Saison 2007/2008: Konzert 5

Sonntag, 20. Januar 2008 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

Harmoniemusiken

von Franz Krommer und Joseph Triebensee Amphion-Bläseroktett Amphion-Bläseroktett Sendung im Deutschlandfunk am 29.1.2008

Zwei Böhmen in Wien: Für die Musikwelt zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand Franz Krommer in Geltung und Ansehen an vorderster Stelle. Seine zahlreichen Partiten für Bläserharmonie bestechen auch heute noch durch Witz und Ideenreichtum, durch ihr Feuer und ihre überraschenden harmonischen Wendungen. Sein Kollege Josef Triebensee hatte sich dagegen auf Harmoniemusik-Arrangements aller nur denkbaren musikalischen Gattungen spezialisiert: Ob Kammermusik oder Sinfonie, Oper und Oratorium – in den effektvollen Bearbeitungen für Oboen, Flöten, Klarinetten, Hörner und Fagotte erfreuten sie sich damals größter Beliebtheit. Aus diesem reichen Fundus hat das Amphion-Bläseroktett seine Bearbeitungen von Cherubinis »Medea« und Mozarts »Don Giovanni« ausgewählt.

Programmfolge

Joseph Triebensee (1772-1846)
Harmoniemusik zu Luigi Cherubinis »Medea«
Sinfonia
Arie der Neris »Medea, o Medea!«
Chor »O schöne Glauke, der große Jason«
Duett von Medea und Jason »Herzlose Feinde« - »Lasst, o Götter, ihre unheilvolle Drohung nicht erfüllt sein«

Franz Vincenz Krommer (1759-1831)
Parthia ex Dis
Allegro moderato
Romance
Menuetto moderato (Trio)
Rondo

Pause

Joseph Triebensee
Harmoniemusik zu Wolfgang Amadeus Mozarts »Don Giovanni«
Ouvertüre Introduzione »Notte e giorno faticar«
Arie des Leporello »Madamina, il catalogo è questo«
Arie des Don Giovanni »Fin ch'han dal vino«
Arie der Zerlina »Batti, batti, o bel Masetto«
Finale im 1. Akt »Presto presto pria ch'ei venga«

Franz Vincenz Krommer
Harmonie in F op. 73
Allegro vivace
Menuetto Allegretto (Trio)
Adagio
Alla Polacca

Sinfonischer Anspruch im Divertimento-Gewand

»Nun habe ich keine geringe arbeit. – bis Sonntag acht tag muß meine Opera auf die harmonie gesetzt seyn – sonst kommt mir einer bevor – und hat anstatt meiner den Profit davon ... sie glauben nicht wie schwer es ist so was auf die harmonie zu setzen – dass es den blaßinstrumenten eigen ist, und doch dabey nichts von der Wirkung verloren geht.«

Dies schrieb Wolfgang Amadeus Mozart am 20. Juli 1782 seinem Vater nach Salzburg, vier Tage, nachdem er sein Singspiel Die Entführung aus dem Serail in Wien zur Uraufführung gebracht hatte. Der große Erfolg, den das Werk auf Anhieb errang, bescherte Mozart gleich die neue Terminarbeit, von der er hier berichtet: Kaiser Joseph II. wollte der Musik zur Entführung nicht nur in der Loge seines Burgtheaters lauschen, sondern auch an der Tafel und im Cabinet. Also hatte er Mozart beauftragt, die Musik innerhalb weniger Tage für seine einige Monate zuvor gegründete »Kaiserliche Harmonie« umzuschreiben, für ein Bläseroktett mit je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten, dessen Mitglieder dem Hofopernorchester angehörten, aber für ihre »harmonischen« Aufwartungen in der Residenz extra entlohnt wurden. Und mit einem angemessenen Honorar rechnete in diesem Fall auch der Arrangeur Mozart.

