Saison 2008/2009: Konzert 6

Sonntag, 15. März 2009 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

Robert Schumann

Violinsonaten Nr. 1 u. 2; Fantasiestücke op. 73, Chaconne d-Moll, Daniel Sepec - Violine Andreas Staier - Fortepiano Daniel Sepec, Andreas Staier Sendung im Deutschlandfunk am 24.3.2009

»Es fehlt so sehr an was Gescheidtem Neuen, und ich wüßte Niemand, der es besser könnte als Du. Wie schön wäre es, wenn Du jetzt noch etwas derartiges machtest, was ich Dir dann mit Deiner Frau vorspielen könnte.« Nachdem er zuvor die Fantasiestücke op. 73 in der Fassung mit Klarinette und Klavier gehört hatte, bat der Leipziger Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David seinen Freund Robert Schumann, sich doch einmal der Komposition von Sonaten für Violine und Klavier zu widmen. Und er hatte Erfolg. So können Daniel Sepec und Andreas Staier heute gleich mit mehreren dieser Duo-Kompositionen aufwarten, die Schumann in den 1850er Jahren schrieb.

Programmfolge

Robert Schumann (1810-1856)
1. Sonate für Pianoforte und Violine a-Moll op. 105
Mit leidenschaftlichem Ausdruck - Allegretto - Lebhaft

Fantasiestücke a-Moll op. 73
für Violine und Klavier
Zart und mit Ausdruck - Lebhaft, leicht - Rasch und mit Feuer

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Chaconne aus der Sonata IV für Violine
mit Klavierbegleitung von Robert Schumann

Robert Schumann
aus Gesänge der Frühe op. 133 für Klavier
Im ruhigen Tempo

Pause

Robert Schumann
2. Sonate für Violine und Pianoforte d-Moll op. 121
Ziemlich langsam. Lebhaft - Sehr lebhaft - Leise, einfach - Bewegt

Gescheites Neues

»Robert arbeitet sehr fleißig etwas Neues; ich kann ihm aber nicht entlocken, was; vermute jedoch es sei ein Stück für Klavier und Violine, hab ich recht?« – Nicht lange blieb es für Clara Schumann, die die voranstehenden Zeilen am 15. September 1851 ihrem Tagebuch anvertraute, ein Geheimnis, was ihr Mann da in der Zurückgezogenheit seines Komponierzimmers niederschrieb. »Ich hatte recht,« ergänzt sie drei Tage später: »R. hat eine neue Sonate für Klavier und Violine komponiert, doch lernte ich sie noch nicht kennen, da sie jetzt beim Notenschreiber ist.« Es war die Sonate für Pianoforte und Violine a-Moll op. 105. Wir sind es heute gewohnt, die beteiligten Instrumente in umgekehrter Reihenfolge zu nennen, vermuten unwillkürlich in der Violine das Solo- und im Klavier das Begleitinstrument. Doch lag für viele Komponisten der Reiz dieser Form immer schon in der Herausforderung, einen Triosatz für zwei gleichberechtigte Instrumente zu schreiben, die Oberstimme des Klaviers mit der Violinstimme in einen Dialog treten zu lassen, bald dem einen, bald dem anderen Instrument eine Führungsrolle im komplexen Stimmengeflecht zuzuweisen, auch einmal dem Klavier die ausschwingende Kantilene anzuvertrauen und der Violine die Begleitfigur. Entsprechende ältere Kompositionsvorbilder, etwa von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven, waren der Generation Robert Schumanns wohlvertraut, die als vielleicht erste in den Kunstschöpfungen früherer Zeiten nicht nur objektive Manifestationen des Vergangenen sah, sondern vielmehr die ihnen ewig innewohnende emotionale Kraft erspürte.

