Saison 2001/2002: Konzert 1

Sonntag, 30. September 2001 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks 17 Uhr

Europäische Madrigale

Werke von Johann Hermann Schein, Heinrich Schütz, Claudio Monteverdi u.a. Cantus Cölln Sendung im Deutschlandfunk am 9.10.2001

Liebe und Leid, Tanzen und Springen, Trauer und Klage, Lust und Verlangen: aus diesem reichen Fundus an Themen schöpft das Madrigal. Madrigale entstehen im Italien des 16. Jahrhunderts zunächst als Dichtung und erst dann als vokale Gesellschaftskunst privater Liebhaberzirkel. Der Praxis dieser weltlichen, ausgesprochen kammermusikalischen Gesangskunst widmet sich eines der besten gegenwärtigen Gesangsensembles: Cantus Cölln. Das Zentrum seiner musikalischen Arbeit liegt in Interpretationen deutscher und italienischer Vokalmusik der Renaissance und des Barockzeitalters. Diesen Kreis wird Cantus Cölln mit einer Auswahl europäischer Madrigale vor unseren Ohren ausschreiten. Dabei berühren die komponierten Texte die Extreme sowohl des Lamentos als auch des Tanzliedes. Die erklingenden Madrigale sind lustig, traurig, schmeichelnd oder ernsthaft - auf jeden Fall sind sie ein Ohrenschmaus!

Programmfolge

Johann Hermann Schein (1586-1630)
Aurora schön mit ihrem Haar
Frischauf, ihr Klosterbrüder mein

Claudio Monteverdi (1567-1643)
Ninfa che scalza il piede

Georg Forster (1510-1586)
Vitrum nostrum gloriosum

Johann Steffens (1560-1616)
Der Kuckuck auf dem Zaune saß

Ludwig Senfl (1486-1543)
Es hett ein Biedermann ein Weib

Claudio Monteverdi
Lamento della Ninfa

Giaches de Wert (1535-1596)
Vezzosi augelli
Dica chi vuol

Valentin Rathgeber (1682-1750)
Von der Solmisation in der Musik

PauseE

Heinrich Schütz (1585-1672)
O primavera (1.Teil)
O dolcezze amarissimi d'amore (2. Teil)
Fiamma ch'allaccia

Claudio Monteverdi
Alle danze
Pur ti miro, pur ti godo

Johann Herrmann Schein
Cupido blind, das Venuskind
O Sternenäugelein
O kickehihi, kakakanei

Claudio Monteverdi
Ohimé il bel viso

Ein madrigalistischer Nachmittag - ein abwechslungsreicher Nachmittag

Bach-Kantaten und eine venezianische Vespermusik Giovanni Rovettas - recht anspruchsvolle geistliche Kunst war es, die wir bislang im Forum Alte Musik Köln vorgestellt haben. Für heute haben wir uns einen ganz anderen, weniger ernsten Repertoirebereich ausgewählt: das weltliche Madrigal. An Italiens Höfen erlebte es im 16. und frühen 17. Jahrhundert seine Blütezeit, im akademischen Deutschland griff man es (ein wenig zeitversetzt) freudig auf und würzte die amourös-pastorale Kost gerne einmal mit mehr als nur einer Prise Frivolität und Derbheit. Unsere "europäische", nämlich auf das Repertoire dies- und jenseits der Alpen ausgerichtete Auswahl verspricht deshalb eine Menge Kontraste innerhalb der stilistischen Einheit, die man hinter einem Begriff wie "Madrigal" auf den ersten Blick erwarten darf. Und das hat gerade in der Konzertdarbietung seinen ganz besonderen Reiz - für die Interpreten und, so denke ich, auch für Sie, die Zuhörer.

"Madrigali guerrieri et amorosi" überschrieb Monteverdi sein achtes Madrigalbuch, aus dem wir einige seiner Kompositionen für das heutige Programm entnommen haben - da schwingt etwas von jenem "Sex & Crime"-Erfolgsrezept mit, das natürlich keine Erfindung unserer Tage ist und auch damals das Publikum in die Oper zog (mit "Pur mi tiro", dem Schlussduett aus Monteverdis "Krönung der Poppea", haben wir unserem Madrigalprogramm übrigens auch ein Stück venezianische Oper gestattet). "Scherzi musicali", "Diletti pastorali" oder "Studenten-Schmauß" - so lauten die Titel anderer Sammlungen der Zeit, in denen wir Passendes fürs heutige Konzert fanden, Liedhaftes, Tänzerisches, Lyrisches, Absurdes... Freuen Sie sich also mit uns auf einen keineswegs anspruchslosen, sicher aber abwechslungsreichen, unterhaltsamen Nachmittag!
Konrad Junghänel

Europäische Madrigale

Als poetisch-musikalische Kunstform im Italien des 14. Jahrhunderts entstanden, hat das Madrigal im 16. Jahrhundert eine starke Veränderung erfahren. Es wurde zur wichtigsten Form weltlicher italienischer Musik und hat sich parallel zu den Dichterkreisen auf der Halbinsel entwickelt. Die Musik dieses expressiven und raffinierten Genres -- weltliches Äquivalent der Motette -- wird sehr stark vom Text bestimmt. Es geht um Leben, Liebe, Leidenschaft und Tod, dargestellt durch bestimmte Techniken, die so genannten "Madrigalismen"...