Der Kaiser, ansonsten eher für seine Sparsamkeit bekannt, folgte mit seinem Harmoniemusik-Ensemble einem Modetrend, der sich von Böhmen aus in die Wiener Fürstenresidenzen eingeführt hatte. Gleichzeitig verhalf er ihm zu einem höheren Interpretationsniveau – und einer explosionsartigen Ausweitung des Repertoires. Bei den zunächst adeligen Auftraggebern waren Bearbeitungen von Erfolgsstücken aus Oper und Konzert offenbar weitaus beliebter als kammermusikalische Originalkompositionen fürs Bläserensemble; so fanden sich 1837, als die Kaiserliche Harmonie nach 55 Jahren aufgelöst wurde, in ihrem Notenarchiv denn auch nur 22 Originalwerke, aber weit über hundert Opernbearbeitungen...

Ob nun Bearbeitung oder Originalkomposition – Harmoniemusik, obgleich entwicklungsgeschichtlich in der Militärmusik wurzelnd, war (und ist) immer Unterhaltungsmusik auf hohem künstlerischen Niveau, auf große Wirkung angelegt, auf Überraschungseffekte bedacht. Das erforderte beim Bearbeiten einer renommierten Vorlage ebensoviel instrumentatorisches Fingerspitzengefühl wie bei einer Neukomposition. Kein Arrangeur mochte sich alleine auf schöne Melodien, griffige Klänge oder spritzige Rhythmen verlassen – auch ein Mozart nicht. Wie er seine Opernmusik der Spieltechnik der Holzbläser und dem beschränkten Tonvorrat der Hörner angemessen arrangierte, ohne den Charakter der orchestralen Ouvertüre, vor allem aber denjenigen der Arien anzutasten, die so sehr von den besonderen Ausdrucksmöglichkeiten der Singstimme leben, können wir nur erahnen. Im Gegensatz zu einer größeren Zahl von Originalkompositionen für Harmoniemusik (berühmtestes Beispiel: die Gran Partita Es-Dur KV 361) ist seine Harmoniefassung der Entführung leider verschollen. So ist Mozart heute als eigener Harmonie-Bearbeiter nurmehr schlaglichtartig erkennbar, in der Tisch-Szene des Don Giovanni, zu der er ein Bläserensemble unter anderem mit der Arie »Non più andrai« aus Figaros Hochzeit aufspielen lässt.

Die Erfolgsnummern aus Mozarts Don Giovanni wiederum »auf die Harmonie zu setzen«, das reizte seit der Uraufführung der Oper 1787 in Prag immer wieder die Komponisten unter den Harmonie-Bläsern. So Joseph Triebensee, den noch in Böhmen geborenen Sohn des ersten Oboisten am Wiener Hof- und Nationaltheater und Leiters der kaiserlichen Harmoniemusik. Der Sohn trat in die Fußstapfen des Vaters und lernte Mozart spätestens 1791 kennen, als er bei der Uraufführung der Zauberflöte im Theater auf der Wieden als Oboist mitwirkte. Bevor er 1794 als Kapellmeister in die Dienste des Fürsten Alois von Liechtenstein eintrat, hatte Triebensee sich im Wiener Konzertleben einen Namen als Oboenvirtuose und Komponist erworben (das verhalf ihm später, 1816, noch zum Kapellmeisteramt am Prager Ständetheater in der Nachfolge Carl Maria von Webers).

Schon in Wien dürfte Triebensee die Oper Medea von Luigi Cherubini kennengelernt haben, als sie dort im November 1802 erstmals gegeben wurde, gut fünf Jahre nach der Uraufführung in der Wahlheimat des Komponisten, am Pariser Théâtre Feydeau. An der Seine war die Oper zwar nicht bei der Kritik, aber beim Publikum durchgefallen, denn man wünschte sich nach den gerade überstandenen revolutionären Wirren wesentlich leichtere Kost. Cherubinis künstlerisch wegweisende musikdramatische Deutung der antiken Tragödie um die Gattin des Argonautenführers Jason, die ihre Rivalin Dircé (Glauke) und ihre eigenen Kinder tötet, fiel dagegen in Wien auf fruchtbaren Boden. Auch in Triebensees Adaption für Harmonieinstrumente bleibt die Tragik des Opernstoffs von der leidenschaftlichen Ouvertüre bis zum verzweifelten Dialog zwischen Medea und Jason präsent.

