Saison 2016/2017: Konzert 4

Sonntag, 18. Dezember 2016 Trinitatiskirche 17 Uhr

Eine Weihnachtsmusik

Barocke Solo- und Triosonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber, Alessandro und Domenico Scarlatti, Georg Friedrich Händel, Johann Sebastian Bach und Giovanni Antonio Piani Susanne Regel – Oboe G.A.P. Ensemble Susanne Regel Sendung auf WDR 3 am 24. Dezember 2016 ab 20:04 Uhr

Wie kaum ein anderer verstand es der Böhme Heinrich Ignaz Franz Biber zum Ende des 17. Jahrhunderts, auf seiner Violine musikalische Bilder von großer Suggestivkraft zu entwerfen. Das berühmteste Beispiel dafür sind seine Sonaten über die Geheimnisse des Rosenkranzes, aus denen das G.A.P Ensemble um den Barockgeiger Emilio Percan die weihnachtlichen Stücke ausgewählt hat. Gemeinsam mit der Oboistin Susanne Regel stellt das Trio sie in einen reizvollen Kontrast zur Sonatenkunst des 18. Jahrhunderts – u.a. zu einem Werk von Giovanni Antonio Piani, dem Namenspatron des Ensembles.

Programmfolge

Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704)
Rosenkranz-Sonate Nr. 1 d-Moll Die Verkündigung
für Violine und Basso continuo
Preludium - Variatio - Aria: Allegro - Variatio - Adagio– Finale
Alessandro Scarlatti (1660-1725)
Sonate Nr. 3 C-Dur
für Violoncello und Basso continuo
Largo - Allegro - Amoroso - Presto
Heinrich Ignaz Franz Biber
Rosenkranz-Sonate Nr. 2 A-Dur Mariä Besuch bei Elisabeth
für Violine und Basso continuo
(ohne Bezeichnung) - Presto - Allemanda - Presto
Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Triosonate h-Moll op. 2,1 HWV 386b
für Oboe, Violine und Basso continuo
Andante - Allegro - Largo - Allegro

Pause

Heinrich Ignaz Franz Biber
Rosenkranz-Sonate Nr. 3 h-Moll Christi Geburt
für Violine und Basso continuo
(ohne Bezeichnung) - Presto - Corrente - Double - Adagio
Domenico Scarlatti (1685-1757)
Sonate C-Dur Pastorale K 513
für Cembalo
Moderato - Molto allegro - Presto
Giovanni Antonio Piani (1678-1760)
Sonate G-Dur op. 1,4
für Violine und Basso continuo
Preludio: Adagio e affettuoso - Corrente: Allegro ma non presto - Allemanda: Allegro ma non presto - Adagio - Allegro assai
Johann Sebastian Bach (1685-1750
Triosonate G-Dur BWV 1038
für Oboe, Violine und Basso continuo
Largo - Vivace - Adagio - Presto

Passend zur Weihnachtszeit

Beim Stichwort Weihnachtsmusik denkt man gewöhnlich an vokale Werke wie Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium, festliche Bläserstücke oder Lieder, die im familiären Rahmen vor dem Weihnachtsbaum gesungen werden. Aber wohl die wenigsten werden damit spontan Oboen-, Violin- und Cembalosonaten in Verbindung bringen. Umso spannender, Sonaten aus der Barockzeit heute einmal in einer weihnachtlichen Atmosphäre zu hören.