Nach mehr als 20 Jahren Tätigkeit am Hofe von Mantua erhielt Claudio Monteverdi 1613 das prestigereichste Amt, zu dem ein Musiker seiner Epoche ernannt werden konnte: das des Kapellmeisters an San Marco in Venedig. Selbst wenn seine Hauptaufgaben darin bestanden, die sakrale Musik an San Marco neu zu organisieren - was er mit viel Geschick in Angriff nahm - widmete sich Monteverdi in den folgenden Jahren weiterhin der dramatischen Vokalmusik, die in Mantua im Zentrum seines schöpferischen Wirkens gestanden hatte. Das Madrigal hatte zu dieser Zeit seinen Höhepunkt erreicht. Durch die Gestaltungsfreiheit und die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten (die sich dem Hörer am deutlichsten in Passagen mit ausgeprägter Chromatik offenbaren), entstanden wahrhaftige musikalische Gedichte.

Das heutige Programm zeigt, dass das Madrigal nicht ein rein italienisches Genre geblieben ist,sondern im Laufe der Jahre auch in Deutschland und Flandern seine Anhänger gefunden hat. Giaches de Wert, nach Italien emigrierter Flame, gehört zu den Komponisten, die am Ende der Renaissance das Madrigal als ideales Ausdruckmittel betrachteten. Berühmter Vorgänger Monteverdis am Hofe von Mantua, hat er die virtuosesten Stücke für die "Damen von Ferrara" komponiert - seinerzeit als Sängerinnen beiderseits der Alpen hochberühmte Hofdamen im Palast der Este. Seine Madrigale zählen zu den genialsten Vorgängern der "seconda prattica", jener frühbarocken Kompositionsweise,die sich zugunsten der Expressivität von den engen Regeln des Kontrapunkts löste.

Eine sowohl biographisch als auch wirkungsgeschichtlich zentrale Rolle nehmen auch die neunzehn Madrigale ein, die der 26-jährige Heinrich Schütz 1611 unter dem Titel "Il primo libro de madrigali" in Venedig veröffentlichte. Der "Vater der deutschen Barockmusik" hatte sein Handwerk in Italien bei niemand Geringerem als Giovanni Gabrieli erlernt, dem bedeutendsten Vertreter der venezianischen Mehrchörigkeit. Durch die neunzehn Stücke hat der ehemalige Schüler aber nicht nur seinen Lehrer übertrumpft, sondern sich auch ein Fundament für seine späteren geistlichen Werke geschaffen.

Obwohl Johann Hermann Schein hauptsächlich durch seine geistlichen Konzerte bekannt geworden ist, hat er sich ebenfalls dem Madrigal gewidmet. 1624 komponierte er die "Diletti pastorali", deren Texte ebenfalls aus seiner Feder stammen. Diese fünfstimmigen Madrigale können als weltliches Pendant zu den ein Jahr zuvor erschienenen geistlichen Madrigalen des "Israels Brünnlein" betrachtet werden. Doch nicht nur auf die italienischen Vorbilder konnte Schein bei seinen weltlichen Gesangsstücken zurückgreifen, die zu einem großen Teil dem sorglos-geselligen Musizieren in Leipziger Studentenkreisen entsprungen sind: Auch die bodenständige Tradition des deutschsprachigen Liedes scheint in seinen kapriziösen Madrigalen allerorten durch.

Eine Tradition, zu der auch ein Erz-Humanist wie der vornehmlich in Österreich und im Süddeutschen wirkende Ludwig Senfl in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Entscheidendes beigetragen hatte. Sein Lied "Es hett ein Biedermann ein Weib" erschien erstmals 1535 in einem Sammeldruck mit "Gassenhawerlin", zu einer Zeit, in der sich der Komponist als Mitglied der Münchner Hofkapelle etabliert hatte und sich in wachsendem künstlerischem Ruhm sonnen konnte. Ähnliche Sammeldrucke, deren blumige Titel zurecht "schöne, fröliche, frische alte und newe teutsche Lieder" versprachen, edierte zwischen 1530 und 1556 der Arzt und Humanist Georg Forster in Nürnberg und griff dabei mit großem Erfolg ebenso auf Stücke aus eigener Feder wie auf das Schaffen seiner älteren und jüngeren Zeitgenossen (nicht zuletzt Senfls) zurück.

Die weltlichen Vokalkompositionen des Lüneburger Organisten Johann Steffens gab sein Sohn Heinrich postum 1619 bezeichnenderweise unter dem Titel "Newe teutsche weltliche Madrigalia und Baletten" heraus - ein Beleg für den Einfluss der italienischen Kunst auch auf den deutschen Norden.

Einen Nachklang der Madrigal-Blüte des 17. Jahrhunderts lieferte schließlich der Benediktiner Johann Valentin Rathgeber, Chormeister am Kloster Banz. Frucht seiner (unerlaubten) Reise durch Süd- und Südwestdeutschland 1733 war sein "Ohren-vergnügendes und Gemüth-ergötzendes Tafel-Confect", das bis 1746 mehrere Auflagen erlebte und ihm größeren Nachruhm sicherte als seine ambitionierten Publikationen mit Kirchenmusik.

K.J./behe

Mitwirkende

Cantus Cölln:

Johanna Koslowsky
Elisabeth Popien
Hans Jörg Mammel
Wilfried Jochens
Stephan Schreckenberger

Konrad Junghänel, Ltg.