Saison 2007/2008: Konzert 3

Sonntag, 18. November 2007 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

La Belle Homicide

Lautenduette des 17. und 18. Jahrhunderts Stefan Maass | Stephan Rath St. Maass, St. Rath Sendung im Deutschlandfunk am 27.1.2007

»Diese Schöne tötet durch den Zauber ihrer Reize jeden, der sie sieht und hört. Aber dieser Tod ist unvergleichbar dem normalen Tod, er ist der Beginn, nicht das Ende des Lebens«: Die Musik als Überwinderin des profanen Lebens, als Enzym zur Schaffung einer höheren Daseinsform – ein Gedankenbild des französischen Lautenvirtuosen Denis Gaultier, ganz nach dem gezierten Geschmack des 17. Jahrhunderts. Hier erlebte die Laute, das Instrument der Götter, mit ihrer an Zauberzeichen der großen mythologischen Verführerinnen Circe und Alcina erinnernden Tabulaturnotation ihre letzte Blütezeit als Soloinstrument. Mit der ganzen Vielfalt seiner barocken Lauten und Theorben ist das Duo Stefan Maass und Stephan Rath den verführerischen Preziosen aus französischer und deutscher Feder auf der Spur.

Programmfolge

Ennemond Gaultier (um 1575-1651)
Denis Gaultier (1603-1672)
Pièces pour deux luths a-Moll und d-Moll
Tombeau de Mr. L'Enclos. Allemande
La belle Homicide. Courante
L'Immortelle. Courante
Le Canon. Courante
Canarie

Anonymus (spätes 17. Jahrhundert)
Duo G-Dur
Allemande - Courante - Sarabande - Courante - Ballet - Gigue

Signor Werner (1. Hälfte des 18. Jhs.)
Duo A-Dur
Adagio - Affettuoso - Allegro

Pause

François Dufaut (ca. 1604-1670)
Pièces pour deux luths g-Moll
Allemande - Courante - Sarabande - Gigue

Bernhard Joachim Hagen (1720-1787)
Duo c-Moll
Allegro moderato - Amoroso - Presto

Silvius Leopold Weiss (1686-1750)
Duo B-Dur
(Rekonstruktion der 2. Lautenpartie von Karl-Ernst Schröder)
Adagio - Allegro - Grave - Allegro

La belle Homicide

Cette belle par ses charmes donne la mort à quiconque la voit & l'entend. Mais cette mort est en cecy dissemblable des morts ordinaires qu'elle est le commencement de la vie au lieu d'en estre la fin.
(Denis Gaultier, La Rhétorique des Dieux, um 1655)

»Diese Schöne tötet durch den Zauber ihrer Reize jeden, der sie sieht und hört. Aber dieser Tod ist dem normalen Tod nicht vergleichbar, denn er ist der Beginn, nicht das Ende des Lebens.« – Die Musik als Mörderin des Diesseits, als Element des Transzendentalen im profanen Leben, als Enzym zur Schaffung einer höheren Daseinsform: Dies ist ein Gedankenbild ganz nach dem gezierten Geschmack der Pariser Salons in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Auf der Suche nach bestmöglicher künstlerischer Erfüllung der ungezählten Mußestunden scharte sich hier der französische Adel, finanziell potent, aber politisch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, um die hervorragendsten Musiker. Man gab sich dem ätherischen Ton der Laute hin, erhob sie nicht nur zum eigenen Lieblingsinstrument, sondern gleich auch zu dem der antiken Götter, und ließ sich von der Notation ihrer geheimnisvollen Tabulaturschrift in den Bann ziehen, die so reizvoll an die Zauberzeichen der großen mythologischen Verführerinnen Circe und Alcina erinnerte.

Göttergleich spielten in den Pariser Salons zwei Lautenisten aus einer Familie. Ennemond Gaultier, der Ältere, geboren in der Dauphiné nahe Lyon, war nach Pagendiensten bei der Gräfin von Montmorency im Languedoc um 1600 nach Paris gekommen, um als Kammerdiener der Gemahlin König Henri IV., Maria de' Medici aufzuwarten - mit seinem Lautenspiel. In ihren Diensten blieb er, bis Kardinal Richelieu die verwitwete Königin und Mutter Ludwigs XIII. 1631 ins Exil trieb (sie starb 1642 verarmt in Köln). Gaultier ging mit der Exilierung der Königin in seine Heimat in der Dauphiné zurück, wo er 1651 starb. Sein Cousin Denis Gaultier war mehr als zwanzig Jahre jünger. Wahrscheinlich hatte Ennemonds Erfolg ihn ermuntert, ebenfalls nach Paris zu kommen. Jedenfalls war der Weg geebnet, der Denis in der Seine-Metropole für den Rest seines Lebens eine ruhmreiche Existenz als freischaffender Künstler (und 1635 als Schwiegersohn des Adeligen Sieur de Boissy) ermöglichte. Wenn er auch nicht bei Hofe verpflichtet war, ließ er sich doch mitunter dort hören, so 1656 beim Besuch der schwedischen Königin Christina, 1666 bei einem Konzert zu Ehren der königlichen Gemahlin und 1671 vor Ludwig XIV. persönlich.