Als sich Schumann im September 1851 an die Komposition seiner ersten Sonate für Klavier und Violine begab, tat er das als städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. Jene in jeder Hinsicht aufregende Lebensphase des Vormärz lag hinter ihm, die er zunächst als Student, dann als Komponist und Musikschriftsteller von 1828 bis 1844 in Leipzig verbracht hatte, nach langem Ringen schließlich mit der erfolgreichen jungen Konzertpianistin Clara Wieck, der Tochter seines einstigen Klavierlehrers, als Frau an seiner Seite. Leipzig durfte damals als führende deutsche Musikmetropole gelten. Dort war Felix Mendelssohn Bartholdy 1835 Gewandhaus-Kapellmeister geworden, dort hatte er bald »historische Konzerte« initiiert, die der befreundete Schumann mit Rat und Tat, nicht zuletzt mit entsprechenden Artikeln in seiner Neuen Zeitschrift für Musik publizistisch begleitete und bei der Clara Wieck-Schumann regelmäßig am Klavier mitwirkte. Von Leipzig war nun auch die Anregung zur Komposition der Violinsonaten gekommen, in Gestalt eines Briefes, den der Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David seinem Freund Schumann am 18. Januar 1851 nach Düsseldorf sandte: »Deine Fantasiestücke für Piano u. Clarinette gefallen mir ungemein; warum machst Du nichts für Geige und Clavier? Es fehlt so sehr an was Gescheidtem Neuen und ich wüßte Niemand der es besser könnte als Du. Wie schön wäre es, wenn Du jetzt noch etwas derartiges machtest was ich Dir dann mit Deiner Frau vorspielen könnte. Wäre ich Fürst Gallizin so bestellte ich einiges bei Dir à 100 Ducaten, bliebe sie Dir aber nicht schuldig. Thu's auch ohne dies, lieber Schumann, immer und ewig die A dur Sonate von Beethoven wird einem doch auch bald zu viel.«

Die erwähnten Fantasiestücke op. 73 waren 1849 in Dresden entstanden, wohin sich Schumann im Sommer 1844 zurückgezogen hatte. Sie stehen am Anfang einer Reihe von ursprünglich pianistischen Charakterstücken, die auf der Suche nach neuen klanglichen Ausdruckswerten ein weiteres Instrument mit einbeziehen. Hier ist es die Klarinette, in den Schwesterwerken mit den Opuszahlen 70, 94, 102 und 113 folgen bis 1851 Horn, Oboe, Violoncello und Viola als Duopartner des Klaviers - wobei eine Alternativbesetzung mit der Violine als Melodieinstrument jeweils von vorneherein vorgesehen ist. Sehr modern an diesen Fantasiestücken ist die Offenheit der Form, das Ineinandergreifen der drei sich in der Bewegungsintensität steigernden Sätze, die einen Bogen von liedhafter Lyrik bis zu einem virtuosen Espressivo schlagen. Der Violinist David erwartete sich offenbar ein ähnlich angelegtes Werk von Schumann, das aber deutlicher auf die besonderen Fähigkeiten seines Instruments eingehen sollte. Mit dem Hinweis auf Beethovens Kreutzer-Sonate deutet er darüber hinaus an, dass er sich ein Werk vorstellte, das in seinen Dimensionen deutlich über die Fantasiestücke hinausreichte.

Fast neun Monate trug sich Schumann mit der von David angeregten Idee; in nur fünf Tagen brachte er sie dann zu Papier. Am 26. Oktober 1851 fand sich schließlich Wilhelm Joseph von Wasielewski , ein ehemaliger Schüler Davids und inzwischen Düsseldorfer Konzertmeister, in der Wohnung der Schumanns ein und ermöglichte dem Ehepaar die wochenlang ersehnte Uraufführung: »Schon am zweiten Tage nach meiner Rückkehr von Dresden brachte Schumann die A-moll-Sonate op. 105 zum Vorschein, die seine Gattin auf der Stelle mit mir durchspielte. Im ganzen zeigte sich Schumann von der Ausführung befriedigt, nur das Finale konnte ich ihm nicht zu Danke spielen. Es wurde noch dreimal durchgenommen, doch Schumann meinte, er habe ein andere Wirkung von der Geigenpartie erwartet. Ich vermochte ihm nicht genügend den störrischen, unwirschen Ton des Stückes wiederzugeben.« Die letzte Bemerkung gibt einen Hinweis auf Schumanns Interpretationsvorstellungen. Er und seine Frau sahen sie erstmals verwirklicht, als David das Stück während eines Leipzig-Aufenthalts des Ehepaars im März 1852 interpretierte, zusammen mit Clara Schumann und ergänzt um die Darbietung der Fantasiestücke op. 73 - also in einer Zusammenstellung, wie sie im ersten Teil des heutigen Konzertes zu hören ist.

