Saison 2002/2003: Konzert 8

Sonntag, 18. Mai 2003 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Siroe, Rè di Persia HWV 24 B

Oper von Georg Friedrich Händel Cappella Coloniensis Ltg. Andreas Spering Sendung im Deutschlandfunk am 25.5.2003

Händels Oper "Siroe" gehört zu den weniger bekannten und deshalb noch für das breite Publikum zu entdeckenden Werken. 1728 im Londoner King's Theatre uraufgeführt, ist sie die erste Oper, die einem Libretto Pietro Metastasios folgt. Typisch für die Opera seria ist auch in Händels "Siroe" die Verquickung eines privaten Konfliktes (Liebeshandlung) mit einer politischen Affaire (Staatshandlung). Aus den Wirren vielschichtiger Intrigen geht der Held Siroe am Ende siegreich hervor und wird - nachdem er allen Versuchungen zum Trotz seine Führungsqualitäten, vor allem aber seine Barmherzigkeit bewiesen hatte - mit der Geliebten vermählt und zum neuen König ausgerufen.

In Zusammenarbeit mit dem WDR Köln

Programmfolge

Georg Friedrich Händel

"Siroe, Rè di Persia"

Opera in tre atti (London 1728)
Text von Pietro Metastasio

Konzertante Aufführung

Pause im zweiten Akt nach der Arie des Medarse "Frà l'orror della tempesta"

"...wie Senesino sich verschnupft hat..."
Metastasios "Siroe" in London

Georg Friedrich Händels Oper "Siroe" bildet zusammen mit "Riccardo, rè d'Inghilterra" und "Tolomeo" das "Triptychon der Königsopern" des Jahres 1728 und hatte am 5. Februar im Londoner Haymarket Theatre Premiere. Erstmals vertonte Händel hierbei ein Textbuch des damals in London noch weitgehend unbekannten jungen "Shootingstars" der italienischen Opernbühne: Pietro Antonio Trapassi (1698-1782), genannt Metastasio, der schließlich allein mit 27 Opernlibretti - die von rund 260 Komponisten ca. 850-mal in Musik gesetzt wurden - zum Inbegriff italienischer Oper und Dichtung des 18. Jahrhunderts werden sollte.

"Il mio Siroe è alle stelle" ("Mein Siroe ist im Höhenflug") hatte der damals 27-Jährige seinem Bruder Leopoldo aus der Venezianischen Karnevalssaison 1726 berichten können. Vier Jahre nach seinem erfolgreichen Operndebüt mit "Didone abbandonata" in Neapel (Musik von Domenico Sarrò) wurde sein zweites Libretto "Siroe, rè di Persia" bereits in der europäischen Opernmetropole uraufgeführt - diesmal mit Musik von Leonardo Vinci. Mit diesem fast gleichaltrigen wichtigen Mitbegründer der "Neapolitanischen Opernschule" sollte Metastasio eine tiefe und äußerst kreative Freundschaft verbinden, die jedoch durch den frühen Tod Vincis im Jahr 1730 ein abruptes Ende fand. Bis dahin hatten beide noch fünf weitere große Opernuraufführungen gemeinsam bestritten: "Catone in Utica", "Semiramide riconosciuta", "La Contesa dei Numi", "Alessandro nell'Indie" und "Artaserse".

Die durch und durch musikalische Anlage der Libretti Metastasios ist allgemein bekannt: Er schrieb die einzelnen Partien bereits im Hinblick auf bestimmte Sänger, vertonte sie probeweise selbst, um ihre Singbarkeit zu prüfen, und arbeitete während der Vorbereitungszeit einer Opernpremiere eng mit den jeweiligen Komponisten zusammen. Auch in "Siroe" findet sich alles, was einen "guten Metastasio" ausmacht: Die Handlung - Macht, "Sex and Crime" am persischen Königshof vor rund 2.500 Jahren - ist spannend wie ein Krimi, die vielfältigen Intrigen sind überaus raffiniert angelegt, die Charaktere fein gezeichnet und in ihrem Verhalten und ihren Nöten lebendig und absolut glaubhaft.

