2020/2021: Konzert 10

Sonntag, 13. Juni 2021 Trinitatiskirche Rundfunkproduktion ohne Publikum

Strali d’amore

Arien, Duette und Instrumentalsätze aus Opern von Francesco Cavalli Hannah Morrison | Alex Potter Nuovo Aspetto Hannah Morrison Sendung auf WDR 3 am 10. Oktober 2021 ab 20:04 Uhr

Francesco Cavalli gilt als ein venezianischer Shakespeare des Musiktheaters. In der Tat offenbaren die Arien und Duette aus seinen mehr als 30 Opern nicht nur einen ausgeprägten Sinn für dramatische Wirkungen, sondern oft auch für grotesken Humor. Das für seinen musikalischen Spürsinn bekannte Ensemble Nuovo Aspetto stellt seine Arienauswahl mit einem wunderbaren Vokalduo vor: Die Sopranistin Hannah Morrison und der Countertenor Alex Potter lassen sich ebenso gerne auf die süßen Harmonien Cavallis ein, wie sie seine Dissonanzen auskosten – mal im Solo, mal im Duett.

Programmfolge

Francesco Cavalli (1602–1676)
Sinfonia aus Gli amori d’Apollo e di Dafne (1640) Ombra mai fu Arie des Xerse aus Il Xerse (1654) Virginella io morir vo Szene der Calisto aus La Calisto (1651) Hor che l’aurora Duett von Lidio und Clori aus L’Egisto (1646) Canzon a 3 (1656) Ecco il fatal castelloTi lasso mia vita gradita Rezitativ und Duett von Medea und Giasone aus Giasone (1648)
Samuel Scheidt (1587–1654)
Galliarde Battaglia aus Ludi musici (1621)
Francesco Cavalli
Perfida dove fuggi?Amor, ti giuro amor Rezitativ und Arie des Orimeno aus L'Erismena (1655) Ohimè, che miro?Misero Apollo Rezitativ und Klagelied des Apollo aus Gli amori d’Apollo e di Dafne Sinfonia aus L’Eliogabalo (1668) Non è maggior piacere Szene der Calisto aus La Calisto O luci belle Duett von Laodicea und Teramone aus L’Eritrea (1652)
Stefano Landi (1587–1639)
Sinfonia innanzi all’atto secondo aus Sant’Alessio (1634)
Francesco Cavalli
D’amor non si quereli Duett von Erisbe und Ormindo aus L’Ormindo (1644) Dolcissimi baci Rezitativ und Duett von Diana und Endimione aus La Calisto

Programmheft zum Download (PDF)

Monteverdis Erbe

Das Jahr 1607 gilt allgemein als Geburtsjahr der Oper nach heutigen Begriffen: Damals führte Claudio Monteverdi als Hofkapellmeister im Gonzaga-Palast von Mantua seinen Orfeo auf – eine pastorale favola in musica über den Mythos von Orpheus und Eurydike, die den noch neuen generalbassbegleiteten Solo-Sprechgesang des recitar cantando mit Arien, Chören und teilweise ungewöhnlich virtuosen Instrumentalsoli in der entsprechenden Szenerie und Personenführung zu einem frühbarocken Gesamtkunstwerk voller hochexpressiver Musik verband.

Sechs Jahre später wechselte Monteverdi nach Venedig in das hochangesehene Amt des Kapellmeisters am Markusdom, eine quasi staatstragende Rolle im politischen Repräsentationsgefüge der Stadtrepublik. Aus Mantua brachte der neue Domkapellmeister erst einmal Wegweisendes für die Kirchenmusik mit – namentlich die 1610 veröffentlichte Marienvesper – und auch manche weltliche Madrigal- oder Ballettkomposition, die nachträglich 1619 in seinem siebten, programmatisch als Concerto betitelten Madrigalbuch im Druck erschien oder sogar erst im Folgeband von 1638.

Die Oper trat in Venedig ab 1637 in den Fokus – und das nicht nur für Monteverdi, sondern ebenso für seine engsten Schüler und Kollegen im Musikensemble an San Marco. Denn in diesem Jahr wurde mit dem Teatro S. Cassiano das erste Opernhaus der Stadt eröffnet. Wie groß die Publikumsresonanz war und welche finanziellen Chancen darin die meist patrizischen Investoren sahen, deutet alleine schon die dichte Folge weiterer fünf venezianischer Opernhaus-Eröffnungen in den nächsten Jahren an: 1639, 1640, 1641, 1649 und 1651.