Als eine unmittelbare Konsequenz aus dem Uraufführungs-Erlebnis des Violinsonaten-Erstlings lässt sich die 2. Sonate für Violine und Pianoforte d-Moll op. 121 deuten, die Schumann zwischen dem 26. Oktober und dem 2. November 1851 komponierte. »Die erste Violinsonate hat mir nicht gefallen; da habe ich denn noch ein zweite gemacht, die hoffentlich besser geraten ist«, bemerkte er dazu - nicht ohne Ironie -- gegenüber Wasielewski, der am 15. November auch dieses Werk gemeinsam mit Clara Schumann erstmals aufführte. Der Komponist bezeichnete es als 2te grosse Sonate für Violine und Pianoforte. »Groß« ist diese Sonate im Vergleich zur ersten schon in ihren geradezu sinfonischen Dimensionen: Sie bietet zwei Binnensätze (zunächst ein Scherzo, dann einen Variationen-Satz), und die Aufführungsdauer ist etwa doppelt so lange. Als »großartig« in ihrer Wirkung charakterisierte Clara Schumann sie bei verschiedenen Gelegenheiten, und ähnlich urteilte Wasielewski im Rückblick: »Diese tiefernste, mit Ausnahme des reizenden langsamen Satzes, düstere Tonschöpfung von heftig aufgeregtem, in den beiden letzten Teilen stürmisch bewegtem Charakter, ist ungleich bedeutender als die ihre Vorläuferin. Die darin enthaltenen Schwierigkeiten für beide Instrumente erfordern ein sorgsames Studium, und nicht minder ein liebevolles Eingehen auf den nicht so ohne weiteres wiederzugebenden wuchtigen Gehalt.« Schumann widmete dieses Werk ausdrücklich David, und der führte es auf den Tag genau heute vor 157 Jahren, am 15. März 1852, erstmals im Rahmen einer Matinee privaten Charakters in Leipzig vor Publikum auf.

Das erneute Zusammentreffen mit David mag bei Schumann die Erinnerung an ein legendäres Leipziger Konzert vom Februar 1840 heraufbeschworen haben. Damals trug der Gewandhaus-Konzertmeister die Chaconne d-Moll von Johann Sebastian Bach vor, den Schlusssatz aus der Partita d-Moll BWV 1004, der aus einer Folge von Variationen über ein stets wiederkehrendes kurzes Bassmodell im Dreiertakt besteht. Dieses Bach-Werk erklang seinerzeit aber nicht in der Originalgestalt für Violine solo, sondern zu einer Klavierbegleitung Mendelssohns. Schumann nannte diese Begleitung damals in einem für die Leipziger Allgemeine Zeitung verfassten Bericht »so wundervoll, daß der alte ewige Kantor seine Hände selbst mit im Spiele zu haben schien. Daß Bach sich sein Stück so oder ähnlich gedacht, mag möglich sein.« Ende 1852 nun begann er selbst, Klavierbegleitungen zu sämtlichen zwölf Sonaten, Partiten und Suiten zu komponieren, die Bach für Violine bzw. Violoncello solo geschrieben hatte. Seine Deutung der Chaconne entfaltet dabei nicht nur das der Bach'schen Originalgestalt innewohnende harmonische Potenzial - ihm gelingt auch das Kunststück, es zu einer kongenial großartigen Steigerung im romantischen Sinne zu führen.

Wie grüblerisch, vorsichtig tastend erscheint im Gegensatz dazu der erste der Fünf Gesänge der Frühe, die Schumann im Oktober 1853 für Klavier schrieb: »Ganz originelle Stücke wieder, aber schwer aufzufassen, es ist so eine ganz eigne Stimmung darin«, notiert Clara Schumann. Heute fällt es schwer, die Melancholie dieser Miniaturen auf sich wirken zu lassen, ohne dass zugleich das weitere Schicksal ihres Komponisten in den Blick geriete, vom Selbstmordversuch im Februar 1854 bis zum Tod in der Psychiatrischen Heilanstalt Endenich am 29. Juli 1856. Doch war die Zeit, in der diese »Gesänge ohne Worte« entstanden, auch von Schumanns Enthusiasmus für zwei junge Musiker erfüllt, die wiederholt bei ihm in Düsseldorf zu Gast waren und in denen er die Hoffnungsträger einer neuen Musikergeneration erkannte: Johannes Brahms, der in der Tat die musikalische Sprache der heute Abend zu hörenden Werke aufgreifen sollte, und Joseph Joachim, der mit seinem vollendeten Violinspiel Schumanns Sonaten den Weg in den Konzertsaal bahnte.

behe

Mitwirkende

Daniel Sepec - Violine

Im heutigen Konzert spielt Daniel Sepec eine Violine von Laurentius Storioni, gebaut 1780 in Cremona.

Andreas Staier - Fortepiano

Andreas Staier spielt im heutigen Konzert die Kopie eines Hammerflügels von Conrad Graf, Wien 1828, gebaut von Christopher Clarke, Donzy-le-National 1996.