Saison 2008/2009: Konzert 4

Sonntag, 21. Dezember 2008 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

Nach Paris!

Werke von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Henri-Joseph Rigel Concerto Köln Saskia Kwast, Harfe Martin Sandhoff, Flöte Concerto Köln »Saison France - Nordrhein-Westfalen 2008/2009« Sendung im Deutschlandfunk am 13.1.2009

»Fort mit dir nach Paris!«, befahl Leopold Mozart Anfang 1778 seinem verliebt in Mannheim weilenden Sohn Wolfgang Amadé: »Von Paris geht der Ruhm und Name eines Mannes von großem Talente durch die ganze Welt”. Eine Einschätzung, die der Sohn in der Folge weniger bestätigt sah als etwa seine Landsleute Gluck und Haydn oder gar der aus Wertheim am Main stammende Henri-Joseph Rigel, dem an der Seine eine musikalische Bilderbuchkarriere beschieden war. Concerto Köln läßt die musikalische Atmosphäre der Pariser Konzerte wiedererstehen, in denen die klassischen Komponisten deutscher Zunge prominent vertreten waren.

Programmfolge

Henri-Joseph Rigel (1741-1799)
Sinfonie Nr. 8 g-Moll
Allegro - Pastorale. Andante - Presto

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Konzert für Flöte, Harfe und Orchester C-Dur KV 299
Allegro - Andantino - Rondo: Allegro

Pause

Henri-Joseph Rigel (1741-1799)
Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 12/4
Allegro assai - Largo non troppo - Allegro spirituoso

(Franz) Joseph Haydn (1732-1809)
Sinfonie Nr. 83 g-Moll Hob. I:83 »La Poule«
Allegro - Andante - Menuetto - Finale: vivace

Paris vor Augen

Krankheitshalber musste das ursprünglich mit Sopran-Arien versehene Programm in letzter Minute umgestellt werden. Daher bezieht sich der nebenstehende Text nur teilweise auf den aktuellen Ablauf. Wir bitten um Verständnis.

»Fort mit dir nach Paris!« befahl Leopold Mozart Anfang 1778 seinem seit Monaten in Mannheim weilenden Sohn: »Von Paris geht der Ruhm und Name eines Mannes von großem Talente durch die ganze Welt, da behandelt der Adel Leute von Genie mit der größten Herablassung, Hochschätzung und Höflichkeit«. Der Rat des Vaters war begründet. Am kurpfälzischen Hof Carl Theodors, der im Begriff stand, als neuer bayerischer Kurfürst nach München überzusiedeln, boten sich für Wolfgang Amadeus keine Chancen mehr. Die französische Hauptstadt hingegen war damals eine pulsierende europäische Musikmetropole mit Institutionen wie dem Opernhaus der Académie royale de musique und mit den Concerts spirituels in den Tuilierien, in denen geistliche Vokalwerke geboten wurden, nicht zuletzt aber alle möglichen Gattungen instrumentaler Ensemblemusik.

Leopold Mozart mochte, als er seinen Sohn nach Paris schickte, auch von den guten Erinnerungen an das eigene Gastspiel mit seinen Kindern 1763/64 geleitet worden sein und vom Beispiel jüngerer aus Deutschland stammender Musiker. So war Heinrich Joseph Riegel aus Wertheim am Main, ein Schüler von Niccolò Jommelli in Stuttgart und Franz Xaver Richter in Mannheim, nach seiner Ankunft in Paris 1767 erstaunlich schnell unter dem französisierten Namen Henri-Joseph Rigel zu einem Star avanciert. Schon 1772 saß er in der Jury eines sinfonischen Wettbewerbs, 1774 debütierte er mit einer Sinfonie in den Concerts spirituels, deren Orchester er später auch zeitweilig vorstand. Den Rang seiner impulsiven g-Moll-Sinfonie, mit der das heutige Konzert beginnt, mag man schon alleine daran ablesen, dass sie der Pariser Verleger Charles Georges Boyer 1783 neben je einem Werk von Antonio Rosetti und Karl Ditters von Dittersdorf im Druck veröffentlichte.

