Saison 2018/2019: Konzert 3

Sonntag, 18. November 2018 Trinitatiskirche 17 Uhr

Nostalgia d’Italia

Musik des 17. Jahrhunderts im Stylus phantasticus CordArte Cordarte Sendung auf WDR 3 am Montag am 11. Februar 2019 ab 20:04 Uhr

In Italien entdeckte man um 1600 das expressive Potenzial der Monodie, der akkordisch begleiteten Solo-Stimmen, nicht nur für die Oper, sondern ebenso für die Instrumentalmusik. Im so genannten Stylus phantasticus folgte man ihr mit Leidenschaft und Experimentierlust. Italiens komponierende Virtuosen trugen diese Kunst in den Norden, und so wurde ihre Heimat für Generationen zum Leitbild musikalischer Sehnsüchte. Das Kölner Ensemble CordArte stellt Kostbarkeiten dieser frühen instrumentalen Virtuosenkunst vor.

Programmfolge

Girolamo Frescobaldi (1583-1643) Toccata per Spinettina e Violino Giovanni Bassano (1551-1617) Ricercare für Violine solo Giovanni Battista Fontana (um 1571-1630) Sonata V für Violine und Basso continuo ** Vincenzo Bonizzi (um 1580-1630) Diminution über Cipriano de Rores Madrigal La bella netta ignuda e bianca mano für Viola da gamba und Basso continuo Girolamo Frescobaldi Canzona La Tromboncina für Viola da gamba und Basso continuo Pietro Antonio Mariani (um 1596-1640) Canzona a due alla bastarda über das Deo Gratias La Guaralda für Violine, Viola da gamba und Basso continuo ** Girolamo Frescobaldi Cento Partite sopra Passacagli für Cembalo Alessandro Stradella (1639-1682) Sonata für Violine, Basso obligato und Basso continuo ** Pater Marianus (1657-1701) Sonata ex a für Violine und Basso continuo Riccardo Rognoni (um 1545-1620)7 Diminution über Cipriano de Rores Madrigal Anchor che col partire für Viola da gamba und Basso continuo Dario Castello (1600-1658) Sonata IV für Violine, Viola da gamba und Basso continuo ** Marco Uccellini (1603-1680) Sonata La Luciminia contenta für Violine und Basso continuo Sonata XI aus Ozio Regio op. 7 für Violine und Viola da gamba Toccata La Laura rilucente für Violine und Basso continuo ** Giovanni Salvatore (um 1622-um 1688) Toccata II del nono tuono naturale für Cembalo Giovanni Antonio Pandolfi Mealli (1620-1669) Sonata op. 3,1 La Stella für Violine und Basso continuo Konzert ohne Pause

Phantastisches aus dem Mutterland der Musik

Der Stylus phantasticus eignet sich für Instrumente und ist die freieste und lockerste Komponierweise, die an nichts anderes – weder Worte noch Harmonien – gebunden ist und dazu dient, eine charakteristische, von der Harmonie losgelöste Spielweise an den Tag zu legen und eine Satzart mit individuellen harmonischer Wendungen und Fugen vorzuführen. Man teilt sie in jene Gattungen ein, die gemeinhin Phantasien, Ricercare, Toccaten und Sonaten genannt werden.

Dank Athanasius Kircher, dem gelehrten Jesuiten am Collegium Germanicum in Rom, konnte man 1650 erstmals in einer wissenschaftlichen Abhandlung, der Musurgia universalis, von einem Phänomen lesen, das der Musikwelt schon seit Generationen vertraut war: das freie instrumentale Musizieren, bei dem die Virtuosität im Vordergrund steht und sich die Eingebungen der Phantasie auch schon einmal über die Regeln der Harmonie hinwegsetzen. Um 1600 hatte man in Italien das expressive Potenzial der Monodie, der akkordisch begleiteten Einzelstimme, als vielversprechenden Weg in die musikalische Zukunft entdeckt. Sängerinnen und Sänger bewegten bald in Solo-Madrigalen, bald in ganzen Opern die Herzen der Zuhörer. Und so mancher Instrumentalist stand ihnen da in nichts nach. Biagio Marini spielte so hervorragend, dass er die Lieblichkeit der Harmonie mit einem geradezu natürlichen Ausdruck der Worte verband und so die Zuhörer fast in Ekstase versetzte, berichtet da ein Chronist über jenen Violinisten aus Brescia, der als erster europaweit gefragter Stargeiger der Geschichte gelten kann und vielerorts nördlich der Alpen eine bis heute anhaltende Sehnsucht nach der hochvirtuosen und gleichzeitig tiefemotionalen Musik Italiens weckte.

