Saison 2016/2017: Konzert 1

Sonntag, 18. September 2016 WDR-Funkhaus 17 Uhr

Ein Berliner Konzert

Sonaten, Quartette und Konzerte im empfindsamen Stil von Johann Gottlieb Janitsch, Johann Gottlieb Graun, Carl Philipp Emanuel Bach u.a. Ensemble 1700 Dorothee Oberlinger Dorothee Oberlinger Sendung auf WDR 3 am 1. Januar 2017 ab 18:04 Uhr

Eine junge, von den Ideen der Aufklärung beseelte Komponistengeneration begab sich im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts auf die Suche nach einer neuen, sinnlicheren Ausdrucksweise. Einige ihrer Protagonisten fanden in der Kapelle des Flöte spielenden Preußen-königs Friedrich zusammen und dehnten ihre gemeinsamen Aktivitäten bald unter dem Namen Freitagsakademien auf das bürgerliche Konzertleben Berlins aus. Mit dem Charme ihrer kantablen Melodien, leichten Harmonien und tändelnden Rhythmen empfangen die einzigartige Dorothee Oberlinger auf der Blockflöte und ihr Ensemble 1700 das Publikum bei den Kölner Sonntagskonzerten.

Programmfolge

Gottfried Finger (1660–1730)
A Ground für Blockflöte und Basso continuo
aus 40 Airs anglois pour la flute (Amsterdam um 1704)
Georg Friedrich Händel (1685–1759) zugeschrieben
Concerto doppio c-Moll für Blockflöte, Fagott, Streicher und Basso continuo
Adagio – Allegro – Adagio – Tempo di Menuet
Johann Joachim Quantz (1697–1773)
Sarabande G-Dur für Blockflöte solo
Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)
Sonate e-Moll Wq 124 für Bassblockflöte und Basso continuo
Adagio – Allegro – Menuett
Variationes auf die Folies d’Espagne d-Moll Wq 118/9 für Cembalo (1778)
Johann Gottlieb Janitsch (1708–1763)
Quadro G-Dur für Blockflöte, Oboe, Violine und Basso continuo
Adagio – Allegro ma non tanto – Vivace
Pause

Christoph Schaffrath (1709/10–nach 1762)
Trio g-Moll für Oboe, Violine und Basso continuo
Allegro – Largo – Presto
Ernst Gottlieb Baron (1696–1760)
Sonate d-Moll für Blockflöte und Laute
Adagio – Allegro – Siciliana – Gigue
Johann Joachim Quantz
Vivace alla francese F-Dur für Blockflöte solo
Johann Christoph Schultze (1733–1813)
Concerto Nr. 2 B-Dur für Blockflöte, Streicher und Basso continuo (1768)
Allegro – Adagio – Allegro

Herbst der Blockflöte

Dass Berlin immer eine Reise wert sei, besagt ein bekanntes Sprichwort. Dem dürften die Liebhaber der Schönen Künste bis zum Ende des 17. Jahrhunderts allerdings kaum zugestimmt haben. Erst dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., der sich selbst 1701 zum ersten Preußenkönig krönen sollte, gelang es mit der Gründung einer Mahl-, Bild- und Baukunst-Academie 1696 und einer Societät der Wissenschaften vier Jahre später, eine Reihe von Persönlichkeiten des Geisteslebens an die zur prachtvollen barocken Residenz sich wandelnde Metropole in der märkischen Provinz zu binden. Musikalische Impulse gingen während der Regierungszeit seines auf das Wirtschafts- und Militärwesen fokussierten Sohnes, des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., dann eher von dessen kunstsinniger Gattin Sophie Dorothea aus. Sie vererbte ihre künstlerische Neigung an den Sohn, unter dem das Berliner Musikleben zu voller Blüte kam: Friedrich II., bekanntermaßen ein großer Liebhaber und virtuoser Beherrscher der Traversflöte. Die Berliner Hofkapelle vergrößerte er mit seinem Regierungsantritt 1741 um die Musiker, die er schon als Thronfolger in Schloss Rheinsberg um sich geschart hatte. Und mit der Zahl der Musiker wuchs die der Musikpublizisten, die im aufgeklärten Berliner Pressewesen zur Mitte des 18. Jahrhunderts manche ästhetische Debatte ausfochten. Man war in einer Zeit angekommen, die dem Ausdruck der Gefühle neue Priorität einräumte. Reichlich Diskussionsstoff lieferten da neben den Darbietungen bei Hofe die musikalischen Privatveranstaltungen in den Salons der vornehmen Gesellschaft, in denen die höfischen Virtuosen gemeinsam mit nicht-professionellen, aber höchst versierten Dilettanten auftraten. Als frühbürgerliche Kammermusik-Reihen sind diese Freitags-Academien, Musikausübenden Gesellschaften und Liebhaber-Concerte in die Geschichte eingegangen.

