise des römischen Musiklebens. Zwei Jahrzehnte lang diente er unterschiedlichen Päpsten, Kardinälen und Fürsten, ließ beinahe jährlich eine neue Kompositionssammlung veröffentlichen und galt als führender Lautenvirtuose der Stadt.

Als 1623 Kardinal Maffeo Barberini als Urban VIII. den Stuhl Petri bestieg, gelang Kapsperger der ganz große Aufstieg: Der kunstsinnige neue Papst legte Wert auf eine prachtvolle Machtausübung. Mehrere Familienmitglieder erhob er in einflussreiche Ämter, so auch Francesco Barberini, einen Neffen, der die Kardinalswürde sowie weitere höhere Positionen an der Kurie erhielt und schrittweise an seinem Hof ein reges Musikleben installierte. Dazu engagierte er schon bald nach Amtsantritt die besten Musiker der Stadt, darunter Girolamo Frescobaldi, Virgilio Mazzocchi und natürlich Kapsperger. Während des Pontifikats Urbans VIII. entstanden neben zahlreichen Lauten- und Chitarronewerken auch etliche Sammlungen Kapspergers mit weltlicher und geistlicher Vokalmusik. Hierbei gelang es ihm, mit den affektreichen Mitteln des neuen, rezitativischen Stils die oftmals dramatischen Texte adäquat in Musik umzusetzen. Einer der bedeutendsten Gelehrten der Zeit, der Jesuitenpater Athanasius Kircher, er wähnte dies 1650 in seiner enzyklopädisch angelegten Musurgia universalis: »Hieronymus Kapsperger gab im Stylus Rezitativus Verschiedenes heraus, das mit höchstem Geschmack und größter Erfahrung komponiert ist, und gewiss sind es sehr würdige Kompositionen, so dass die Musiker sie nachahmen werden.« Die sorglose Zeit unbegrenzter kultureller Aktivitäten endete abrupt mit dem Tod Urbans VIII. im Jahr 1644. Dessen zügellose Ausgaben hatten den Kirchenstaat in den finanziellen Ruin geführt, wofür die Familie nun zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Um diesem Prozess zu entgegen, flohen die Barberini nach Frankreich. Der inzwischen über 60-jährige Kapsperger blieb zwar in Rom, zog sich aber aus dem öffentlichen Leben zurück. Als er sieben Jahre später starb, hatte sich sein Ruhm als herausragender Musiker schon längst weit über die Grenzen der Stadt hinaus verbreitet.

Im Jahre 1630 veröffentlichte Kapsperger in Rom seinen Dialogo posto in musica mit dem Titel I Pastori di Bettelemme nella nascita di N. S. Giesu Christo. Er widmete sich damit einer Gattung, die als Vorläufer des Oratoriums gelten darf: dem dialogischen geistlichen Madrigal. Kurz nach 1600 hatte sich das (alte) Madrigal dem neuen konzertierenden Stil mit Generalbassbegleitung geöffnet. Mit volkssprachlichen, geistlichen Texten und in dialogischer Struktur wurden die Werke schnell in den Andachten und religiösen Übungen der vielen in Rom ansässigen Bruderschaften, an erster Stelle dem von Filippo Neri gegründeten Oratorianer-Orden, heimisch. Diese neue, ungezwungene Form des Gottesdienstes mit großem Musikanteil war unter den Gläubigen sehr populär. Kapsperger verfasste sein Stück jedoch nicht für das »gemeine Volk«, sondern exklusiv für seinen Mäzen Barberini. Als Textdichter kam selbstverständlich nur der hochrangigste Poet Roms in Frage: Giulio Rospigliosi. Er war ein enger Vertrauter Papst Urbans VIII., später Kardinal und schließlich selbst Nachfolger Petri als Clemens IX. (1667- 1669). Sein Text für I Pastori di Bettelemme verknüpft in poetisch versierter Weise das Weihnachtsgeschehen mit Grundsätzen der christlichen Glaubensdoktrin und einer Verherrlichung des amtierenden Papstes. Zu Beginn wird die Szenerie der wachenden Hirten auf dem Feld vor Bethlehem beschrieben, die das Kommen des Sohnes Gottes herbeisehnen. Die Betrachtungen münden in einen Akt der Selbstanklage, in dessen Verlauf die fünf Hirten ihre bisherigen Verfehlungen bekennen und Umkehr geloben. Dieser Abschnitt endet mit der fast liturgisch klingenden Bitte um Erbarmen: »Habbi di noi pietà«. Daraufhin erscheint der Engel Gottes, verkündet die Botschaft von der Geburt Christi im nahegelegenen Stall und fordert die Hirten auf, sich sogleich auf den Weg dorthin zu machen. Die Hirten preisen in einem mit Natale überschriebenen Chor den neugeborenen »König des Himmels«. Direkt anschließend - und dies ist typisch für die Dichtungen Rospigliosis - folgt eine Lobpreisung auf Urban VIII., »dessen hohe Verdienste der Okzident mit staunender Bewunderung vernimmt«. Die Schlussszene ist direkt an der Krippe angesiedelt, wobei drei Engel das neugeborene Kind mit ihrem Gesang sanft in den Schlaf wiegen. Kapsperger vertont die dichterische Vorlage Rospigliosis in einer abwechslungsreichen Folge von Rezitativen und Chören. Die Gestaltung der Rezitative ist ganz von Inhalt und Struktur der Sprache bestimmt, die bis zu sechsstimmigen Chöre sind durchweg homophon gesetzt. Die Erstaufführung des Weihnachts-Dialogs erfolgte mit großer Wahrscheinlichkeit im Rahmen eines festlichen Banketts in einem der päpstlichen Paläste nach der Vesper des 24. Dezember. Die ausdrückliche Erwähnung des Papstes im Libretto macht es wahrscheinlich, dass Urban VIII. der Aufführung auch beiwohnte.