Rigel trage mit seiner Verschmelzung von italienischen, deutschen und französischen Stilelementen zur Ehre der französischen Musik bei, attestierte ihm der Kollege Jean-Benjamin de La Borde 1780 in seinem Essai sur la Musique ancienne et moderne. Für eine Réunion des Goûts (die schon zwei Generationen zuvor dem Hofcembalisten François Couperin ein Anliegen war) plädierte auch der welterfahrene Christoph Willibald Gluck, als er 1773 von Wien aus an den Mercure de France schrieb, es sei Zeit, die lächerliche Unterscheidung von Nationalstilen endlich aufzugeben. Auf Initiative der aus Wien stammenden Gattin des Dauphins, Marie Antoinette, fand sich Gluck dann ein Dreivierteljahr später in Paris mit dem Auftrag wieder, seine Oper »Iphigénie en Aulide« auf die Bühne der Académie royale zu bringen. Das Libretto hatte ein französischer Diplomat in Wien nach einer Dichtung Jean Racines verfasst. Die Aufführung im April 1774 wurde zum triumphalen Erfolg, dem sich schon im August eine französische Version der 1762 in Wien uraufgeführten Oper »Orfeo ed Euridice« anschloss. Bis 1779 pendelte Gluck nun alljährlich zwischen Donau und Seine. Wie perfekt es ihm gelang, seine ausgiebig im italienischen Sujet erprobte, als »erhaben« und »rührend« zugleich charakterisierte Musiksprache ins Französische zu übertragen, zeigen eindringlich die heute zu hörenden Beispiele aus »Armide« (1777) und »Iphigénie en Tauride« (1779): hier in der Verzweiflungs-Arie »Je t'implore et je tremble« der Iphigenie, die den vor Tauris gestrandeten Fremden Orest (er ist in Wirklichkeit ihr Bruder) gegen die Gefühle ihres Herzens der Göttin Artemis opfern soll; dort in der Arie »Ah! Si la liberté me doit être ravie« der unglücklichen Titelheldin, einer eigentlich kalt-berechnend handelnden Magierin, die durch die unvermutete Liebe zu dem Kreuzritter Renaud in eine Lebenskrise gestürzt wird. In Sätzen wie dem Furien-Ballett aus »Orphée« (1762/74) und der Ouvertüre zur komischen Oper »Les pèlerins de la Mecque« (1764) beweist der Vokalkomponist Gluck seine Ausdruckskraft auch im rein Instrumentalen.

Bis weit in die 1790er Jahre hinein verfolgte Joseph Haydn das Musikleben überwiegend aus der provinziellen Abgeschiedenheit des Kapellmeister-Postens beim Fürsten Esterházy. Entsprechend beschränkte sich auch seine Opernkomposition nahezu vollkommen auf dessen Hoftheater. Hier vergnügte man sich mal an den italienischen Komödien Carlo Goldonis, mal an der festlich-ernsten Moral des kaiserlichen Librettisten Pietro Metastasio. Die Arie »Fra un dolce deliro« aus dessen »L'isola disabitata« (1779) etwa zeigt klassisches Ebenmaß im Seria-Stil Haydns, wenn Silvia, die allein mit ihrer Schwester auf einer einsamen Insel heranwuchs, den ersten und überraschend angenehmen Anblick eines jungen Mannes reflektiert. Extrovertierter, entsprechend kontrast- und koloraturenreich präsentiert sich die Singstimme in der Arie »Ragion nell'alma siede« der Goldoni-Bearbeitung »Il mondo della luna« (1777), in der Flaminia, eine der Töchter des mondsüchtigen Buonafede, die Macht der Liebe besingt. Ein Kabinettstückchen alla turca hat Haydn in »Lo Speziale« (1768) für die Hosenrolle des Volpino komponiert: Als Osmane verkleidet erscheint dieser in der Apotheke des Sempronio, um unerkannt dessen Tochter zu entführen, in die er sich verliebt hat. Hätten Haydns Opern damals den Weg nach Paris gefunden, wären sie wohl auch da auf gnädige Ohren getroffen. Doch war er vorerst nur mit seiner Instrumentalmusik auf der Weltbühne präsent. Dies vor allem, nachdem sein erneuerter Dienstvertrag 1779 auf die Klausel verzichtete, dass er ausschließlich für seinen Fürsten komponieren dürfe. Fortan gelangten seine Kompositionen auf legalem Weg in die Verlagshäuser in Wien, London und Paris, wo man sich förmlich um sie riss. Seine sechs »Pariser Sinfonien« waren daher keineswegs die einzigen, die an der Seine erklangen. Für sie gab es allerdings einen eigenen Kompositionsauftrag des Concert de la Loge Olympique, einer Pariser Konzertinstitution, die den Concerts spirituels Konkurrenz machte. Haydns Sinfonie Nr. 83, eine der sechs, erhielt ihren Beinamen »La Poule« wohl wegen des Seitenthemas im Eingangssatz, das mit den Vorschlägen der ersten Violine an das Gackern einer Henne erinnert. Das verleiht dem zunächst in forschem Moll daherkommenden Allegro spiritoso eine ironische Note, und auch in den Folgesätzen stößt man immer wieder auf solche Momente schalkhaft-bizarrer Kontraste.

