Saison 2013/2014: Konzert 5

Sonntag, 12. Januar 2014 17 Uhr Trinitatiskirche

Il Batista

Azione sacra per musica, Wien 1727 Text von Apostolo Zeno (1668-1750) Musik von Antonio Caldara (1670-1736) Netta Or · Kai Wessel · Raimund Nolte u.a. Barockensemble der Hochschule für Musik und Tanz Köln Ltg. Kai Wessel Kai Wessel Sendung auf WDR 3 am 9. Februar 2014

Johannes der Täufer kam unter dramatischen Umständen zu Tode, berichtet die Bibel: König Herodes Antipas ließ sich durch den verführerischen Tanz seiner Stieftochter Salome zu einem Eid hinreißen, der ihn zur Hinrichtung des inhaftierten Propheten zwang. 1727 lauschte Kaiser Karl VI. in Wien der Vertonung dieses Stoffes durch seinen Vizekapellmeister Antonio Caldara. Der verfügte über reichlich Opernerfahrung, und das ist in diesem Oratorium auch nicht zu überhören. Kai Wessel hat es für die erste neuzeitliche Wiederaufführung eigens mit Solistenkollegen sowie Kölner Hochschul-Studierenden und -Dozenten des Studienzweigs Alte Musik einstudiert.

Die Personen

ERODIADE (Herodias), zunächst Ehefrau von Herodes Philippos, Bruder des Herodes Antipas, dann dessen Ehefrau
Netta Or - Sopran

ERODE (Herodes Antipas), Tetrarch von Galiläa und Peräa, Ehemann von Herodias, seiner Schwägerin
Maximilian Krummen - Bariton

SALOME, Tochter von Herodias und Herodes Philippos
Marie Heeschen - Sopran

ILLÈL (Hillel), Oberhaupt der Pharisäer
Raimund Nolte - Bassbariton

UN DISCEPOLO (Ein Jünger von Johannes dem Täufer)
Johanna Neß - Sopran

GIOVANNI BATISTA (Johannes der Täufer)
Kai Wessel - Altus

CORO DI DISCEPOLI (Chor der Jünger von Johannes dem Täufer)

Die Handlung

Erster Teil

Herodias lässt ihre Tochter Salome zur Geburtstagsfeier ihres Gatten Herodes Antipas herausputzen - in der Hoffnung, sie werde durch ihre Anmut den Tetrarchen von Galiläa besänftigen können. Salome spürt die Unruhe ihrer geliebten Mutter, weiß aber nicht um den Grund.
Hillel, Oberhaupt der mächtigen Pharisäer, beklagt das Elend des jüdischen Volkes als Spielball der römischen Protektoren. Die größte Bedrohung aber komme nun aus den eigenen Reihen, vom Leviten Johannes, der die Ankunft des Messias verkündet und die Bevölkerung gegen das Herrscherhaus und die Priesterschaft aufbringt. Um sich des sogenannten Täufers zu entledigen, überzeugt er Herodias, Johannes so schnell wie möglich beseitigen zu lassen. Denn Johannes bezichtigt nicht nur hochmütig die Pharisäer der Heuchelei, sondern insbesondere das Herrscherpaar des Ehebruchs, da es ihre vorherigen Partner ihrer Liebe und Machtinteressen wegen verlassen oder verstoßen hat.
Ein Jünger des Johannes hat das Gespräch der beiden belauscht und beklagt die Gier nach Ruhm, die blind macht vor der Wahrheit und dem Glauben.
Herodes will Johannes seine aufrührerischen Reden und die Beleidigung des Herrscherpaares vergeben, wenn er von nun an schweigt und sich seiner Pflichten ihm gegenüber bewusst wird. Johannes verweigert jede Art irdischen Gehorsams, wenn sie der göttlichen Wahrheit entgegensteht. Herodes fürchtet, durch die Hinrichtung des Johannes als Tyrann oder bei dessen Begnadigung als Feigling dazustehen: "Wie unbequem ihr Propheten der Staatsräson doch seid!"
Der Chor der Jünger besingt den Mut des Propheten: "Wahrheit, Unschuld und Gott sind mit dir."

