Saison 2013/2014: Konzert 8

Sonntag, 18. Mai 2014 17 Uhr WDR-Funkhaus

Serenata d‘amore

Joseph Haydn: Arien für Luigia Polzelli Wolfgang Amadeus Mozart: „Haffner“-Serenade Kirsten Blaise, Sopran Chouchane Siranossian · Capella Augustina, Ltg. Andreas Spering Andreas Spering Sendung auf WDR 3: Freitag, 23. Mai 2014,

Begeistert reagierten die Gäste beim Polterabend der Salzburger Familie Haffner im Juli 1776 auf die eigens komponierte Serenade Wolfgang Amadeus Mozarts für Streicher und Bläser inklusive Hörnern und Trompeten sowie konzertanten Violin-Soli. Andreas Spering, profilierter Spezialist für die Musik der „Wiener Klassik“, bereichert diese Serenade jetzt noch um pikante Noten: Zwischen ihren Sätzen fügt er Arien ein, die Joseph Haydn eigens für die neapolitanische Sängerin Luigia Polzelli komponierte - die mehr als zehn Jahre lang seine Geliebte war. Die Sopranistin Kirsten Blaise leiht der Polzelli an diesem Abend ihre Stimme.

Programmfolge

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Haffner-Serenade D-Dur KV 250 (248b) für Streicher, 2 Flöten/Oboen, 2 Fagotte, 2 Hörner und 2 Trompeten I. Allegro maestoso - Allegro molto Joseph Haydn (1732-1809) Arie »Quando la rosa« Hob XXIVb:3 für Sopran, Streicher, Flöte, Fagott und 2 Hörner Wolfgang Amadeus Mozart Haffner-Serenade II. Andante III. Menuetto - Trio IV. Rondeau Joseph Haydn Cantata »Miseri noi, misera patria« Hob XXIVa:7 für Sopran, Streicher, Flöte, 2 Oboen, Fagott und 2 Hörner Wolfgang Amadeus Mozart Haffner-Serenade V. Menuetto galante - Trio VI. Andante VII. Menuetto - Trio I - Trio II Joseph Haydn Cavatine »Dica pure chi vuol dire« Hob XXIVb:8 für Sopran, Streicher, 2 Oboen, Fagott und 2 Hörner Wolfgang Amadeus Mozart Haffner-Serenade VIII. Adagio - Allegro assai

Musikalische Liebesbeweise

Der Liebende, der unter dem Fenster seiner Angebeteten steht und für sie eine anrührende Weise zum Besten gibt: das ist ein romantisch anmutendes, in seinen Wurzeln aber auf den ritterlichen Minnesang (wenn nicht noch weiter) zurückgehendes Bild. Etwas davon schwingt auch in jenem „Ständchen“ mit, das eine ganze Schar von Musikern in einer lauen Julinacht des Jahres 1776 der jungen Salzburger Bürgermeisterstochter Elisabeth Haffner darbot. Hier sorgte nicht der Bräutigam selbst − der Südtiroler Spediteur Franz Xaver Späth − für die Musikdarbietung zum Polterabend; vielmehr standen zwei andere Herren hinter dieser Serenade: als Initiator der Bruder der Braut, Sigmund Haffner, und als Komponist ein gleichaltriger Bekannter, Wolfgang Amadeus Mozart, der Sohn des fürsterzbischöflichen Vizekapellmeisters, zwanzig Jahre jung und selbst Konzertmeister der Hofkapelle.

Die Serenata per lo sposalitio del Sgr: Spath colla Sgra Elisabetta Haffner, die hier laut Originalmanuskript der Cavagliere Amadeo Wolfgang Mozart zum Besten gab, kommt allerdings nur im ersten Moment als eine der vielen launigen Abendmusiken daher, die man damals in Salzburg auch unter Bezeichnungen wie Notturno, Divertimento, Parthia oder Cassation goutierte. Denn Mozarts Haffner-Serenade stellt bemerkenswert hohe Ansprüche an ihre Musiker und ihr Publikum. Hier war eine üppig mit Streichern, mit auch Flöte spielenden Oboisten, mit Fagottisten, Hornisten und Trompetern besetzte Truppe in den Garten der Salzburger Lodron-Gasse marschiert, um eine in acht Sätzen zwischen sinfonischen und konzertanten Formen changierende Musik von fast einer Stunde Aufführungsdauer zu präsentieren. So etwas hätte man damals wohl eher in einer „Akademie“ erwartet, einer speziellen Konzertveranstaltung für Musikbegeisterte aus Adel und Bürgertum.

