Saison 2004/2005: Konzert 4

Sonntag, 12. Dezember 2004 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Camerata Köln wird 25

Festliche Kammermusik von Telemann, Vivaldi, Fasch, Cannabich Camerata Köln Sendung im Deutschlandfunk am 21.12.2004

Welche Gäste sich das Geburtstagskind zur Jubelfeier eingeladen hat, verrät viel über die Qualität und Geschichte des gefeierten (und zu feiernden) Ensembles. Wer auch immer Rang und Namen in der barocken und frühklassischen Musik hat, darf selbstverständlich an der "Party" teilnehmen: Antonio Vivaldi, Georg Philipp Telemann, Johann Friedrich Fasch, Joseph Haydn, Christian Cannabich... und selbstverständlich auch Überraschungsgäste, z.B. frühere Mitglieder des um den Flötisten Michael Schneider gescharten Ensembles, die heute in alle Welt verstreut sind.

Programmfolge

Georg Philipp Telemann (1681-1767)
Concerto a-Moll TWV 52:a1
für Blockflöte, Viola da gamba, Violine, Viola und Basso continuo
Grave
Allegro
Dolce
Allegro

Antonio Vivaldi (1678-1741)
Concerto da camera D-Dur "La Pastorella" RV 95
für Traversflöte, Violine, Oboe, Fagott und Basso continuo
Allegro
Largo
Allegro

Georg Philipp Telemann
Trio c-Moll TWV 42:c2
für Blockflöte, Oboe und Basso continuo
Largo
Vivace
Andante
Allegro

Pause

Johann Friedrich Fasch (1688-1758)
Quartett B-Dur FWV N:B1
für Blockflöte, Oboe, Violine und Basso continuo
Largo
Allegro
Largo
Allegro

Joseph Haydn (1732-1809)
"Londoner" Trio Nr. 2 G-Dur Hob IV:3
für 2 Flöten und Violoncello
Spiritoso
Andante
Allegro

Christian Cannabich (1731-1798)
Quintett e-Moll op. 7,3
für 2 Flöten, Violine, Viola und Basso continuo
Tempo giusto
Andante affettuoso
Non tanto allegro

Grusswort

Liebe Konzertbesucher,

gleich zwei Ensemble-Geburtstage werden während dieser Spielzeit im Deutschlandfunk?Sendesaal gefeiert: Am 26. September konnte die Cappella Coloniensis auf 50 Jahre zurückblicken, heute ist es das Ensemble Camerata Köln, das seinen 25. Geburtstag feiert. Da wollen auch die Veranstalter selbst nicht abseits stehen: Das heutige Konzert ist das fünfzigste "Forum Alte Musik Köln". Als die Reihe am 22. November 1998 mit einem musikalischen Fest begann, hatte Köln längst den Ruf, eine Hochburg der Alten Musik von internationalem Renommee zu sein. Nirgendwo sonst in Deutschland gab und gibt es so viele hochqualifizierte Spezialisten für frühe Musik und historische Aufführungspraxis, mehr als 30 Ensembles haben hier ihren Sitz und produzieren hier viele ihrer Studioaufnahmen, zum großen Teil sind sie international bekannt, teilweise tragen sie den Namen der Stadt im Ensemblenamen: Cappella Coloniensis, Cantus Cölln, Concerto Köln, Musica Antiqua Köln, Camerata Köln, Kölner Kammerchor, Sequentia, Musica Fiata, Collegium Cartusianum, Das Neue Orchester, Rheinische Kantorei, Das Kleine Konzert, Trio 1790... In ganz Europa, teilweise darüber hinaus, treten sie auf, doch was ihnen in ihrer Heimat fehlte, war die gemeinsame Plattform. Sie wurde durch dieses Forum geschaffen. Und der Deutschlandfunk als Teil des nationalen Hörfunks wäre mit Blindheit geschlagen gewesen, hätte er diese blühende Musiklandschaft vor seiner Haustür nicht wahrgenommen, gefördert und für seine Programmzwecke nutzbar gemacht.

Das 50. "Forum Alte Musik Köln" möchte ich zum Anlass nehmen, um Dank zu sagen: unserem Partner, dem Kulturamt der Stadt Köln; unseren Förderern: dem Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der SK Stiftung Kultur; den Organisatoren: dem Verein musik+konzept sowie allen Helfern hinter den Kulissen - und nicht zuletzt Ihnen, unserem Publikum: Ihr stetes Interesse zeigt uns, dass es allerhöchste Zeit war für ein solches Forum, und ermuntert uns, mit den bekannten und manchen sich neu formierenden jüngeren Ensembles zunächst einmal das 100. Konzert anzupeilen...

Ludwig Rink
Deutschlandfunk

Europaweit stilbewusst

"Wenn man aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik, mit gehöriger Beurtheilung, das Beste zu wählen weis: so fließt daraus ein vermischter Geschmack, welchen man, ohne die Gränzen der Bescheidenheit zu überschreiten, nunmehr sehr wohl: den deutschen Geschmack nennen könnte: nicht alleine weil die Deutschen zuerst darauf gefallen sind; sondern auch, weil er schon seit vielen Jahren, an unterschiedlichen Orten Deutschlands, eingeführet worden ist, und noch blühet, auch weder in Italien, noch in Frankreich, noch in andern Ländern misfällt."