Den thematischen Leitfaden dafür bilden die ersten drei der fünfzehn Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber mit den Titeln Verkündigung, Mariä Besuch bei Elisabeth und Christi Geburt. Aber nicht nur die Titel der Stücke weisen auf die bevorstehende Geburt Jesu hin, auch musikalisch stimmen diese Sonaten auf das Weihnachtsfest ein. Die Rosenkranz-Sonaten werden aufgrund der Darstellung der fünfzehn Mysterien des Rosenkranzes auch Mysterien-Sonaten genannt. Der aus Böhmen stammende Violinvirtuose Biber hat sie zwischen 1678 und 1687 komponiert und seinem Dienstherrn, dem Salzburger Fürsterzbischof Maximilian Gandolph Graf von Kuenberg, gewidmet. Die fünfzehn Sonaten bilden zusammen ein zyklisches Werk; im Originalmanuskript ist jeder Sonate ein Kupferstich in Form eines Medaillons vorangestellt, der ein Ereignis aus dem Leben Marias und Jesu zeigt. Eine weitere Besonderheit der Rosenkranz-Sonaten ist, dass alle bis auf zwei auf einer skordierten Violine zu spielen sind, bei der durch Unter- bzw. Überspannung der Saiten eine von der Norm abweichende Stimmung erreicht wird. Sie nehmen so eine besondere Stellung in der Geschichte des Violinspiels ein. Musikalisch stehen Variationen im Mittelpunkt einer jeden Rosenkranz-Sonate, die auf liedhaften Melodien beruhen und mit dem Metrum und Rhythmus von Tanzsätzen verbunden sind. Gleichzeitig lässt eine affektive, bildhafte Gestaltung der Musik beim Hörer innere Bilder entstehen.

Die Triosonaten von Georg Friedrich Händel mögen nicht ganz so bildhaft sein wie Bibers Rosenkranz-Sonaten, sie sind aber genauso schön. Die vermutlich zwischen 1717 und 1719 im Auftrag des Earls of Carnavon, James Brydges, auf dessen Landsitz Cannons entstandene Sonaten op. 2 sind die ersten Triosonaten Händels. Eine Handschrift überliefert für die Nummer 1 in h-Moll HWV 386b, die heute zu hören ist, die Tonart c-Moll und eine Besetzung von zwei Violinen und Generalbass. Sie wurde aber vermutlich vom Verleger John Walsh einen Halbton nach unten transponiert, als er sechs dieser Sonaten um 1730 im Druck veröffentlichte, um die Oberstimme für Flöte besser spielbar zu machen. Zum Einsatz kommt heute der barocke Hautboy, der sich im 17. Jahrhundert in Frankreich aus der Schalmei heraus entwickelt hat. Solooboist in Händels Orchester war zur Entstehungszeit der Sonate Jean Christian Kytch.

Alle sechs Sonaten aus Opus 2 sind ausgedehnte und kontrapunktisch sehr sorgfältig ausgearbeitete Werke. Formal orientiert sich Händel in seinen Triosonaten an der Sonata da chiesa, die prägend für die Sonate des Spätbarocks ist und die in der Regel eine zweimalige Abfolge von langsamen und schnellen Sätzen aufweist. Auch der Wechsel zwischen homophoner und polyphon-imitatorischer Satzart ist hier charakteristisch. Bei der Triosonate h-Moll entwickelt sich der erste Satz, ein Andante, aus einer weitgespannten, marschartigen Melodie heraus, bildet aber bald einen Dialog der beiden Oberstimmen. Der zweite Satz, ein Allegro, ist ähnlich angelegt. Im Largo des dritten Satzes schließlich verarbeitet Händel zunächst ein Ritornell aus seinem Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno bzw. seiner Oper Agrippina und anschließend eine Arie aus Reinhard Keisers Oper Octavia von 1705. Im Finale folgt schließlich ein kurzgliedriger tanzähnlicher Satz von großer Vitalität.

Solche Entlehnungen oder Parodien aus eigenen oder fremden Werken, wie wir sie bei Händel vorfinden, sind für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich. Das ist auch an einem weiteren Werk des heutigen Abends zu sehen. Die Triosonate für Flöte, Violine und Basso continuo G-Dur BWV 1038 von Johann Sebastian Bach basiert auf dem gleichen Bass wie die Sonate für Violine und Basso continuo G-Dur BWV 1021. Die viersätzige Flötensonate zeichnet sich insbesondere durch ihre Lebendigkeit und den Abwechslungsreichtum der Musik aus. Zudem fällt auch die Nähe des Adagios in e-Moll zum Satz Gute Nacht, o Wesen aus Bachs Motette Jesu, meine Freude auf. Das Finale wiederum ist eine dreistimmige Fuge, in der Bach auch den Generalbass thematisch einsetzt und ihm nicht nur die Funktion einer Begleitstimme gibt. Die Sonate, in der heute die Oboe den Flötenpart übernimmt, vermittelt eine festlich getragene und gleichzeitig auch heitere, fröhliche Stimmung.