Monteverdi, inzwischen über 70 Jahre alt, präsentierte sich als Opernkomponist in der Lagunenstadt 1640 mit L’Arianna (als Wiederaufführung seiner Mantuaner Oper von 1608) und Il ritorno d’Ulisse in patria sowie in den beiden nächsten Jahren mit Le nozze d’Enea con Lavinia und L’incoronazione di Poppea. Sein bedeutendster Erbe auf dem Gebiet des Musikdramas wurde Francesco Cavalli. 35 Jahre jünger und seit Teenager-Zeiten als Chorknabe am Markusdom unter dem künstlerischen Einfluss Monteverdis, sollte der Sohn von Giovanni Battista Caletti, dem Domkapellmeister in Crema, die weitere Entwicklung der Oper in Venedig bis ins letzte Viertel des Jahrhunderts hinein prägen. Den Nachnamen seines Gönners Federico Cavalli, des venezianischen Gouverneurs von Crema, nahm Francesco offenbar in den 1630er-Jahren an. Da hatte er schon die vermögende Witwe Maria Schiavina geheiratet, die ihm bei seinen Opernunternehmungen unter anderem als Notenkopistin zur Seite stand. Die Handschriften des Ehepaares finden sich auch im venezianischen Manuskript von Monteverdis Poppea.

Als Tenor und Organist an San Marco und weiteren Kirchen Venedigs bezog Cavalli zwar ein solides Grundgehalt, das sich noch einmal steigerte, als er 1668 nach dem Tod von Giovanni Rovetta Domkapellmeister wurde. Das Honorar für die Komposition und Aufführung alleine einer Oper konnte aber schon einem Jahresgehalt im gehobenen kirchlichen Musikeramt entsprechen.

Mehr als 40 Opern lassen sich Cavalli heute noch zuschreiben; entstanden sind sie zwischen 1639 und 1673. Zu 27 dieser Werke haben sich Notenquellen erhalten, wobei auch die handschriftlichen Direktionspartituren, aus denen Cavalli die Aufführungen am Cembalo geleitet haben dürfte, die Musik nicht in ihrer ganzen Fülle wiedergeben.

Denn präzise sind darin nur die Gesangspartien und die Generalbassstimme notiert, während die instrumentalen Oberstimmen oft nur angedeutet und kaum mit Instrumentenbezeichnungen versehen sind. In der Regel handelt es sich hier aber um solistische Streicherpartien. Die Gruppe der Generalbassinstrumente war dafür um so üppiger und farbiger besetzt, ganz so, wie es schon die detaillierte Partitur von Monteverdis L’Orfeo für 1607 belegt.

Welch differenzierte musikalische Zeichnungen der Charaktere und Emotionen Cavalli aus dieser Continuo-basierten Kompositionsweise entwickelt, das kann das Ensemble Nuovo Aspetto in seiner Programm-Zusammenstellung aus neun Opern trefflich vorführen, die in Venedig zwischen 1640 und 1668 ihre Uraufführungen erlebten und oft kurz darauf in Florenz, Bologna, Mailand, Genua, Neapel und vielen anderen Städten Italiens zu hören waren, auch schon einmal am Wiener Kaiserhof (Giasone oder L’Egisto 1651). Cavallis L’Egisto war 1646, drei Jahre nach der Entstehung, auch am Pariser Hof aufgeführt worden, an dem damals Kardinal Mazarin als regierender Minister für den noch unmündigen König Ludwig XIV. die Politik bestimmte. Mazarin, geboren als Giulio Mazzarino im Königreich Neapel, betraute Cavalli dann auch 1660 mit einer repräsentativen Oper zur Vermählung Ludwigs mit Maria Theresia von Spanien: Ercole amante – der liebende Herkules. Ihre Uraufführung fand aber erst 1662 in den Tuilerien statt, da das geplante Theater nicht rechtzeitig zu den Hochzeitsfeierlichkeiten fertiggestellt werde konnte. 1660 präsentierte Cavalli in Paris statt dessen seinen schon sechs Jahre alten Xerse.

