Saison 2010/2011: Konzert 3

Sonntag, 28. November 2010 17 Uhr COMEDIA Theater

Giovanni Punto, Joseph Fiala, Leopold Kozeluch, Michael Haydn

Musik für Flöte, Horn, Violine, Viola und Violoncello Compagnia di Punto Compagnia di Punto Sendung auf WDR 3 Konzert am 9.12.2010

Wenn sich Traversflöte und Naturhorn zum Streichtrio gesellen, sind aparte Klangeffekte vorprogrammiert. Für das entsprechend temperament- und anspruchsvolle Repertoire sorgten in Süddeutschland und Österreich um 1800 vor allem böhmische Musiker: etwa der Star-Hornist Giovanni Punto, für den Beethoven seine Horn-Sonate schrieb, Joseph Fiala, der als Salzburger Oboist und Violoncellist bei den Mozarts wohnte und dem Sohn des Hauses kurz darauf nach Wien folgte, oder der Pianist Leopold Kozeluch, dessen Kammermusik damals in jedem Wiener Adelssalon gespielt wurde. Der Kölner Hornist Christian Binde hat heute kaum mehr bekannte Werke aus der reichhaltigen Divertimento-Literatur der drei Böhmen ausgesucht und stellt ihnen mit Michael Haydn einen Meister aus dem Burgenland zur Seite, der die meiste Zeit seines Lebens in Salzburg wirkte.

Programmfolge

Giovanni Punto (1746-1803)
Quintett F-Dur
(Druck Jean Georges Sieber, Paris ca. 1780)
Allegro spirituoso - Adagio - Rondo. Allegretto

Michael Haydn (1737-1806)
Divertimento G-Dur MH 406
(Manuskript Wien, Gesellschaft der Musikfreunde)
Marcia. Andantino-Allegro spiritoso-Menuetto / Trio-Andante-Menuetto allegretto / Trio-Polonese-Allegretto-Finale. Presto

Joseph Fiala (1748-1816)
Quintett Es-Dur
(Manuskript Brünn, Moravské Zemské Muzeum)
Allegro moderato-Menuetto / Trio I, II - Andante-Menuetto II / Trio - Rondo. Allegro

Pause

Antonio Rosetti (1750-1792) / Giovanni Punto
Quintett F-Dur
(Druck Jean Georges Sieber, Paris ca. 1780)
Allegro - Andante ma Allegretto-Rondo. Allegro

Leopold Kozeluch (1738-1814)
Serenata D-Dur
(Druck Johann Anton André, Offenbach 1787)
Adagio Maestoso / Allegretto / Adagio-Menuetto / Trio I, II, III - Romance poco Adagio-Allegretto

Zwischen Divertimento und Sinfonik

Ein begabter junger Musiker, der aus der Leibeigenschaft entflieht und dank seiner phänomenalen Begabung international Karriere macht: Das klingt nach einem Roman-Entwurf, skizziert aber gleichzeitig das Leben des Johann Wenzel Stich alias Giovanni Punto. Das Schicksal der Geburt in der Leibeigenschaft teilt er mit so manchem der vielen böhmischen Musiker, die im 18. Jahrhundert in jeder Musikmetropole und an nahezu jedem künstlerisch ambitionierten Fürstenhof nördlich der Alpen anzutreffen waren, nicht zuletzt als die besten Spieler des damals erst wenige Jahrzehnte in der Kunstmusik etablierten Naturhorns. Stichs Vater war Kutscher des österreichischen Adeligen Johann Joseph Anton Graf von Thun und Hohenstein auf dessen böhmischen Landgut Zehusice nahe Czaslau. Wenn man der Leibeigenschaft, die in den habsburgischen Territorien erst mit dem »Aufhebungspatent« Kaiser Josephs II. vom 1. November 1781 endete, überhaupt eine positive Seite abgewinnen mag, dann ist es wohl die der mäzenatischen Haltung mancher Magnaten gegenüber talentierten Untertanen: Graf Thun schickte den noch minderjährigen Johann Wenzel zur Ausbildung bei den Meisterhornisten Josef Matiegka in Prag, Jan Schindelarz in Doberschisch sowie Karel Houdek und Anton Joseph Hampel in Dresden - natürlich mit der Absicht, ihn anschließend in seiner Hauskapelle einzusetzen. Mit der neu entwickelten Stopftechnik kam Stich aus Dresden zurück, bei der die rechte Hand in die Stürze des Horns eingeführt wird und auf dem ventillosen Instrument das Spiel von Tönen jenseits der Naturtonreihe ermöglicht. Im Frühjahr 1768 entfloh der Einundzwanzigjährige aber aus den Kapellmeisterdiensten des Grafen. Der sandte Soldaten aus, mit dem Befehl, dem Abtrünnigen die Vorderzähne einzuschlagen, auf dass er nie mehr Horn spielen könne. Um seine Verfolger leichter abzuhängen, verwendete Stich von nun an die italianisierte Form seines Namens.