Im Mittelpunkt steht der zukünftige König Kyros II. (559-529 v. Chr.), Begründer des persischen Großreiches der Archämeniden, der für seine verantwortungsbewusst-kluge Herrschaft und für seine Toleranz gegenüber den Sitten und Religionen unterworfener Völker in die Geschichte eingegangen ist. Solche historischen Charaktere und deren mögliche Bedeutung für das Theaterpublikum seiner Zeit interessierten Metastasio - und zwar nicht in ihrer Funktion als Herrschende (wie etwa in späteren Werken, die er für den Wiener Hof konzipierte), sondern als Menschen von persönlicher Größe in ihrem höchst menschlichen Umfeld. Und so hat Kyros (Siroe) in Metastasios Opernlibretto als beim Volk überaus beliebter, aber ziemlich selbstgerechter Kronprinz u.a. gegen die Machenschaften seines bösartigen Bruders, die Gängeleien seiner Geliebten und den Liebesentzug seines Vaters zu kämpfen. "Istruir dilettando il genere umano": "die Menschen durch Unterhaltung bilden", lautete das Lebensziel Metastasios, wie er es in einem Brief an seinen engen Freund Carlo Broschi (den Kastraten Farinelli), 1750 formulierte - eines der erklärten Ziele der europäischen Aufklärung. "Die Handlung muss einfach, gefühlvoll und heldenhaft sein, römisch, griechisch oder auch persisch...", schrieb der Textdichter Giuseppe Riva 1725 über den Londoner Publikumsgeschmack. War er es, der Händel jenes "persische" Libretto des jungen Metastasio empfahl? Dieses hatte bereits im Jahr seiner Uraufführung eine weitere musikalische Umsetzung durch Nicola Porpora in Rom erlebt (in Anwesenheit der englischen Königin Clementina!) und war 1727 von Sarrò in Neapel und - als Pasticcio - von Antonio Vivaldi in Reggio Emilia vertont worden. Weitere 33 Vertonungen in ganz Europa sollten folgen; einzelne Ausschnitte - insbesondere die Arie der Laodice "Mi lagnerò tacendo" aus dem zweiten Akt - noch weit über Metastasios Tod hinaus Komponisten von Mozart über Beethoven bis hin zu Rossini inspirieren.

Sowohl für Porpora als auch für Sarrò hatte Metastasio selbst eine spezielle Textfassung von "Siroe" erstellt und jene von Sarrò vertonte Version später als die definitive Fassung u.a. in die Gesamtausgabe seiner Werke aufgenommen. Sie diente wohl auch Nicola Haym als Grundlage für seine Adaptation des Textbuches auf die Londoner "Bedürfnisse". Das hieß vor allem: strenge Konzentration der Handlung um den Titelhelden - interpretiert von dem Starkastraten Francesco Bernardi (genannt "Senesino") - sowie Gewährleistung zweier gleichwertiger Partien für die beiden Primadonnen Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni. Im Verhältnis zu anderen Bearbeitungen Hayms fielen die Änderungen an "Siroe" quantitativ gering aus, hatten aber dennoch verheerende Folgen für die Textaussage. Vor allem die massiven Kürzungen der Dialoge gingen erheblich auf Kosten von Metastasios feiner Charakterisierungskunst und ließen die Figuren nunmehr schablonenhaft, ihre Reaktionen unmotiviert und teilweise unverständlich erscheinen - ein Makel, den jedoch Händels musikalische Charakterisierungskunst auf anderer Ebene auszugleichen verstand. (Für die heute erklingende Konzertfassung wurden weitere Kürzungen in den Rezitativen vorgenommen, außerdem die Partie des Generals und Siroe-Freundes Arasse, die bereits Haym und Händel ausschließlich auf Secco-Rezitative reduziert hatten, komplett gestrichen.)

Die Premiere von Händels "Siroe" fiel in eine höchst turbulente Zeit im Londoner Kulturleben: Jene bereits seit rund zehn Jahren andauernde "Opernekstase", die die Royal Academy of Music im Haymarket Theatre, einem der modernsten Bühnenhäuser Europas, unter der Federführung des Intendanten Johann Jakob Heidegger und Georg Friedrich Händels mit Hilfe der besten und berühmtesten Sänger der Zeit hervorgerufen hatte, ging langsam aber sicher ihrem Ende entgegen. Seit 1726 hatte sich, durch das Engagement der temperamentvollen, brillanten und hübschen Faustina Bordoni als zweiter Primadonna neben Francesca Cuzzoni, das Klima vor und hinter den Kulissen erheblich verschärft. So konnte John Arbuthnot in seinem satirischen Pamphlet "In St. James ist der Teufel los" nicht nur von "gar schrecklichen und blutigen Gefechten zwischen Faustina und Madame Cuzzoni" berichten, sondern auch von "hitzigen Scharmützeln zwischen Signor Boschi und Sig. P..." und davon, "wie Senesino sich verschnupft hat, die Oper verlässt und Psalmen in Henleys Betkapelle singt".