Triebensees umfangreiches Œuvre von Eigenkompositionen und Adaptionen für Bläserharmonie ist entgegen der damals schon üblichen Praxis überwiegend nicht in Drucken, sondern in einer Reihe von Abschriften überliefert, denn er bot dem Publikum seine Harmonische Sammlung in zwei Folgen 1803 und 1804 sowie seine 32 Folgen von Miscellannées de Musique zwischen 1808 und 1813 auf eigene Rechnung in Kopie zur Subskription an.

In den Harmoniemusik-Fassungen der Miscellanées finden sich neben Kompositionen von Haydn, Mozart und Beethoven auch Werke eines weiteren damals in Wien tätigen und hochgeschätzten Komponisten, Franz Vinzenz Krommer. Wie Triebensee war Krommer (alias František Kramá?) gebürtiger Tscheche. In den 1770er Jahren bildete ihn ein Onkel, der als Organist in Turas wirkte, an Violine und Clavier aus. 1785 kam Krommer dann erstmals nach Wien und blieb für etwa ein Jahr. Endgültig fand er aber erst nach einem Jahrzehnt in wechselnden Musikerdiensten bei ungarischen Fürsten in die Donaumetropole zurück. Seit 1810 wirkte er dort unter Kaiser Franz I. als Musikdirektor der Ballette am Hoftheater, 1818 wurde er – als letzter überhaupt – zum beamteten Kammerkapellmeister und Hofkomponisten des Habsburgerhauses ernannt. Erst während dieser zweiten Zeit in Wien begann Krommer damit, viele seiner oft schon Jahre zuvor entstandenen Kompositionen im Druck zu veröffentlichen, bevorzugt beim rührigen Verlagshaus Johann André in Offenbach am Main, das sich vor allem durch seine gewissenhaften Erstausgaben vieler Mozart-Werke einen Namen machte. Aber auch in Wien selbst und in Paris erschienen nach 1800 Drucke mit Werken des kompositorisch so souveränen Krommer, darunter Ausgaben der heute zu hörenden Harmonie in F op. 73. Ebenso wie die nur handschriftlich überlieferte Parthia ex Dis (viele der Harmoniemusiken sind in den Quellen als »Parthie« oder »Partita« überschrieben) hebt sie sich schon durch ihre »sinfonische« Viersätzigkeit vom bunt-unterhaltsamen Divertimento-Sujet ab, das so viele Kompositionen für Bläserharmonie um 1800 prägt. Krommer knüpft in Konzeption und Satzweise an seine Orchesterkompositionen an, überträgt ihren Stil in fabelhafter Weise auf das achtstimmige Bläserensemble, in dem traditionell ein Kontrabass als ergänzendes tieftönendes Fundament willkommen war. Mögen Krommers Harmoniemusiken auch in den Adelspalästen der Donaumonarchie und den bürgerlichen Pariser Salons noch als Hintergrund diverser Freizeitvergnügungen erklungen sein, so konnten sie doch auch damals schon zunehmend würdigere Plätze im Zentrum der musikalischen Öffentlichkeit einnehmen – in jenem Rahmen anspruchsvoller Konzert-Veranstaltungen, in dem sie dank der Entdeckungsfreude ambitionierter Bläserensembles auch heute wieder zu erleben sind.

behe

Mitwirkende

Amphion-Bläseroktett

Amphion spielt auf Instrumenten aus der Zeit um 1800 oder deren originalgetreuen Kopien und ist heute in folgender Besetzung zu hören:

Xenia Löffler, Kerstin Kramp - Oboen
Christian Leitherer, Ernst Schlader - Clarinetten
Václav Luks, Miroslav Rovenský - Hörner
Eckhard Lenzing, Györgyi Farkas - Fagotte
Roberto Fernandez de Larrinoa - Kontrabass