Dass Marini in seinem Heimatland hervorragende Vorläufer, Zeitgenossen und Nachfolger hatte, zeigt das heutige Programm in einer repräsentativen Komponisten- und Werkauswahl. Da ist selbst die Gattung der Toccata nicht nur einem Instrument vorbehalten – wo doch toccare ursprünglich das improvisationsartige Berühren der Tasten bedeutet, mal in geschwinden Passagen, mal in beruhigenden oder auch spannungsreichen Akkordfolgen. Die Toccata gilt als ein Markenzeichen von Girolamo Frescobaldi, der aus Ferrara stammte und seit 1608 als Organist am Petersdom in Rom amtierte. Mit der Toccata per Spinettina e Violino liefert er gleich einen Sonderfall der Monodie: Hier ist das Akkordinstrument nicht auf die Begleitfunktion beschränkt, sondern liefert sich mit der Violine geradezu einen Wettstreit darum, wer einen musikalischen Gedanken am besten ausdrücken kann. Das Stück findet sich 1628 in der zweiten Ausgabe von Frescobaldis Canzoni per sonare, einer frühen Sammlung instrumentaler Ensemblemusik. Und da gibt es außerdem jene Canzona La Tromboncina, deren Beiname darauf hindeutet, dass sie ursprünglich einmal mit einer Posaune als Solostimme ausgeführt wurde. Alleine auf dem Tasteninstrument zeigt Frescobaldi in seinen Cento partite sopra passcagli dann noch, wie man ein eingängiges Harmoniemodell hundertfach variieren kann, ohne dass es nur einmal langweilig wird.

Das Vorbild Frescobaldi hallt noch lange in den Werken der folgenden Generationen nach. Wie in der Toccata II zeigt das Giovanni Salvatore mannigfach in seinen Orgel- und Cembalowerken, die er 1641 in seiner Wahlheimat Neapel veröffentlichte; dort war er damals der Organist an der Kirche San Severino.

Als Wiege virtuoser instrumentaler Ensemblemusik darf die selbstbewusste Stadtrepublik Venedig mit dem Markusdom und der ihm angegliederten Ratskapelle gelten. Eine führende Rolle unter den Instrumentalisten kam dort während der Amtszeit der Organisten und visionären Komponisten Andrea und Giovanni Gabrieli dem Violine und Zink spielenden Giovanni Bassano zu. Der Druck seiner Diminutionslehre Ricercate, Passaggi et Cadentie per potersi essercitar nel diminuir von 1585 stellt eine der frühesten Anleitungen zu jener wegweisenden Kunst dar, ein Vokalstück im instrumentalen Vortrag virtuos auszuzieren. Die Violine führt das heute in einem seiner Ricercare vor.

Etwa zur gleichen Zeit kam der Instrumentalist Riccardo Rognoni aus der Bergregion des lombardischen Val Taleggio in die Dienste des spanischen Regenten von Mailand, Carlo de Aragona. Kurz darauf gab Rognoni seine Instrumentalschule für Bläser und Streicher heraus: die Passaggi per potersi esercitare nel diminuire terminatamente con ogni sorte d'instrumento – ein Schwesterwerk zu Bassanos Veröffentlichung. Ein beliebter Gegenstand der Diminutionskunst ist das Madrigalwerk des franko-flämischen Renaissancekomponisten Cipriano de Rore, der vornehmlich in Ferrara und Parma Karriere machte. Das zeigt noch eine Generation nach Rognoni Vincenzo Bonizzi, Organist und späterer Kapellmeister am Dom von Parma, in seiner 1626 in Venedig gedruckten Ausgabe von Vokalstücken passagiate principalmente per la viola bastarda. Mit der Viola bastarda, die da mit atemberaubendem Passagenspiel bedacht wird, ist eine Gambe gemeint, die vom Bass bis in die Sopranregionen steigen kann. An etwas entlegener Stelle findet sich noch eine Kirchensonate mit einem hohem und einem tiefem Soloinstrument alla bastarda: im Anhang zu geistlichen Vokalwerken des Veroneser Domkapellmeisters Carlo Milanuzzi, die 1622 unter dem Titel Armonia Sacra im Druck erschienen. Die betreffende Sonate stammt aus der Feder eines gewissen Pietro Antonio Mariani und hat eine liturgische Deo gratias-Melodie zur Grundlage.