Warum sich für Wolfgang Amadeus Mozart 1778 kein vergleichbarer Erfolg in Paris einstellen wollte, ist nicht einfach zu beantworten. Auch er erhielt nach seiner Ankunft recht schnell Gelegenheiten, sich in den Concerts spirituels hören zu lassen, u.a. mit einer Sinfonia concertante und mit der Sinfonie D-Dur KV 297, die beim Publikum gut ankam. In eine private Krise stürzte ihn am 3. Juli der Tod der Mutter, die ihn auf seiner Reise begleitet hatte. Seine Hoffnung, dass nun wenigstens die junge Sängerin Aloysia Weber, in die er sich in Mannheim verliebt hatte, mit ihrer Familie nach Paris kommen würde, erfüllte sich nicht, auch konnte er keinen Opernauftrag erlangen. So musste er schließlich auf Befehl des Vaters nach Salzburg zurückkehren. Vielleicht war die Zeit für sein Paris- Debüt damals noch nicht reif. Einige Jahre später jedenfalls zierte sein Name neben denen von Rigel und Haydn die offizielle Liste der zehn Compositeurs du Concert spirituel - ein Beweis für die Präsenz seiner Kompositionen in den Programmen der Reihe. Nach deren Vorbild erklingt seine Arie aus dem frühen geistlichen Singspiel »Die Schuldigkeit des ersten Gebots« (Salzburg 1766) heute eingerahmt von Sätzen der g-Moll-Sinfonie Haydns, in die sie sich mit ihrer perlenden Melodik und dem ausdrucksstarken Bläserkolorit harmonisch einfügt.

Die Arie »Alma grande e nobil core« stammt aus Mozarts Wiener Zeit und führt seine Fähigkeit vor, sich flexibel auf die Musiksprache seiner Komponistenkollegen und seiner Sängerinnen einzustellen. Er komponierte sie 1789 für Louise Villeneuve zu einer Inszenierung von Antonio Cimarosas Buffo-Oper »Il due baroni« am Wiener Burgtheater: Donna Laura klagt der Freundin Sandra, dass der Baron Totaro, dem sie versprochen ist, sie nicht beachtet. Die vermutlich aus dem Piemont stammende Starsängerin Villeneuve war im Juni in Wien eingetroffen, gerade rechtzeitig, um die Stelle von Aloysia Weber (nun auf Konzerttournee) am Burgtheater einzunehmen. Aloysia war dort fast ein Jahrzehnt lang mit großem Erfolg aufgetreten, unter anderem in Mozarts »Schauspieldirektor«, »Entführung aus dem Serail« und »Don Giovanni«. Sie war inzwischen auch Mozarts Schwägerin: Im August 1782 hatte er sich mit ihrer jüngeren Schwester Constanze vermählt.

behe

Mitwirkende

Concerto Köln

Saskia Kwast, Harfe
Martin Sandhoff, Flöte

Concerto Köln spielt heute in folgender Besetzung:
1. Violine: Markus Hoffmann (Konzertmeister), Chiharu Abe, Jörg Buschhaus,
Hedwig van der Linde, Horst-Peter Steffen
2. Violine: Stephan Sänger, Antje Engel, Wanda Visser, Kristin Deeken
Viola: Aino Hildebrandt, Gabrielle Kancachian, Marie-Aude Guyon
Violoncello: Alexander Scherf, Elisabeth Wand
Kontrabass: Jean-Michel Forest, Clotilde Guyon
Flöte: Martin Sandhoff, Cordula Breuer
Oboe: Ann-Kathrin Brüggemann, Peter Tabori
Fagott: Lorenzo Alpert, Elena Bianchi
Horn: Ulrich Hübner, Renée Allen
Cembalo: Wiebke Weidanz