Saison 2009/2010: Konzert 2

Sonntag, 4. Oktober 2009 17 Uhr Deutschlandfunk, Kammermusiksaal

Mediterraneum

Mittelalterliche Improvisationswelten zwischen Orient und Okzident Ensemble Oni Wytars Ensemble Oni Wytars Sendung beim Deutschlandfunk am 20.10.2009

Die Mitglieder von Oni Wytars sind international bekannt als stilistische Gratwanderer, die durch ihre Arrangements ein besonders lebendiges Klangbild entstehen lassen - die Musik wird zur Brücke zwischen Orient und Okzident, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Mit virtuosen Improvisationen taucht Oni Wytars diesmal in den mediterranen Raum christlicher und islamischer Kulturen ein. Um sich der interpretatorischen Freiheit "zwischen den Noten" der Alten Musik anzunähern, hat das Ensemble um Marco Ambrosini Gäste wie den Tamburin-Virtuosen Carlo Rizzo, den "John Coltrane auf dem Zink" Ian Harrison, den irischen Star der griechischen Lyra, Ross Daly, den begnadeten Multi-Instrumentalisten Efrén López und den Maestro der sardischen Launeddas, Luigi Lai, eingeladen.

Texte

Die Gesangstexte und ihre Übersetzungen in finden Sie auf einer separaten Seite als Pdf-Datei.

Mediterraneum

"Zehntausend Flüsse münden ins Meer, doch es läuft nie über ..." - Die Fluten von Nil und Tiber, die Quellwasser aus Kaukasus, Balkan und Pyrenäen, aus Alpen und Atlasgebirge mischen sich im Mittelmeer. "Mare nostrum" nannten es die Römer der Antike, "unser Meer" - und doch gehört es allen…

Im Bewusstsein vergangener Generationen war das "Mediterraneum" tatsächlich die "Mitte der Welt". Hier kreuzten sich die Handelswege zwischen Nord und Süd, zwischen Orient und Abendland, hier trafen Zivilisationen und Religionen aufeinander. Die drei "alten" Kontinente Afrika, Asien und Europa grenzten aneinander. Die drei monotheistischen Religionen wetteiferten miteinander; im Mittelmeer-Raum entstanden und vergingen die großen Weltreiche der Ägypter, der Griechen, der Römer. Völker, Sprachen und Traditionen trafen aufeinander, bekämpften sich in Kriegen und Konflikten, versöhnten sich im Handel, im Austausch von Gedanken und Ideen. Das Mittelmeer als Wiege der Kulturen…

Oni Wytars gründeten wir vor über 25 Jahren zunächst als Ensemble für mittelalterliche Musik; doch die Beschäftigung mit den Klängen des italienischen Trecento, den Pilgergesängen aus katalanischen und spanischen Manuskripten des 14. Jahrhunderts, den Melodien der Troubadoure und Trouvères stellte uns bald vor interessante Fragen. Der größte Teil dieses Repertoires ist nur einstimmig überliefert. Aus literarischen und bildlichen Quellen wissen wir jedoch, dass die instrumentale Ausführung meist farbig und abwechslungsreich war. Der heutige Interpret mittelalterlicher Musik ist also gefordert, seine Phantasie einzubringen, die Melodien mit Leben zu füllen. Für uns lag es nahe, heutige musikalische Traditionen aus dem Mittelmeer-Raum zu studieren. Tarantella-Rhythmen aus Sizilien, Dudelsack-Melodien aus Bulgarien oder Spanien, griechische Lyra-Klänge oder türkisch-arabische Improvisationen auf der Oud-Laute lassen uns eintauchen in einen mediterranen Klangkosmos. Viele dieser Traditionen reichen Jahrhunderte zurück, sind deshalb nicht unbedingt "authentisch mittelalterlich". Aber die Idee einer "historisch korrekten" Aufführung erübrigt sich für die Musik jener frühen Epoche ohnehin, zu karg ist die Quellenlage, zu weit ist unsere zeitliche Distanz zum 13. oder 14. Jahrhundert. Oni Wytars beschreitet bewusst einen anderen Weg: Wir wollen klangliche Brücken schlagen in ferne Welten - zeitlich und räumlich. Die Musik der byzantinischen Epoche trifft auf Balkanmelodien der Gegenwart, spanische Cantigas des 14. Jahrhunderts werden kontrastiert mit Balladen sefardischer Juden, arabo-andalusische Klänge münden in orientalische Melodien von heute. Es ist ein Hineintasten in Klangräume zwischen Gestern und Heute, zwischen Nah und Fern: unsere gemeinsame musikalische Reise zum Mittelmeer will Klänge modellieren, Gefühlen und Phantasien freien Lauf lassen, Ohren und Herzen öffnen, Farbigkeit, Duft und Klang des "mare nostrum" beschwören. Begleiten Sie uns dabei…