Zweiter Teil

Herodes bespricht sich mit Hillel, der Johannes als falschen Propheten beschreibt und seine Enthauptung fordert. Herodes fürchtet den entscheidenden Schritt zum Befehl. Da tritt Herodias hinzu und setzt Herodes ihrerseits unter Druck, dass dieser beinahe außer Kontrolle gerät. Um das unterzeichnete Todesurteil zu bekommen, schmiedet Herodias mit Hillel den Plan, Salome für ihre Zwecke zu benutzen.
Belauscht von Hillel, ist Johannes ins Gebet versunken. Er beklagt die Lasterhaftigkeit des Volkes und besonders die der geistlichen Kaste, der "scheinheiligen Schlangenbrut". Hillel fordert ihn heraus und droht ihm, doch Johannes bleibt der göttlichen Wahrheit verpflichtet.
Salome hat vor Herodes getanzt. Herodias beschreibt ihr Unglück über die Anschuldigungen des Johannes und setzt ihre Tochter unter Druck, das Blut der Familie zu rächen. Aus Liebe zur Mutter fordert sie von Herodes, der ihr einen Wunsch freistellte, das Haupt des Johannes. Herodes ist entsetzt, willigt aber ein - in gewisser Hinsicht erleichtert, dass er zu seinem Wort stehen und nicht als Feigling gelten muss. Salome bleibt verwirrt zurück.
Die Jünger bedrängen ihren Meister, keine harten Worte mehr gegen das Fürstenhaus zu richten und sie weiter als leuchtendes Vorbild durch die Widrigkeiten des Lebens zu führen. Johannes verkündet ihnen das "wahre Licht", den Messias, der ihnen bald vorangehen wird. Er selbst muss als Stern untergehen, damit die Sonne umso heller strahlen kann. Schon erscheint Hillel und verliest die Klageschrift, in der Hand eine silberne Schale. In einem letzten Gebet sinkt Johannes auf die Knie und wird enthauptet.
Der Chor der Jünger rühmt den Propheten als Opfer für den nahenden Erlöser.

Stimmpause (ca. 5 Minuten) nach dem ersten Teil

Zur Komposition

Im Jahr 1716 erreichte Antonio Caldara in Rom die Nachricht, dass ihm die Position eines Vize-Kapellmeisters am kaiserlichen Hof in Wien zugesprochen worden war. Lange hatte er darauf gehofft, und umgehend reiste er mit seiner Familie in das Zentrum des Habsburgerreiches, einem Mittelpunkt des europäischen Musiklebens. Der Mittvierziger Caldara konnte eine Reihe erstaunlicher kompositorischer Erfolge in weltlichen und geistlichen Genres vorweisen, und so war er Kaiser Karl VI. würdig genug, die große Musiktradition des Hofes fortzuführen und zu bereichern.

Geboren in Venedig um 1670, wuchs Antonio früh als Chorknabe an San Marco auf, wo sowohl sein Vater als auch der Vater Antonio Vivaldis als Geiger tätig waren. Daneben erhielt er vermutlich kompositorische Unterweisung von Giovanni Legrenzi, einem venezianischen Meister, der ganze Generationen beeinflusste. Caldaras erste Oper L’Argene kam bereits 1689 auf die Bühne, die ersten Kammermusiken erschienen 1693 im Druck. Auch eine feste Anstellung als Kapellmeister ließ nicht lange auf sich warten: Herzog Ferdinand Karl Gonzaga in Mantua ernannte ihn 1699 zum maestro di cappella da chiesa e da teatro. Da der Herzog während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701 - 1714) mit dem Wiener Hof in Konflikt geriet und fliehen musste, ergab sich auch für Caldara eine Irrfahrt durch Europa, die erst 1707 endete. 1708 entstand eine erste Verbindung nach Wien, als Caldara zur Hochzeit König Karls III. - des späteren Kaisers Karl VI. - mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Lüneburg in Barcelona eine Festmusik schrieb. Mit ihr konnte er erfolgreich auf sich aufmerksam machen.

Rom als ein weiteres Musikzentrum öffnete Caldara gleich alle Türen. Kurie und Hochadel förderten die Künste exzessiv und zogen die besten Künstler wie Alessandro Scarlatti, Bernardo Pasquini und Georg Friedrich Händel an, mit denen Caldara in Kontakt stand. Besonders die Kompositionen Scarlattis dienten ihm als Vorbild. Seit 1709 fand er als maestro di cappella des Fürsten Francesco Maria Ruspoli optimale Bedingungen vor, um mehrere hundert Werke den Bedürfnissen seines Arbeitgebers entsprechend zu schaffen, zu denen Opern, Kantaten und Oratorien gehörten. Wie auch in Wien, gab es in der Heiligen Stadt die Tradition der szenischen Oratorien während der Fastenzeit. Caldara selbst durfte die meist prächtigen Aufführungen bestimmen, an denen zahlreiche Mitglieder des Fürstenhauses als Sänger, Tänzer oder Mitglieder des Orchesters teilnahmen.