Bernhard Schrammek

Aufführungspraxis

Aus späteren Zeugnissen kann man sich ein Bild davon machen, wie das Weihnachtsfest im apostolischen Palast abgelaufen sein mag, in das die Pastori di Bettelemme eingebettet waren: Im Anschluss an die Vesper begaben sich die Kardinäle gemeinsam mit den Klerikern des päpstlichen Hofes und Angehörigen des römischen Adels in einen reich geschmückten und mit Hunderten von Wachslichtern erhellten Saal, wo ihnen ein köstlich zubereitetes Mahl gereicht wurde. Vor dem Essen führten einige Sänger der päpstlichen Kapelle unter Mitwirkung zahlreicher Instrumentalisten das Oratorium auf. Der Papst zog sich meistens nach der Vesper in seine Gemächer zurück, um den Anstrengungen der nächtlichen Liturgie gewachsen zu sein. Nur selten nahm er an dem Festmahl teil, und wenn, dann nur, um sich am Anblick der Festtafel, besonders der Trionfi zu erfreuen. Das waren Figuren aus Zucker und Marzipan, die Szenen aus dem Leben Christi darstellten. Die Kardinäle sollen nicht nur dem Oratorium zugehört, sondern auch Trionfiverspeist haben, um auf diese Weise die Weihnachtsbotschaft mit allen Sinnen aufzunehmen. Der Aufwand für die Festlichkeiten 1630 war so groß, dass das Budget daraufhin gekürzt werden musste.

Der einzige instrumentale Besetzungshinweis in den Pastori di Bettelemme bezieht sich auf die Sordellina, eine Sackpfeife mit zwei Melodiepfeifen, die die pastorale Atmosphäre unterstreicht. Giovanni Lorenzo Baldano widmete ihr um 1600 ein ganzes Tabulaturbuch, aus dem wir einige Stücke in unser Programm aufgenommen haben. Die Wahl der Continuo-Instrumente gibt einen Eindruck von den vielfältigen und farbigen Besetzungsmöglichkeiten im Rom des 17. Jahrhunderts. Im Vorwort zu seiner Sinfonie schreibt Kapsperger, die Bässe könnten von allen Harmonie-Instrumenten ausgeführt werden, wie Laute, Chitarrone, Cembalo, Harfe etc. Zum Salterio bemerkt Athanasius Kircher, dass es »alle andere Saitenspiel in der Liebligkeit« übertrifft, und dabei stellt er den römischen Salteriospieler Giovanni Maria Canario als »vortrefflichen Musicus« heraus. Erhalten ist überdies ein Salterio papale, angefertigt (wenn auch drei Jahrzehnte später) für den Textdichter der Pastori di Bettelemme, dem nun zum Papst erhöhten Giulio Rospigliosi. Die relative Schlichtheit des Krippenspiels legt die Beteiligung von Sängerknaben der päpstlichen Kapelle nahe. Die von uns eingefügten virtuosen Weihnachtsmotetten waren sicherlich für erfahrenere Sänger der Kapelle komponiert. Einige ihrer Mitglieder übernahmen neben Gesangspartien auch instrumentale Aufgaben. Dazu gehören Persönlichkeiten wie Stefano Landi, Gregorio Allegri und der Harfenvirtuose Marco Marazzoli. Auch Kapsperger wird sicherlich selbst mitgewirkt und die Aufführung geleitet haben.

Michael Dücker

Mitwirkende

Echo du Danube

Im heutigen Konzert musiziert Echo du Danube in folgender Besetzung:

Constanze Backes - Sopran
Chiyuki Okamura - Sopran
Carolina Brachmann - Sopran
Clementine Jesdinsky - Sopran
Christian Dietz - Tenor
Nils Cooper - Bass
Florian Deuter - Violine
Mónica Waisman - Violine
Elisabeth Seitz - Salterio
Johanna Seitz - Harfe
Michael Dücker - Chitarrone, Laute, Gitarre
Christian Zinke - Viola da gamba, Lirone, Violone
Horst Grimm - Sordellina, Saitentamburin
Michèle Claude - Perkussion