„Akademisch“ ist Mozarts Komposition aber auch nur in ihrer Länge und kompositorischen Sorgfalt, denn gleichzeitig umschmeichelt sie ihre Zuhörer mit dem ganzen musikalischen Zauber einer wahrhaftigen Serenata d‘amore: Nach dem heiteren einleitenden „Sinfoniesatz“ folgt eine Art Violinkonzert mit eröffnender Romanze, einem modischen Menuett, dessen Trio-Episode das Soloinstrument auf arios-virtuose Ideen bringt, und einem brillanten Rondo-Finale. Daran schließen sich vier weitere, zum Teil mehrgliedrige Ensemblesätze an, von denen der letzte nach versonnenem Adagio-Beginn in einen glänzenden sinfonischen Kehraus mündet. Ob Mozart die wunderbare Violin-Solopartie für sich selbst schrieb oder seinem Vater überließ? Man darf jedenfalls davon ausgehen, dass er dem Brautpaar seine Aufwartung gemeinsam mit den fähigsten seiner Hofkapell-Kollegen machte.

Dieses ambitionierte Komposition wird nicht nur dem Brautpaar in guter Erinnerung geblieben sein, sondern auch dem Initiator. So erging ein erneuter Serenaden-Auftrag, als Sigmund Haffner sechs Jahre später in den Adelsstand erhoben wurde. Inzwischen war Mozart nicht mehr Salzburger Hofangestellter, sondern freischaffender Künstler in Wien, in dessen florierender Musikszene er sich zunehmend profilierte. So war er damals auch von mehreren anderen kompositorischen Projekten, allen voran dem Singspiel Die Entführung aus dem Serail stark in Anspruch genommen - ganz abgesehen von der bevorstehenden eigenen Hochzeit mit Konstanze Weber am 4. August 1782! So musste Vater Leopold als Kommissionär des Auftrags auch mehrmals drängen, damit die bestellte Musik noch knapp vor der geplanten Feierlichkeit in Salzburg eintraf.

Das weitere musikalische „Schicksal“ dieser jüngeren Wiener Serenade für Haffner gab die Anregung für die Gestaltung des heutigen Konzertes. Mozart wandelte einen Großteil ihrer Sätze im folgenden Jahr zu einer Haffner-Sinfonie um und stellte sie am 23. März 1783 im Burgtheater in Kombination mit weiteren eigenen Werken, darunter ein Klavierkonzert und mehrere Opernarien, im Rahmen einer eigenen Akademie vor. In ähnlicher Weise bereichern jetzt einmal Vokalwerke die ältere Salzburger Haffner-Serenade. Dabei kommt eine weitere Künstlerpersönlichkeit ins Spiel, die für Mozart inzwischen zu einer Art zweiter Vaterfigur geworden war: Joseph Haydn. Der um eine Generation ältere und bereits berühmte Komponist nutzte in diesen Jahren immer wieder die Gelegenheit, durch Reisen in die Donaumetropole jener provinziellen Abgeschiedenheit in den burgenländischen Residenzen zu entfliehen, die seine Stellung als Kapellmeister des Fürsten Nikolaus Esterházy mit sich brachte. In Wien beflügelten sich Mozart und Haydn gegenseitig im Gedankenaustausch und gemeinsamen Musizieren. Als dem im Februar 1785 auch Leopold Mozart beiwohnte, äußerte Haydn ihm gegenüber seine unverhohlene Bewunderung: „Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdies die größte Compositionswissenschaft.“

Dies war das Kompliment eines an Erfahrungen reichen Künstlers, dessen schöpferische Phantasie in diesen Jahren noch von einer besonderen Muse inspiriert wurde. Ihr Name war Luigia Polzelli. Sie stammte aus Neapel und wirkte als Mezzosopranistin am Esterházy-Hof. Mit etwa neunzehn Jahren war sie dort 1779 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Geiger Antonio Polzelli, angestellt worden − und der mit einer Amusa unglücklich verheiratete Haydn muss sich sofort in sie verliebt haben. Seiner Fürsprache ist es wohl auch zu verdanken, dass das Ehepaar Polzelli mehr als ein Jahrzehnt in Anstellung blieb, obwohl der Fürst schon 1780 nicht mehr gewillt war, den befristeten Arbeitsvertrag zu verlängern. Haydn hingegen schrieb der Sängerin, der er von Herzen zugetan war, ein Stück nach dem anderen „in die Stimme“ - meistens in Form von Arien-Bearbeitungen oder von neu komponierten Einlage-Arien zu Opern anderer Komponisten, die er bei Hofe aufführte. Sie mit einer Hauptrolle zu betrauen, verboten ihm die offenkundig limitierten stimmlichen Möglichkeiten Luigias; umso mehr ist es zu bewundern, wie sich Haydn bei aller Arbeitsüberlastung immer wieder die Zeit nahm, für sie schlichte, aber ergreifende Stücke zu schreiben, in denen sie ihren sängerischen Charme spielen lassen konnte.