Schon nach dem Tod des kaiserlichen Hofkapellmeisters Marc Antonio Ziani war Caldara 1715 sofort nach Wien gereist, um sich für die Nachfolge zu bewerben. Doch man hatte sich bereits für Johann Joseph Fux entschieden. Ein Jahr später aber war es soweit, dass er mit dem im alpenländischen Raum hochberühmten Fux ein Komponistengespann bilden konnte, das eine gründliche deutsche Satztechnik mit italienischer Kantabilität verband und über die Grenzen des Habsburgerreiches hinausbekannt wurde. Da es außerordentlich viele Feste am Hofe musikalisch auszustatten galt, steigerte sich Caldaras Produktivität enorm, so dass für einzelne Jahre mehrere Opern, drei Oratorien, diverse Messen, Vespern und Kantaten aus seiner Hand nachzuweisen sind.

Hochangesehen und wohlhabend starb Caldara 1736 in Wien. In der dortigen Nationalbibliothek haben sich nahezu alle seine für den Hof geschriebenen Werke erhalten, unter denen sich auch das heute aufgeführte Oratorium Il Batista aus Kopistenhand befindet. Die Uraufführung erfolgte zur Karwoche 1727 in der kaiserlichen Privatkapelle, zu der nur die Familie des Kaiserpaares, der engste Hofstaat und Mitglieder des Hochadels geladen waren. Wie viele weitere Aufführungen es gab, ist nicht belegt; die Handschrift weist aber eine Wiederaufnahme im Jahre 1740 nach. Auch wenn sich die Tradition des Sepolcro - einer szenischen Darstellung des Heiligen Grabes mit Maria, dem Jünger Johannes und anderen Beteiligten der Kreuzigungsszene - noch bis zu Pietro Metastasio verfolgen lässt: hier, bei Mestasios Wiener Vorgänger Apostolo Zeno, finden wir seine Attribute nicht. Zeno, ein Großmeister der italienischen Poesie, zugleich Historiker und Münzsammler, wurde 1718 als Hofdichter und -historiograph nach Wien berufen und schrieb in seiner Amtszeit bis 1729 fast alle Libretti zu den Opern, Oratorien und Festkantaten bei Hofe. Vermutlich waren ihm die gängigen Formate für das Sepolcro-Spektakel zu einengend; er schuf einen Stil, der den Zuschauer durch das Erregen von Affekten wie Mitleid oder Schrecken läutern sollte. Dieser moralische Aspekt durfte nicht durch eine grobe Form des Dramas vernachlässigt werden, sondern bedurfte einer exakten Balance von Zeit, Raum und Handlung. Diese erreichte Zeno meisterhaft durch seine großartige Sprache und die Exaktheit in der poetischen Ausarbeitung der meist historischen Stoffe.

Schon bei Durchsicht des zur Uraufführung gedruckten Librettos zu Il Batista fallen die biblischen Quellenangaben am Seitenrand auf, die wie ein Leitfaden durch die Prophetenworte des Alten Testamentes wirken und die Ankunft des Messias verkünden. Genau diese Worte finden wir nachgedichtet in vollendetem Rhythmus in der Rolle des Täufers Johannes - bei Zeno ein selbstbewusster, provozierender Mensch, der sich durch die mehrfach von der Priesterschaft und die herrschende Familie angedrohte Hinrichtung nicht beirren lässt. Zeno zeichnet den Täufer stark, fast überheblich; Caldara schreibt ihm erst strenge und fugierte Arien, zum Schluss im Angesicht des Todes aber ein Menuett, das den Untergang eines Sternes besingt, der einer aufgehenden Sonne fröhlich den Weg bereitet. Die psychologische Zeichnung der Charaktere in Wort und Ton sind durch die Kongenialität Zeno/Caldara unnachahmlich. Ohne ermüdende Nebenhandlungen werden wir konzentriert durch das Drama geführt, dessen Mittelpunkt nicht das Schicksal des Täufers ist, sondern der Gewissenskonflikt des Tetrarchen Herodes Antipas und die Machtbesessenheit seiner Frau Herodias samt führender Priesterschaft in der Person des Hillel.

Herodes hatte seine erste Frau, die Tochter des Königs von Nabatäa, verstoßen und einen Krieg heraufbeschworen, um Herodias heiraten zu können, seine Nichte undSchwägerin, die in der Ehe mit seinem Bruder die Tochter Salome geboren hatte. Dieser Akt ist selbst den Völkern von Galiläa und Peräa zu viel; sie begehren auf und folgen den Worten des Täufers, der nicht zum Umsturz aufruft, sondern die Unmoral des Hofes anprangert. Herodias will die Schmähungen nicht dulden, verbündet sich mit dem Anführer der Pharisäer, Hillel, und erpresst sowohl ihre Tochter als auch ihren Mann, um den Propheten zum Schweigen zu bringen.