Der Ruhm der Gaultiers gründete in ihrer neuen Art des Lautenspiels: Die Verästelungen der Kontrapunktik, die ihre Vorfahren aus der Vokalpolyphonie übernommen hatten, ersetzten sie durch den Charme der Melodie, durch die Prägnanz der Rhythmik, und durch die Farbigkeit voller Harmonien. Dazu statteten sie ihre Lauten gegenüber den Renaissanceinstrumenten mit weiteren Chören aus, außerdem bedienten sie sich einer harmonisch sinnfälligeren Stimmung – dem nouveau ton. Überliefert ist ihre Musik europaweit in Druck-Anthologien und mehreren Dutzenden von Handschriften bis weit ins 18. Jahrhundert hinein, ohne dass die Kopisten sich immer die Mühe machten, den Autor eindeutig zu benennen – der Name Gaultier sprach für sich. Ein besonderes Denkmal ist Denis Gaultier aber in der Prachthandschrift La Rhétorique des Dieux gesetzt, die um 1655 für die Gräfin Anne-Achille de Chambré entstand. Mögen Stilkritiker heutzutage dem älteren Cousin ein besonders geschmeidiges Melos und bisweilen kühnen Dissonanzgebrauch attestieren, dem jüngeren hingegen die größere rhythmische Stringenz: Weitverbreitete Stücke wie das elegische Tombeau de Mr. L'Enclos, das Charakterstück La belle Homicide und die kontrapunktische Miniatur Le Canon sind je nach Quelle bald dem älteren, bald dem jüngeren Gaultier zugeschrieben. Mit dem erwähnten Monsieur L'Enclos – dem Vater jener Ninon L'Enclos, die als femme fatale der Pariser Gesellschaft Literaturgeschichte schrieb – traf sich Denis einer zeitgenössischen Anekdote folgend einmal zum Lauten-Duospiel, das dann zwei Tage lang währte. Wie das geklungen haben mag, davon gibt die Eröffnung des heutigen Konzerts einen Eindruck. Sie vereinigt Gaultier-Stücke in einer Version für zwei Lauten, bei denen sich die erste Stimme an Pariser Quellen orientiert und die zweite an Fassungen, die in Frankreich und England überliefert sind.

Auch François Dufaut, ein Zeitgenosse Denis Gaultiers, fand in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts aus provinziellen bürgerlichen Verhältnissen in die Lautenszene der Pariser Adelskreise und bald darauf mit seinen Werken in die gedruckten Sammlungen des geschäftstüchtigen Verlagshauses Ballard. So eilte ihm schon sein Ruf voraus, als er 1650 aufbrach, um als Virtuose auch außerhalb Frankreichs Karriere zu machen. Vier Jahre später erschien er in der Umgebung des Innsbrucker Hofes, schließlich führte ihn sein Weg nach London, wo er in den 1660er Jahren nicht zuletzt durch seine Unterrichtstätigkeit in Adelskreisen stilprägend wurde. Die vielen Handschriften mit Dufaut-Werken in schweizerischen, österreichischen, böhmischen und deutschen Archiven belegen die große Wertschätzung, die dem Virtuosen und seinen Werken überall entgegengebracht wurde. In der Sammlung der Adelsfamilie Goëss auf dem österreichischen Schloss Ebenthal nahe Klagenfurt finden sich Tanzsätze Dufauts in g-Moll für zwei Lauten, die in der Folge von Allemande, Courante, Sarabande und Gigue jenem Suiten-Standard entsprechen, den man damals auch in der Cembalo- und Ensembleliteratur gerne aufgriff.