Doch auch die anderen Werke des heutigen Abends brauchen sich nicht zu verstecken, wenn es um die Originalität, Lebendigkeit und Schönheit der Musik geht. Der aus Sizilien stammende Alessandro Scarlatti, der vornehmlich in Neapel und Rom Karriere machte, zeigt in seinen Werken einen sehr eigenen musikalischen Stil, der sich deutlich den gewohnten stilistischen Normen und den prägenden Schulen der Zeit widersetzt. So auch in seiner Sonate Nr. 3 C-Dur für Violoncello und Basso continuo, die heute zu hören ist. Gleichzeitig ist er aber auch bereit, sich den Anforderungen des Publikums, für das er schreibt, anzupassen und auf den Musikgeschmack der damaligen Zeit einzugehen. Für Scarlatti, der in seinem Denken in erster Linie Vokalmusikkomponist ist, steht die musikalische Imitation der Sprache im Vordergrund. Sein Ziel ist es, ihre Charakteristika adäquat umzusetzen und die Wortakzente dementsprechend hervorzuheben. Das findet sich auch in Instrumentalwerken wie dieser Cellosonate wieder. Selbst ohne unterlegten Text spürt der Hörer hier deutlich das Jubeln, Jauchzen und Frohlocken in der Musik, das wunderbar eine weihnachtliche Stimmung widerspiegeln kann.

Alessandros Sohn Domenico Scarlatti wiederum, der den größten Teils seines Lebens an den Königshöfen von Portugal und Spanien verbrachte, überzeugt in seinen Sonaten mit dem besonderen Einsatz des Cembalos als Soloinstrument. So auch in der heute zu hörenden Sonate C-Dur Pastorale K 513. Schon der Titel weckt dabei weihnachtliche Assoziationen, denn er lässt an die Hirten auf dem Felde denken, denen die himmlischen Heerscharen der Engel die Geburt Christi verkünden. Und auch durch die Musik kann beim Hören das Bild von einer freudig erregten Hirtenschar entstehen, die die Botschaft der Engel vernimmt. Dabei beweist Scarlatti eine erhebliche Virtuosität am Cembalo. Harmonisch, melodisch und formal zeigt die Sonate eine große Flexibilität. Sie ist gekennzeichnet von einem überaus hohen technischen Anspruch sowie einer ausgelassenen Spielfreue und Brillanz. Das zeigt sich insbesondere in den schnellen, in Zweiunddreißigstel-Noten abwärts laufenden Melismen sowie dem beschwingten punktierten Rhythmus, der sich durch die ganze Sonate zieht.

Das Besondere an den Sonaten op. 1 von Giovanni Antonio Piani, aus denen heute die Nummer 4 in G-Dur gespielt wird, sind die schon im Erstdruck gesetzten Dynamik-Bezeichnungen wie crescendo, decrescendo und messa di voce. Solche ausdrücklichen Spielanweisungen finden sich zu der Zeit zwar auch schon bei anderen Komponisten, zur Norm werden sie allerdings erst im weiteren Laufe des 18. Jahrhunderts. Der aus Neapel stammende Piani widmet diese 1712 veröffentlichte Sammlung von zwölf Sonaten für Flöte und Basso continuo Louis-Alexandre de Bourbon, in dessen Diensten er zu der Zeit in Paris steht. Für den Druck erhält Piani ein zehnjähriges königliches Privileg, das Nachdrucke zunächst verhindern soll.

Musikalisch, strukturell und im Hinblick auf die Besetzung: alle Kompositionen des heutigen Abends haben bestimmte Charakteristika, durch die sie sich von den anderen Werken unterscheiden. Gerade darin zeigt sich die Vielfalt in der Musiksprache des Spätbarocks.

Frauke Kniffler
Der Textbeitrag entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit von musik + konzept e.V. mit dem Master-Studiengang Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln (Vertr.-Prof. Dr. Corinna Herr).

Mitwirkende

Susanne Regel – Oboe

G.A.P. Ensemble
G.A.P. Ensemble
Emilio Percan – Violine
Oriol Aymat Fusté – Violoncello
Luca Quintavalle – Cembalo