Zeno lässt Herodes Antipas schwanken zwischen Feigheit und der Angst, als Tyrann zu enden, legt Herodias ihre Perfidie durch knappe Metaphern auf die Lippen und muss die kindliche Salome als Spielball ihrer Mutter an diesem einen Tag erwachsen werden lassen. Daneben stehen sich Hillel und Johannes als unerbittliche Gegner im Anspruch an den wahren Glauben gegenüber, beobachtet von einem Jünger, der um seinen Herren als auch um die Zukunft der gesamten Jüngerschar bangt. Musikalisch sind die Partien des Herrscherpaares und des Hillel am anspruchsvollsten; ihre Arien sind nicht nur für die jeweiligen Sänger, sondern auch für die Streicher groß im Umfang und hochvirtuos. Für die Uraufführung 1727 gibt es eine illustre Liste von ausführenden Sängern: Gaetano Orsini, der führende Alt-Kastrat, für den Caldara diverse Rollen schrieb, gab den Täufer; Francesco Borosini, Händels Bajazet in Tamerlano und Grimoaldo in Rodelinda, sang die Hauptrolle des Herodes; die ebenfalls für Händel tätige und europaweit erfolgreiche Barbara Pisani wütete als berechnende Herodias; die in Wien beliebte Maria Anna Schulz-Hülferding („La Helvertin“) berührte als Salome; der Sopran-Kastrat Domenico Genovesi - 1715 Domenico Scarlattis junge Veramonda in Ambleto - brillierte als Jünger des Johannes, und dem in Wien fest engagierten Christoph Praun wurde die schwierige Partie des Intriganten Hillel auf den Leib geschrieben. Die Partitur weist lediglich eine farbenreiche Streicherbesetzung aus, während am Ende der beiden Teile die eher trockenen Chöre der Jünger stehen, die kompositorisch sehr streng und wie aus der Hand des Hofkapellmeisters Fux wirken. Letztere dürften als Appell an das Gewissen des Wiener Publikums gewertet werden, sich stets moralisch korrekt und im Glauben gefestigt der Verantwortung im Handeln dem Volk gegenüber bewusst zu sein.

Erstmals in unserer Zeit kam dieses Stück unter der Leitung von Michael Hartenberg in der Regie von Bernhard Helmich und Thomas Röschner als Diplomabschluss im Fach Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei den Sommertheaterfestivals in München und Hamburg 1986 auf die Bühne. Ich erhielt die Chance, als recht junger und unerfahrener Debütant den Täufer darzustellen. Fasziniert von Caldaras Musiksprache und Zenos großartiger psychologischer Charakterzeichnung der Protagonisten, blieb mir dieses Oratorium seitdem im Sinn. Umso mehr freue ich mich, dass die Koproduktion des Forum Alte Musik, des WDR und der Hochschule für Musik und Tanz Köln eine Wiederaufführung ermöglicht. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten für die aufopfernde Zusammenarbeit und hoffe, das Publikum ebenso für dieses Werk begeistern zu können.

Kai Wessel

Mitwirkende

Netta Or - Sopran
Maximilian Krummen - Bariton
Marie Heeschen - Sopran
Raimund Nolte - Bassbariton
Johanna Neß - Sopran
Kai Wessel - Alt

Barockensemble der Hochschule für Musik und Tanz Köln
Konzertmeister Richard Gwilt
Leitung Kai Wessel

Das Ensemble musiziert heute in folgender Besetzung:
Anna Herbst, Annamária Kaszoni, Hyun-Jung Lim (Sopran), Andra Wildgrube, Isabel Severin, Jonas Weyers (Alt), Florian Kersten, Daniel Tilch (Tenor), Irfan Berilo, Andrey Akhmetov, Lorenz Rommelspacher (Bass) Richard Gwilt, Antonio De Sarlo, Go Yamamoto, Andria Chang, Olga Piskorz, Anna Rainio, Ségolène De Beaufond, Sophia Anagnostou (Violine), Rafael Roth, Daniel Lind (Viola), Rosa Cañellas, Linda Laukamp (Violoncello), Martina Binnig (Violone), Torben Klaes (Cembalo), Lisa Frigo (Orgel), Mikael S. Christensen (Laute)