Wann genau aus der Flucht des Johann Wenzel Stich die Virtuosen-Tournee des Giovanni Punto wurde, auf der er von Residenz zu Residenz, von Metropole zu Metropole reiste, lässt sich schwer sagen. Es fällt aber auf, dass er selbst Orte, an die ihn de jure ein mehrjähriges Anstellungsverhältnis band, häufig zu auswärtigen Gastspielen verließ. So trat er beispielsweise 1772 in London und am Kurfürstenhof des Trierer Erzbischofs in Koblenz auf, war aber zu dieser Zeit in der kurfürstlichen Hofkapelle des Erzbischofs von Mainz angestellt. Ähnliche Freiheiten gewährte ihm seit 1782 Charles de Bourbon, Graf von Artois (und späterer französischer König Karl X.) in Paris, der ihn als Kammermusiker bezahlte. Seit 1776 schon war Punto immer wieder einmal an der Seine aufgetreten, vor allem in der renommierten Reihe der Concerts spirituels. In Paris lernte ihn 1778 auch Wolfgang Amadeus Mozart kennen und bedachte ihn in seiner für die Concerts komponierten Sinfonia concertante. Dass Punto im August 1789, wenige Wochen nach der Erstürmung der Bastille, von einem Londoner Engagement wieder nach Paris zurückkehrte (und das für zehn Jahre), war wohl kein Zufall, vermutlich sympathisierte er mit der Revolution. Als er aber 1799 erfahren musste, dass er nicht in den Vorstand des neu gegründeten Conservatoire aufgenommen würde, verließ er seine zweite Heimat in Richtung München und Wien - wo Ludwig van Beethoven für ihn die berühmte Sonate op. 17 für Klavier und Horn schrieb und im Burgtheater gemeinsam mit ihm aufführte. Im Mai 1801 wurde Punto dann die vollkommene Rehabilitation in seiner böhmischen Heimat zuteil, in Gestalt eines triumphalen Konzerts im Prager Nationaltheater. Als er 1803 in Prag starb, wurde er zu den Klängen von Mozarts Requiem zu Grabe getragen.

Diesen bemerkenswerten Hornvirtuosen hat sich nun ein Musikensemble zum Namenspatron gewählt, das sich einer ebenso bemerkenswerten Kammermusikgattung widmet, die vielleicht ohne Punto, gewiss aber ohne die böhmische Hornschule des 18. Jahrhunderts nie entstanden wäre: das Quintett für Flöte, Horn, Violine, Viola und Bass. Die heute noch bekannten Werke für diese Besetzung lassen sich zur Zeit trotz intensiver Bibliotheksrecherchen an den Fingern zweier Hände abzählen: Es sind Kompositionen, die nicht nur in der Besetzung, sondern auch in der Stilistik eine Mittelstellung zwischen der für Freiluftaufführungen (und entsprechend bläserreich) komponierten Divertimento-Literatur und jener Streicher-Kammermusik einnehmen, die in den Quartetten Haydns, Mozarts und Beethovens ihre klassischen Höhepunkte erlebte.

Puntos eigenes Quintett in F-Dur eröffnet das Programm, ein dreisätziges Werk, das nach Konzertmanier in den Rahmensätzen Virtuoses bietet und dazwischen ein lyrisches Adagio. Selbstverständlich verschafft sich Punto in diesem Adagio genügend Raum, um die von ihm bevorzugte Mittellage des Horns in all ihren Schattierungen zu entfalten. Das Werk bildet eines der Trois quintetti, die in den frühen 1780er Jahren der Pariser Verleger Jean Georges Sieber veröffentlichte, der aus dem Fränkischen stammte und selbst gelernter Hornist war. Die beiden anderen Quintette dieses Drucks stellen Bearbeitungen Puntos von Kammermusik seiner Kollegen Antonio Rosetti und Federigo Fiorillo dar, Musikern, die von deutschen Fürstenhöfen kamen und sich damals in der Musikmetropole Paris weiterbildeten. Rosetti, der zu Lebzeiten vor allem als Komponist von Sinfonien neben Haydn und Mozart gestellt wurde, wirkte im Eliteensemble des Fürsten Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein, als er Ende 1781 zu einem mehrmonatigen Aufenthalt an der Seine eintraf. Das luzide F-Dur-Quintett, das heute die zweite Konzerthälfte eröffnet, formte Punto aus einer Originalversion Rosettis für Flöte, Oboe, Klarinette, Englischhorn und Fagott um. Rosetti, der ebenfalls in Böhmen geboren war, konnte den süddeutschen Fürstenhof übrigens im Juli 1789 ungehindert in Richtung Ludwigslust verlassen, wo er bis zu seinem Tod im Juni 1792 als Kapellmeister des Herzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin wirkte.