In der ersten Hälfe des 17. Jahrhunderts, zu Zeiten des Domkapellmeisters Claudio Monteverdi, tat sich ein gewisser Dario Castello unter Venedigs Instrumentalvirtuosen hervor – zumindest kompositorisch, denn in den alten Musikerlisten sucht man seinen Vornamen vergeblich. Da findet sich aber ein Giovanni Battista Castello, der Violine spielte und auch den Dulzian, das frühbarocke Fagott. Er war es wohl, der erstmals 1629 unter dem Alias Dario Sonate concertate in stil moderno für zwei bis vier Oberstimmen-Instrumente und Basso continuo veröffentlichte. Als Novum liefert Castello teilweise konkrete Besetzungsangaben für die einzelnen Partien. Die Sonate des heutigen Programms stammt aus seinem zweiten Buch von 1640.

Im Venedig Castellos dürfte auch Giovanni Antonio Pandolfi Mealli ausgebildet worden sein, der in den 1650er Jahren nach Innsbruck an den Hof des Tiroler Erzherzogs Ferdinand Karl von Habsburg kam. Dessen jüngerem Bruder und Nachfolger Sigismund Franz hat der Geiger 1660 sein Opera 3 und 4 gewidmet, Sammlungen mit Violinsonaten für Kirche und Kammer, von denen jede den Namen einer Persönlichkeit aus dem Umfeld des Komponisten trägt. La Stella ist eine Hommage an den ebenso gelehrten wie musikalischen Zisterzienser-Prior Benedetto Stella in Perugia – dort hat Pandolfi Mealli offenbar einige Zeit verbracht, bevor er über die Alpen zog.

Auch Marco Uccellini, der als Kaplan und Konzertmeister am Fürstenhof der Familie Este in Modena angestellt war, hat seine virtuosen Instrumentalwerke gelegentlich mit charakterisierenden Namen versehen. Da kann es in den Sonaten, die 1645 als sein Opus 4 in Venedig erschienen, um eine zufrieden(gestellt)e Luciminia oder eine glänzende Laura gehen, ohne dass wir sagen könnten, wer oder was genau sich dahinter verbirgt.

Giovanni Battista Fontana stammte wie der eingangs erwähnte Biagio Marini aus der Geigenstadt Brescia; er beeindruckte aber auch in Rom, Padua und Venedig mit seiner Kunst. Seine Sammlung Sonate a 1.2.3. per il Violino, o Cornetto, Fagotto, Chitarone, Violoncino o simile altro Istromento vermachte er kurz vor seinem Tod 1631 der Kirche Santa Maria delle Grazie in der Lagunenstadt; sie erschien posthum 1641 im Druck.

Der jüngste unter den italienischen Komponisten in der heutigen Werkauswahl ist Alessandro Stradella, dessen kurzes, aber bewegtes Leben später den Stoff für eine Oper abgab: Er wurde in Genua das Opfer eines Mordes aus Eifersucht, dem eine Liebesaffäre in Venedig, eine Flucht nach Turin und daraus resultierende diplomatische Verwicklungen zwischen Savoyen und Frankreich vorangegangen waren. Stradella komponierte vornehmlich Vokalmusik, darunter zahlreiche Opern und Oratorien. Die Instrumentalkompositionen, die er oft en passant in die Gesangswerke einstreut, zeigen ihn als genialen Experimentator mit den Formen. Seine Sonate für Violine, obligate Bassstimme und Basso continuo changiert zwischen dem Dialogspiel der beiden Oberstimmen und dem kompakten Triosonatensatz. Da ist schon im Kern angelegt, was sich bald in üppiger Ensemblebesetzung als Concerto grosso entfalten wird.

Im Zentrum des Programms hat sich außerdem unter seinem Ordensnamen Pater Marianus ein deutscher Komponist in die italienische Komponistenschar eingereiht, dessen musikalische Orientierung am Süden in jedem Takt spürbar ist: Der Franke Johann Baal lässt sich Ende der 1670er Jahre als Organist des Fürsterzbischofs von Bamberg nachweisen und trat 1685 in das Benediktinerkloster Münsterschwarzach ein – da nahm er den Namen Marianus an. Neben geistlichen Vokalwerken kennen wir mit der Sonata ex a eine Instrumentalkomposition von ihm. Ihr Stil legt nahe, dass Baal selbst phantastisch Geige gespielt hat.

behe

Mitwirkende

CordArte: Daniel Deuter – Violine Heike Johanna Lindner – Viola da gamba, Lirone Markus Märkl – Cembalo

Im heutigen Konzert spielt Daniel Deuter eine Violine nach dem langen Modell von Antonio Stradivari, erbaut von Tilman Muthesius, und Heike Johanna Lindner eine Gambe nach Richard Blunt (London 1591) von Christian Brosse. Das Cembalo von Markus Märkl nach einem flämischen Vorbild von Johannes Couchet (Antwerpen 1645) stammt von Burkhard Zander.
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