Dass sich der königlich-preußische Kammermusikus Johann Joachim Quantz in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen 1752 die "Unbescheidenheit" erlauben konnte, den Mitte des 18. Jahrhunderts international geschätzten Vermischten Geschmack als "deutschen Geschmack" zu apostrophieren, hatte er in erster Linie seinem Kollegen und Freund Georg Philipp Telemann zu verdanken. Schon in jungen Jahren, während der Hofkapellmeisterzeit im schlesischen Sorau zwischen 1708 und 1711, war Telemann nach eigener Aussage einer stattlichen Menge von französischen Kompositionen "des Lulli, Campra und andrer guten Meister habhaft" geworden, hatte er aber gleichzeitig Inspirationen aus der polnisch-mährischen Volksmusik bezogen und "in einen italiänischen Rock, mit abgewechselten Adagi und Allegri" eingekleidet. Inzwischen als Hamburger Musikdirektor etabliert und gleichzeitig als sein eigener Musikverleger tätig, lancierte er seit den 1730er Jahren verschiedene Druckveröffentlichungen mit europaweiter Wirkung; in Pariser Musikerkreisen war man so begeistert, dass man den Allemand - mit Erfolg - zu einem Besuch einlud. Entsprechend waren seit 1739 auch seine Essercizii Musici overo Dodeci Soli e Dodeci Trii à diversi stromenti hierzulande in den Notenarchiven aller wohlsortierten Hofkapellen zu finden. Schließlich ließ sich daraus ein Stück wie das c-Moll-Trio mit der nicht aufwändigen, aber sehr charmanten Besetzung aus Blockflöte, Oboe und Basso continuo jederzeit aufführen - als unterhaltsames musikalisches Gespräch a tre.

Eine Kapelle wie die der hessischen Landgrafen in Darmstadt durfte sich allerdings rühmen, von Telemann überdies exklusiv mit nur handschriftlich vorliegenden Werken versorgt zu werden. Denn der Hamburger Musikdirektor und der Darmstädter Hofkapellmeister Christoph Graupner standen damals in regem musikalischen Austausch, der noch aus gemeinsamen Leipziger Tagen herrührte: Als Telemann dort zwischen 1701 und 1704 studierte und das städtische Musikleben entscheidend mitprägte, hatte er den fast gleichaltrigen Graupner zunächst als Chorpräfekten an der Thomasschule, dann als Kommilitonen schätzen gelernt. Außerdem hatte Telemann als Frankfurter Musikdirektor zwischen 1712 und 1721 persönliche Kontakte zur nahen hessischen Residenz gepflegt, und so zirkulierten im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts die Partitur-Kopien zwischen Hamburg und Darmstadt. Mit dem a-Moll-Doppelkonzert fand dabei ein veritables Beispiel für Telemanns vermischten Geschmack seinen Weg in die Darmstädter Bestände: Den gravitätischen Eingangssatz prägt der charakteristische punktierte Rhythmus einer französischen Ouvertüre, der schnelle zweite hingegen kommt mit kräftigen Unisono-Ritornellen und virtuosen Solo-Episoden ebenso italienisch daher wie das folgende rhapsodische Dolce. Im Schlusssatz haben Melodik und Rhythmik der polnischen Volksmusik ihre Spuren hinterlassen. Ein vielgestaltiges Kammerkonzert also, das den Zeitgenossen in seiner unkonventionellen Besetzung mit Blockflöte, Gambe und einem Streicherripieno aus durchweg im Einklang geführten Violinen und Bratschen als typisch deutsch erschienen sein mag.

Allerdings schätzte man solche "Concerti per molti stromenti" auch in Italien; das belegt nicht zuletzt das Œuvre jenes Komponisten, der heute vor allem als Meister des Violinkonzerts bekannt ist: Antonio Vivaldi. Das kammermusikalisch besetzte Concerto "La Pastorella" ist eines von vielen Beispielen für die Experimentierlust des Venezianers. In der Form mit vier mehr oder minder eigenständigen Oberstimmen und Basso continuo changiert es zwischen Solo- und Gruppenkonzert; was die Farbe anbelangt, lässt der Komponist den Interpreten die Wahl zwischen einer reinen Streicher- oder einer mit Bläsern gemischten Besetzung. Mit dem Schäfermilieu, das der originale Titel umreißt, verbindet Vivaldi verschiedene melodisch schlichte Tanzcharaktere: ausgelassener in den Rahmensätzen, dagegen melodiebetont-lyrisch im zentralen Siciliano.