Mit einer Arie aus dieser Oper beginnt nach dem instrumentalen Vorspiel, einer Sinfonia aus der Oper Gli amori d’Apollo e di Dafne, die Szenenfolge des heutigen Abends. Den Text dieser Arie hat später Georg Friedrich Händel in seiner Vertonung unsterblich gemacht: Ombra mai fu. Es ist das Loblied des Titelhelden auf eine Platane als Sinnbild der Ruhe und des Friedens. Cavallis Musik ist unbeschwerter als Händels berühmte Arie, eher liedhaft, tändelnd. Die einzelnen Vokalteile werden von harmonisch reizvollen Streicherritornellen abgeschlossen.

Danach tritt in der Titelpartie von La Calisto einer der berühmtesten Charaktere aus Cavallis Opernschaffen auf: eine kokett-selbstbewusste Nymphe, die hier dem trügerischen Jupiter selbst den Laufpass gibt. Entsprechend pointiert und geradezu resolut wirkt ihre Arie Verginella io morir voAls Jungfrau will ich sterben!.

Die nachfolgende Szene aus der Oper L’Egisto stellt den glühend verliebten Hirten Lidio vor. Er fürchtet, dass seine Angebetete Clori ihn nicht ernst nimmt. Doch sie beteuert, dass er auch ihr Ein und Alles sei. Die Szene mündet in ein inniges Duett, in dem beide ihr Glück besingen.

Dem Ausschnitt aus der Oper Giasone geht eine Streicher-Canzone für drei Stimmen voraus. Es ist eines von nur einem Dutzend eigenständig überlieferten Instrumentalwerken Cavallis; sie erschienen 1656 im Druck. Die Canzone beginnt mit kontrapunktischen Imitationen und geht dann über in Variationen über einem vielfach wiederholten Ostinato-Bass.

In der Szene aus Giasone überreicht Medea ihrem Geliebten Jason einen Zauberring. Er wird es ihm ermöglichen, einen feuerspeienden Stier mit ehernen Füßen vor einen Pflug zu spannen; als Lohn winkt dem Helden das begehrte Goldene Vlies. Cavalli würzt die Deklamation von Medea und Jason mit Instrumentalfiguren im erregten stile concitato – ganz so, wie es Monteverdi in seinem berühmten Combattimento di Tancredi e Clorinda vorgemacht hat. Um die Szene zu intensivieren, ergänzt Nuovo Aspetto sie um eine instrumentale Battaglia von Cavallis deutschem Zeitgenossen Samuel Scheidt.

Besonders eindrucksvoll gestaltet Cavalli immer wieder die tragischen Arien seiner Helden. Der heroische Abgesang des Orimeno auf eine enttäuschte Liebe stammt aus der Oper L’Erismena. In Apollo e Dafne klagt Apoll darüber, dass seine Geliebte in einen Lorbeerbaum verwandelt wurde. Wie zuvor in der Instrumental-Canzone greift Cavalli auch hier auf einen Ostinato-Bass zurück, um seinen Sänger darüber ein berührendes Lamento singen zu lassen.

Nach der Sinfonia aus L’Eliogabalo tritt noch einmal die selbstbewusste Nymphe Calisto auf. Ihre Lebensmaxime hebt sie im Refrain der beiden Arienstrophen in eindrucksvollen Koloraturen hervor: In Freiheit leben ist mir süß und teuer. Weit ausschwingende Melodielinien verbinden auch Laodicea und Teramene in ihrem Liebesduett aus L’Eritrea. Am Ende schmelzen beide in herben Harmonien dahin: O wie schön ist es, an den Pfeilen liebender Blicke zu sterben und zu Asche zu werden.

Eine Sinfonia von Cavallis römischem Zeitgenossen Stefano Landi leitet über zum wesentlich unbeschwerteren Liebesgesang von Erisbe und Ormindo. Ein weiteres Liebespaar, dem wir schließlich noch in La Calisto begegnen, sind die Jagdgöttin Diana und der attraktive Hirt Endymion. In schönsten Terz- und Sextketten schwelgen sie in dolcissimi bacisüßesten Küssen.

behe

Mitwirkende

Hannah Morrison – Sopran Alex Potter – Countertenor Nuovo Aspetto Im heutigen Konzert spielt Nuovo Aspetto in folgender Besetzung: Danylo Gertsev, Frauke Pöhl – Violine Ulrike Becker – Violoncello Elisabeth Seitz – Salterio Johanna Seitz – Harfe Michael Dücker – Barockgitarre, Laute Wiebke Weidanz – Cembalo