Als wichtigster kreativer Seitenhieb auf die Zustände am königlichen Opernhaus hatte am 29. Januar 1728 - also eine Woche vor der Uraufführung von Händels "Siroe" - John Gays "Beggar's Opera" ("Bettleroper") im Theater am Lincoln's Inn Field ihre umjubelte Premiere: eine bissige Satire gegen die feine Londoner Gesellschaft und ihre geliebte Oper mit all ihren artifiziellen Inhalten und Formen (wie etwa jene obligatorische Kerkerszene, die Haym auch in "Siroe" einfügte...). In dem männlichen Protagonisten (Maceath, ein in jeder Beziehung "potenter" Mann) zwischen zwei keifenden Frauen konnte das Publikum dabei unschwer Senesino und seine beiden Primadonnen erkennen.

Nichtsdestoweniger wurde "Siroe" in der für London üblichen Spitzenbesetzung immerhin 18-mal aufgeführt: Neben Senesino in der Titelpartie und den beiden Primadonnen als die ihn begehrende Emira bzw. als Laodice waren der Bassist Carlo Boschi in der Partie des cholerischen Vaters Cosroe und Antonio Baldi als schlangenhaft-intriganter Medarse zu hören. Heute zählt "Siroe" - völlig zu Unrecht - sowohl zu den "unbekannten" Opernlibretti Pietro Metastasios, als auch zu den "unbekannten" Opern Georg Friedrich Händels.

Sabine Radermacher

Die Handlung

Erster Akt
König Cosroe von Persien will seinem zweitgeborenen Sohn Medarse auf Kosten des beliebten Kronprinzen Siroe die Thronfolge sichern. Die kambajanische Prinzessin Emira, heimliche Geliebte Siroes, lebt nach dem von Cosroe an ihrem Vater Asbite begangenen Mord als Mann verkleidet unter dem Namen "Idaspe" am persischen Hof. Ihrer Hoffnung auf Rache erteilt Siroe eine ebenso klare Absage wie den Liebesbeteuerungen Laodices, der Maitresse seines Vaters. Vielmehr versucht er, Cosroe durch einen anonymen Brief vor der Verschwörung zu warnen. Hierbei wird er jedoch überrascht und in seinem Versteck Zeuge der Verleumdungen Laodices - die ihn der sexuellen Nötigung bezichtigt - und seines Bruders. Siroe stellt sich als Verfasser des Briefes, ohne jedoch Verschwörer zu nennen. Während Medarse bereits den Thron in greifbarer Nähe glaubt, werden die beiden Frauen von Schuldgefühlen geplagt.

Zweiter Akt
Siroe hadert mit seinem Schicksal. Laodices Annäherungsversuche und Emiras Hasstiraden müde, will er sich ins Schwert stürzen. Der hinzukommende Cosroe versteht die Geste jedoch als Mordversuch an Idaspe-Emira und lässt Siroe gefangen nehmen. Wenig später wird Emiras Attentat auf Cosroe durch Medarse gestört. Mit geschickten Schmeicheleien geling es ihr jedoch, Cosroe erneut zu täuschen. Auch Medarse fingiert erfolgreich Opferbereitschaft zum Wohle des Vaters. In einem Gespräch unter vier Augen drängt Cosroe seinen Ältesten, ihm die Verschwörer zu nennen, stellt ihm die Hand Laodices und den Thron in Aussicht - andernfalls den Tod. Siroe schweigt. Erfolglos bittet Laodice Idaspe-Emira um Intervention für das Leben Siroes.

Dritter Akt
In der Stadt tobt ein Volksaufstand zugunsten Siroes. Cosroe hat dessen Exekution befohlen. Laodice gesteht Cosroe ihre Lüge, fleht - ebenso wie Emira - um das Leben des Prinzen. Erst Erinnerungen an Siroes Kindheit erweichen den König. Da bringt Medarse die Nachricht vom Tod Siroes. Außer sich vor Hass enthüllt Emira ihre wahre Identität und bestätigt dem entsetzen Cosroe die völlige Schuldlosigkeit des Sohnes. Wenig später verrät ihr Medarse seine Absicht, den Bruder persönlich zu töten. Und wirklich trifft Emira Siroe noch lebend an: Der königliche Exekutionsbefehl wurde bisher nicht ausgeführt. Sie kann Medarses Mordplan verhindern. Siroe verzeiht seinem Bruder. Indes sind Rebellen in den Palast eingedrungen. Siroe kommt seinem Vater zu Hilfe und verlangt von Emira, endgültig ihren Hass zu begraben. Cosroe gibt sein Einverständnis zur Hochzeit Emiras und Siroes. Siroe wird zum neuen König von Persien gekrönt.

S. R.

Mitwirkende

Ann Hallenberg (Siroe)
Johanna Stojkovic (Emira)
Sunhae Im (Laodice)
Gunther Schmid (Medarse)
Sebastian Noack (Cosroe)

Cappella Coloniensis

Andreas Spering