Wie selbstverständlich ist Dufaut auch in den repräsentativen Lautentabulaturen aus dem oberösterreichischen Benediktinerstift Kremsmünster vertreten, einer der europaweit führenden Pflegestätten barocker Musikkultur seit der Regierungszeit (1613 bis 1639) des aus Köln stammenden Fürstabtes Anton Wolfradt. Ohne Autorenangabe ist in einem der Manuskripte in Kremsmünster jene Suite in G-Dur für zwei Lauten überliefert, die im heutigen Konzert erklingt. Ihre im Vergleich zu den französischen Lautenmeistern deutlich melodiebetontere Anlage lässt vermuten, dass sie eher gegen Ende des 17. Jahrhunderts entstand, wahrscheinlich im süddeutsch-österreichischen Ambiente.

Ein Beispiel für die Ausbreitung der Lautenkultur nach Norddeutschland bildet dagegen das Duo eines sonst unbekannten Signor Werner, das in der Universitätsbibliothek Rostock überliefert ist und sich auf das erste Drittel des 18. Jahrhunderts datieren lässt. Zu dieser Zeit war dem französischen Musikstil eine starke Konkurrenz in Gestalt des italienischen Solokonzerts erwachsen - was sich in Werners Duo schon an der Bezeichnung der drei Sonatensätze mit Adagio, Affettuoso und Allegro ablesen lässt.

Der Pflege eines eigenständigen Lautenrepertoires widmeten sich in der Folgezeit nur noch wenige herausragende Künstler, während die Masse der Lautenisten sich mehr und mehr auf die Begleiterrolle innerhalb der Generalbassgruppe der Orchester beschränken musste. Ein wahrer Musenhof und eine Art Insel für erlesenes Lautenspiel nach aristokratischem Geschmack stellte aber noch Mitte des 18. Jahrhunderts die Residenz Bayreuth dar, in der neben dem regierenden Markgrafen Friedrich auch dessen Gemahlin Wilhelmine musikalisch den Ton bestimmte, eine Schwester Friedrichs II. von Preußen. In Bayreuth wirkte der wahrscheinlich aus dem Hamburger Raum stammende Bernhard Joachim Hagen seit 1737 als Violinist und Lautenist. Dabei profitierte er am Instrument wie als Komponist von den älteren Kapellkollegen Adam Falckenhagen und Charles Durant und entwickelte aus ihrem Vorbild einen eigentlich zukunftsweisenden galanten Lautenstil. Der aber fand – vielleicht auch wegen seiner vollendeten Form – keine Nachahmer mehr.

Ebenso zählt das legendäre Spiel von Silvius Leopold Weiss zur letzten Blütezeit der Lautenkunst (bis zu ihrer erfolgreichen Wiederbelebung im 20. Jahrhundert). Weiss, Sohn eines schlesischen Lautenisten, kam nach Stationen an den Residenzen von Breslau und Düsseldorf sowie bei einem polnischen Adeligen in Rom 1717 an den Dresdener Hof Kurfürst Friedrich Augusts I. von Sachsen. Seinen fulminanten Soloauftritten vor dem Adel dort hatte er es zu verdanken, dass er unter Friedrich August II. seit 1744 als bestbezahlter Musiker der Dresdener Hofkapelle galt. In der Dresdener Landesbibliothek hat sich ein Band mit Kompositionen von Weiss erhalten, darin je eine der beiden Stimmen zu vier seiner Lautenduos. Die fehlende Partie zum B-Dur-Duo des heutigen Konzerts hat der Lautenist Karl-Ernst Schröder vor einigen Jahren in vorzüglicher Weise nachkomponiert. Weiss mag diese Werke mit seinem Schüler und Kollegen Johann Kropfgans bei Hofe zum Besten gegeben haben. Oder im August 1739 in der Leipziger Kantorenwohnung von Weiss' Freund Johann Sebastian Bach, wo nach einer brieflichen Mitteilung von Johann Elias Bach seinerzeit »etwas extra feines von Music passirte«: Es ließen sich dort nämlich (neben dem ebenfalls aus Dresden angereisten Bach-Ältesten Wilhelm Friedemann) die »beyden berühmten Lautenisten, Herrn Weisen u. Herrn Kropffgans etlich mal« hören.

Stephan Rath / behe

Mitwirkende

Stefan Maass
Im heutigen Konzert spielt Stefan Maas die Kopie einer 13-chörigen Barocklaute des Leipziger Instrumentenbauers Johann Christian Hoffmann (1683-1750), angefertigt von Hendrik Hasenfuss, Eitorf 2005.

Stephan Rath
Stephan Rath spielt heute die Kopie einer 13-chörigen Barocklaute des Linzer Instrumentenbauers Johannes Blasius Weigert (gest. 1765), angefertigt von Hendrik Hasenfuss, Köln 1988.