Einem ähnlich wechselhaften Lebensweg wie Punto folgte sein zwei Jahre jüngerer Landsmann Joseph Fiala. Als Leibeigener der Gräfin Notolitzky im böhmischen Lochwitz geboren, wurde er in Prag durch Jan Stiasny und Franz Joseph Werner auf Oboe und Violoncello ausgebildet. Dort trat er 1770 auch öffentlich auf, floh aber kurz dar- auf aus der Leibeigenschaft. Als Oboist fand er 1774 eine Anstellung in Oettingen-Wallerstein und wurde so ein Kollege von Rosetti, 1777 wechselte er in die Münchner Hofkapelle des Kurfürsten Maximilian II., wo er Mozart kennenlernte und sich mit ihm anfreundete. Ende des folgenden Jahres trat Fiala in Salzburg in die Dienste des Fürsterzbischofs Hieronymus Colloredo, aus denen er aber wegen einer Lungenerkrankung 1785 entlassen wurde. Über Wien, wo er Mozart wiedertraf, führte Fiala seine Karriere nun vor allem als Cellist weiter nach St. Petersburg (hier baute er für den Grafen Orlow-Tschesmenskij eine Kapelle auf), nach Prag, Berlin und Breslau, bis er 1792 als Cellist in der Hofkapelle des Fürsten Joseph Maria Benedikt zu Fürstenberg in Donaueschingen seine Lebensstellung fand. »Ich mus sagen, das sie recht hübsch sind. Er hat sehr gute gedancken«, schrieb Mozart 1777 von München aus an seinen Vater über die Bläserstücke Fialas. Das Es-Dur-Quintett, in dem Fiala zwischen die beiden Blasinstrumente und das Violoncello zwei Bratschen setzt und damit die Streicherfarben dunkler tönt, ist in einer Handschrift in Brünn überliefert. Es mag aus München oder aus Salzburg dorthin gelangt sein. Mit seinen fünf Sätzen nimmt das Werk eine Mittelstellung zwischen der sonatenhaft-kammermusikalischen Quintettform und der aus der Freiluftmusik erwachsenen Serenaden-Literatur ein. Zu dieser hat auch Michael Haydn in Salzburg so manches Werk beigetragen, der als Konzertmeister bei Hofe ein Kollege der Mozarts und zeitweilig auch von Fiala war. Nur im Falle des achtsätzigen, bezeichnenderweise mit einem Marsch beginnenden Divertimento G-Dur wählte Haydn aber die Besetzung mit Flöte, Horn, Violine, Bratsche und Bass - üblicherweise waren bei den Ständchen in den Gassen die durchdringenden Blasinstrumente stärker vertreten.

Am Ende des heutigen Konzerts steht die Bläserquintett-Komposition eines weiteren Landsmanns und Altersgenossen Giovanni Puntos, von Leopold Kozeluch. Er war nicht vom Los der Leibeigenschaft betroffen, erhielt seine musikalische Ausbildung zunächst im Geburtsort Welwarn, dann in Prag bei seinem neun Jahre älteren Vetter Johann Anton Kozeluch und bei Franz Xaver Duschek. Dabei war er offenbar so erfolgreich, dass er die gleichzeitigen Gymnasial-Studien in Philosophie und Logik bald aufgab. Seit 1778 lebte Kozeluch in Wien, wo er als Komponist ähnliche Wertschätzung erfuhr wie Mozart. So erklang auch eine Huldigungskantate aus seiner Feder, als Joseph II. 1791 in Prag zum böhmischen König gekrönt wurde; die Berufung zum Kammerkapellmeister und Hofkompositeur ließ dann nicht mehr lange auf sich warten. Der kompositorische Rang Kozeluchs ist auch an seinem Bläserquintett abzulesen, das 1787 gemeinsam mit einem Schwesterwerk beim rührigen Verleger Johann Anton André in Offenbach erschien. Trotz der Bezeichnung »Serenata« hat dieses Stück weniger mit der populären Unterhaltungskunst des Divertimentos zu tun. Vielmehr handelt es sich um anspruchsvollste Ensembleliteratur, die den großen Gestus der Sinfonie in genialer Weise aufs kammermusikalische Format überträgt.

behe

Mitwirkende

Compagnia di Punto
Annie Laflamme, Traversflöte
Christian Binde, Horn
Adrian Bleyer, Violine
Florian Schulte, Viola
Alexander Scherf, Violoncello