Zurück nach Darmstadt: Der vermischte Stil war hier auch willkommen, wenn er nicht aus Telemanns Feder geflossen war - solange er nur den gehobenen Ansprüchen des Hofes und seiner ausgezeichneten Musiker genügte. So findet sich im Darmstädter Repertoire eine Reihe von Werken des Zerbster Hofkapellmeisters Johann Friedrich Fasch, darunter das Quartett B-Dur für Blockflöte, Oboe, Violine und Basso continuo. Fasch war der hessischen Residenz ganz besonders verbunden, hatte ihn doch einst 1714, während seiner musikalischen Wanderjahre, sein ehemaliger Leipziger Präfekt Graupner dort herzlich aufgenommen und in der Kompositionskunst weitergebildet. Dass Fasch auf dem Weg nach Darmstadt in Frankfurt Station gemacht hatte, wo Telemann gerade als Musikdirektor der Barfüßerkirche amtierte, war sicher kein Zufall. Telemann blieb zeitlebens Faschs musikalisches Leitbild. Das nicht zuletzt in der anspruchsvollen Sonaten-Komposition für drei konzertierende Oberstimmen, dem "eigentlichen Probierstein eines echten Contrapunctisten", wie es Quantz formulierte. Faschs Quartett braucht in seinem harmonischen Reichtum und in der Eleganz der Stimmführung den Vergleich mit den Exempeln Telemanns jedenfalls nicht zu scheuen.

Eine Tagesreise südlich von Darmstadt, in der jungen pfälzischen Residenz Mannheim, entwickelte sich seit dem Regierungsantritt des kunstliebenden Kurfürsten Carl Theodor 1743 - also durchaus noch zu Lebzeiten Faschs und Telemanns - eine neue, wegweisende Art der instrumentalen Musikkultur. Der böhmische Violinvirtuose Johann Stamitz sah als Konzertmeister der Hofkapelle auf eine bis dahin ungekannte Genauigkeit im Zusammenspiel der Instrumentalisten. Diese Qualität wurde auch nach seinem Tod 1757 weiter gepflegt; schließlich war die überwiegende Zahl der Kapellmitglieder durch seine Schule gegangen. So konnte der englische Musikreisende Charles Burney nach einem Besuch in Mannheim 1772 schwärmen: "Es sind wirklich mehr Solospieler und gute Komponisten in diesem als vielleicht in irgendeinem Orchester in Europa. Es ist eine Armee von Generälen, gleich geschickt, einen Plan einer Schlacht zu entwerfen, als darin zu fechten." Einer dieser "Generäle" war Christian Cannabich. Der Sohn eines Oboisten und Flötisten der Hofkapelle war schon als Kind vom Vater und von Stamitz musikalisch ausgebildet worden; bereits als Vierzehnjähriger trug er selbst den Hofmusiker-Titel, 1758 folgte er Stamitz im Konzertmeisteramt. Nachhaltige Eindrücke vor allem auf dem Gebiet der Komposition hatte Cannabich während eines dreijährigen Italienaufenthaltes durch seine Lehrer Niccolò Jommelli und Giovanni Battista Sammartini erhalten.

Sich nach dem Vorbild eines Telemann als "echte Contrapunctisten" zu erweisen, war allerdings nicht die Sache der Mannheimer. Im Sinne einer gewandelten Ausdrucksästhetik, die das Individuum zum Maß der Dinge erklärte, ließ man sich nun immer seltener auf den in der Stimmführung so streng reglementierten fugischen Satzstil ein, betonte lieber die klangliche Anmut graziler Instrumentierungen, melodischer Raffinessen, nicht zuletzt aber artikulatorischer und dynamischer Effekte - ein neuer, auch und gerade im Ausland als typisch deutsch empfundener Stil, mit dem eine Sinfonie von Stamitz 1751 in Paris Furore machen konnte. Auch Cannabich feierte in Paris, das er erstmals 1764 im Gefolge des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken besuchte, beachtliche Erfolge. Fünf Jahre später erschienen hier seine Sei sinfonie concertanti op. 7, Quintette für zwei Flöten und Streicher, in denen er die klanglichen Reize des instrumentalen Wechselspiels mit der Gefälligkeit einer leicht fasslichen Themenfindung verband.

Bescheidener in den Dimensionen, aber von einem vergleichbaren Divertimento-Charakter geprägt sind jene "Londoner" Trios für zwei Flöten und Violoncello, die Joseph Haydn bei seinem zweiten England-Aufenthalt 1794 komponierte: kleine Stücke, die den abgeklärten, humorvollen Esprit des älteren Haydn verströmen - eines berühmten und allseits geschätzten Künstlers, der sich von den Dienstverpflichtungen für das Fürstenhaus Esterházy distanziert hatte und im Erfolg sonnte, den seine späten Sinfonien in der musikverwöhnten englischen Metropole feierten. Wie einst Telemann, so galt auch Haydn schon zu Lebzeiten europaweit als Klassiker. Und wie jener wusste er diesem Gefühl gerade in der Bescheidenheit kammermusikalischer Besetzungen immer wieder einmal in unbeschwerter Spielfreude Ausdruck zu verleihen.

behe

Mitwirkende

Camerata Köln
Michael Schneider - Block- und Traversflöte
Karl Kaiser - Traversflöte
Hans Peter Westermann - Oboe
Michael McCraw - Fagott
Ingeborg Scheerer - Violine und Viola
Sabine Lier - Violine
Rainer Zipperling - Violoncello, Viola da gamba
Julianne Borsodi - Violoncello
Sabine Bauer - Cembalo, Orgel