Zwei dieser berührenden Stimm-Porträts der Polzelli stehen im heutigen Konzert als Intermezzi zwischen den Serenaden-Teilen Mozarts. Da ist zunächst die wohl früheste Einlage-Arie „Quando la rosa“, die Haydn bald nach ihrer Ankunft für eine Aufführung der Oper La Metilde ritrovata schrieb. Die Oper selbst stammte von Pasquale Anfossi, einem damals mit seinen Bühnenwerken ebenso in Wien wie in der italienischen Heimat präsenten Komponisten. Die Cavatine „Dica pure chi vuol dire“ erklang zu einer anderen Anfossi-Oper, Il geloso in cimento, wohl um 1785 bei den Esterházy. Ob Luigia Polzelli ihren Text, der vom „treuen Herz“ der Frauen und dem „verräterischen Sinn“ der Männer spricht, damals mit Überzeugung sang? Zwei Jahre zuvor hatte sie ihren zweiten Sohn Antonio zur Welt gebracht, von dem man munkelte, Joseph Haydn sei der Vater. Jedenfalls wurde er ihm ebenso wie dem 1777 noch in Italien geborenen Bruder Pietro ein väterlicher Freund − er machte aus beiden Polzelli-Kindern veritable Komponisten. Der Ältere starb aber bereits mit 19 Jahren an Tuberkulose, der gleichen Krankheit, deren Opfer auch der Vater Antonio 1791 geworden war.

Von tiefen Gefühlen für Luigia spricht noch der sechzigjährige Haydn zu einer Zeit, da er sich nach dem Tod des Fürsten Nikolaus 1790 von den einengenden höfischen Dienstverpflichtungen gelöst hatte und in England neue künstlerische Erfolge erlebte. Wie einem herzergreifenden Operntext entnommen erscheinen uns heute die aufmunternden und tröstenden Worte, die er der Witwe aus London schrieb, und das nicht nur im italienischen Original: „Abbi pazienza, forse verrà quel giorno a mostrarti quanto ti amo.“ - „Hab Geduld! Vielleicht kommt noch der Tag, dir zu zeigen, wie sehr ich dich liebe!“

Joseph Haydn hat die Sängerin dann aber doch nicht geheiratet, nachdem seine Frau im März 1800 gestorben war; er unterschrieb allerdings wenige Wochen später auf Luigia Polzellis Veranlassung hin ein Dokument, das ihr nach seinem Tod de facto eine Witwen-Rente zusicherte. Die hat er aber später in seinem Testament doch um die Hälfte reduziert, auf immerhin noch 150 Gulden pro Jahr.

Im Zentrum der heutigen Serenata d’amore steht als vokaler Höhepunkt die Soprankantate Misero noi, misera patria auf einen Text des kaiserlichen Hofdichters Pietro Metastasio. Für diese dramatische Szene aus Accompagnato-Rezitativ und Arie muss Haydn eine vermögendere Interpretin als Luigia Polzelli im Sinn gehabt haben, denn sie zeichnet sich durch einen heroischen Gestus und eine technisch höchst anspruchsvolle, koloraturreiche Vokalpartie aus. Haydn steckte das Bravourstück auf Vorrat ins Gepäck, als er im Dezember 1790 zu seiner ersten England-Reise aufbrach. Sie sollte für ihn weitere anregende Bekanntschaften mit der musikalischen Damenwelt bereithalten.

behe

Mitwirkende

Kirsten Blaise - Sopran
Chouchane Siranossian - Violine
Capella Augustina

Leitung Andreas Spering

Im heutigen Konzert spielt die Capella Augustina in folgender Besetzung:

Chouchane Siranossian, Johannes Pramsohler, Almut Frenzel, Shant Eskenian, Danylo Gertsev - 1. Violine
Fiona Stevens, Andreas Preuss, Christoph Mayer, Andreas Hempel, Malina Mantcheva - 2. Violine
Florian Deuter, Michaela Thielen - Viola
Balász Máté, Linda Mantcheva - Violoncello
Matthias Scholz - Violone
Annie Laflamme, Gudrun Knop - Traversflöte
Ina Stock, Margret Schrietter - Oboe
Katrin Lazar, Clemens Schlemmer - Fagott
Christian Binde, Oliver Kersken - Horn
Almut Rux, Ute Rothkirch - Trompete