Ensemble Oni Wytars

Mediterraneum, mare nostrum,
sicut caelum caeruleum,
sicut caelum latum,
sicut caelum profundum,
sicut caelum purum,
pater et mater maris nostri populorum.
Mare nostrum

Azzurro come il cielo
Vasto come il cielo
Profondo come il cielo
Puro come il cielo
Padre e madre dei popoli del mediterraneo

Daniela Vespignani

Es mag für manchen westlichen Musiker ungewöhnlich zu sein, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, frei zu improvisieren, statt nur geschriebene Noten zu reproduzieren. Diese Art des Musizierens kann vielfältige Gefühle hervorbringen, die nicht auf einem linierten Blatt Papier sichtbar sind. Es ist eine spannende Herausforderung, sich in seiner Ausdrucksweise frei fühlen zu dürfen, mit Tönen zu sprechen, Figuren mit Klängen zu modellieren, durch modale Umspielungen und Improvisationen seinem eigenen Gefühl und seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Das ist eine Art, Musik zu machen, die in der Kunstmusik leider fast gänzlich verloren gegangen ist und heute hauptsächlich noch im Jazz zu hören ist.
Marco Ambrosini

Viele Instrumente, die in diesem Konzert gespielt werden, sind arabischen Ursprungs. Orientalische Trommeln und Schalmeien waren im Abendland seit den ersten Kreuzzügen bekannt. Auch während der jahrhundertelangen islamischen Herrschaft in Spanien fand ein reger Kulturaustausch zwischen orientalischen und christlichen Musikern statt. Davon zeugen die wunderschönen Miniaturen der Cantigas de Santa Maria aus dem 13. Jahrhundert mit ihren detaillierten Abbildungen arabischer und abendländischer Instrumente.

Manche europäische Instrumente verdanken sogar ihren Namen der arabischen Sprache: al Ud, die orientalische Knickhalslaute, wurde im Lateinischen zu Lahut, im Italienischen zu Liuto und im Deutschen zu Laute. Die Rebab (heute Rebec) ist eine gestrichene Kurzhalslaute, vermutlich das erste in Europa bekannte Streichinstrument. Ihr verdanken die Europäer die Einführung des Streichbogens, der bis zum 9. Jahrhundert in unseren Breiten noch gänzlich unbekannt war. Auch die Harfe und verschiedene Formen der Brettzither kamen über die Araber in den Mittelmeerraum, ebenso die aus Ägypten stammende Doppelklarinette, die schon den Assyrern bekannten Kastagnetten, die große Trommel, deren kleine Schwester nach arabischen Vorbild zur Einhandflöte gespielt wurde, die arabische Kesselpauke und die Trompete (al Nafir), die wir in veränderter Form als Fanfare kennen.

Mitwirkende

Ensemble Oni Wytars

Oni Wytars musiziert heute in folgender Besetzung:
Marco Ambrosini - mittelalterliche Fidel, Schlüsselfidel, Maultrommel
Belinda Sykes - Gesang
Peter Rabanser - Gesang, Oud, Chalumeau, Kaval, verschiedene Dudelsäcke
Katharina Dustmann - Bendir, Zarb, Darbuka, Riqq, Davul
Riccardo Delfino - Gesang, Harfe
Michael Posch - Schilf- und Blockflöten
Carlo Rizzo - Gesang, Tamburello, Riqq, Daf
Efrén López - Oud, Bahalama
Ian Harrison - Pommer, Zink, Gaita
Ross Daly, Kelly Thoma - Lyra
Luigi Lai - Launeddas