Im heutigen Programm stellt die Blockflötistin Dorothee Oberlinger mit ihrem Ensemble Repertoire aus solchen Berliner Konzerten vor. Sie zeigt mit ihrer Werkauswahl, dass auch ihrem Instrument im Umfeld eines der Traversflöte zugewandten Monarchen noch hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde - die Bezeichnung Flauto auf dem Notenmanuskript war damals noch nicht unbedingt gleichbedeutend mit Traverso. Zunächst geht der Blick zurück auf die Gründerjahre der Berliner Kammermusik. Da kommt 1702 der aus Mähren gebürtige Gambist Gottfried Finger in die Dienste der preußischen Königin Sophie Charlotte. In ihren Berliner Soireen wird man sich mit seinen phantasievollen Ground-Variationen sicher ebenso gut unterhalten haben wie in London (wo Finger sie wohl in den Jahren zuvor komponiert hat) und in Amsterdam (dort erschien die Komposition wohl 1704 in einem Sammeldruck).

Zu einer Stippvisite ist 1702 vermutlich auch der junge Georg Friedrich Händel nach Berlin gereist; er habe damals dem preußischen König vorgespielt, und er sei den dort gerade ebenfalls gastierenden italienischen Komponisten Attilio Ariosti und Giovanni Bononcini begegnet, weiß man im 18. Jahrhundert zu berichten. Ob der Siebzehnjährige schon jenes quirlige Doppelkonzert für Blockflöte (alternativ Oboe oder Violine), Fagott und Streicher im Gepäck hatte, das als Unikat in der berühmten Sammlung der Berliner Singakademie überliefert ist und ihn als Autor nennt?

Mit Johann Joachim Quantz bereichert der Flötenlehrer Friedrichs II. und Verfasser des Schule machenden Versuchs einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) das heutige Programm als Komponist von Solostücken, die in der Sammlung des dänischen Hofmusikers Werner Hans Rudolph Rosenkrantz Giedde überliefert sind. Auf der Blockflöte interpretiert, mögen sie daran erinnern, dass Quantz seine Karriere als ein viele Instrumente beherrschender Merseburger Stadtpfeifer begann und auch nach seinem Aufstieg in die sächsische Hofmusik zunächst noch als Oboist gefragt war, der bei Bedarf auch die Blockflöte spielte. Das tat er vermutlich ebenfalls noch, nachdem er durch den französischen Meisterflötisten Pierre-Gabriel Buffardin so erfolgreich an der Traversflöte ausgebildet wurde, dass ihn der preußische Thronfolger letztlich für das eigene Musikensemble abwarb.

Galante Solo- und Triosonaten tragen Friedrichs schon in den 1730er Jahren von Sachsen nach Rheinsberg engagierte Hofcembalisten Carl Philipp Emanuel Bach und Christoph Schaffrath sowie der zu gleicher Zeit als Lautenist verpflichtete Ernst Gottlieb Baron zum heutigen Programm bei. Dabei erweist sich der zweitälteste Sohn Johann Sebastian Bachs in der originellen Kombination von Bassflöte und Continuo wie in seinen virtuosen Tastenvariationen über die alte Follia-Weise als würdiger Nachfolger des Vaters. In die Fußstapfen eines Georg Philipp Telemann tritt der königliche Kontrabassist Johann Gottlieb Janitsch mit seinem Quadro als einem glänzenden Beispiel jener Sonaten für drei konzertierende Instrumente und Generalbass, die der Kollege Quantz in seiner Flötenschule als eigentlichen Probierstein eines echten Contrapunctisten auf den Sockel hebt. Janitsch initiierte übrigens noch in Rheinsberg jene Freitags-Academien, in denen das Bürgertum die Musik der Hofkapelle kennenlernen konnte.

Mit dem Violinisten und Berliner Theaterkapellmeister Johann Christoph Schultze geht der Blick schließlich zu einem Musiker, der weit über die Ära Friedrichs II. hinaus in Berlin tätig war und mit der heute vorgestellten Komposition von 1768 eines der letzten Konzerte für die barocke Blockflöte geschrieben hat. Auf einem Notenmanuskript aus dem Bestand der königlichen Bibliothek findet sich über Schultze eine auf 1821 datierte Anmerkung Carl Friedrich Zelters, der inzwischen als Leiter der Berliner Singakademie die Geschicke der bürgerlichen Musikkultur an der Spree prägte: Die gute Seele hat mich eine Zeitlang auf der Violine unterrichtet und ist bis an seinen Tode mein Freund geblieben.

behe

Mitwirkende

Im heutigen Konzert spielt das Ensemble 1700 in folgender Besetzung:
Alfredo Bernardini – Oboe
Makiko Kurabayashi – Fagott
Hiro Kurosaki, Mayumi Hirasaki – Violine
Manuel Hofer – Viola
Marco Testori – Violoncello
Kit Scotney – Kontrabass
Florian Birsak – Cembalo, Orgel
Axel Wolf – Laute
Ltg. Dorothee Oberlinger - Blockflöte