2021/2022: Konzert 3

Sonntag, 21. November 2021 Trinitatiskirche 17 Uhr

O Fortuna!

Madrigalvertonungen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts von Luca Marenzio, Sigismondo d’India, Orazio Vecchi, Carlo Gesualdo, Giaches de Wert, Claudio Monteverdi, Heinrich Schütz, John Dowland u.a. InVocare InVocare Sendung auf WDR 3: Mo., 7. Februar 2022 ab 21.04 Uhr

Es darf geweint, geseufzt und gelacht werden! Das junge Vokalensemble InVocare aus Basel besingt die Macht der Göttin Fortuna, Glück oder Unglück über die Menschen zu bringen, in einer Auswahl von Renaissance-Madrigalen, und spürbar wird, wie sich die Komponisten gegenseitig inspirierten. Zu hören sind unterschiedliche Vertonungen identischer Texte, diverse Textunterlegungen zur gleichen Musik, kompositorische Erwiderungen und Anlehnungen – musikalische Dialoge, die teilweise sogar zwischen England und Italien geführt wurden.

Programmfolge

Luca Marenzio (1553–1599) Filli, volgendo i lumi Ahi!, dispietata morte! John Wilbye (1574–1643) Alas, what a wretched life is this? John Dowland (1563–1626) Would my conceit It was a time Orazio Vecchi (1550–1605) L’humor malenconico L’humor licentioso Heinrich Schütz (1585–1672) Di marmo siete voi Vincenzo Ruffo (1508–1587) Ben mille notte Claudio Monteverdi (1567–1643) Rimanti in pace Luzzasco Luzzaschi (1545–1607) Dolorosi martir Luca Marenzio Dolorosi martir Salamone Rossi (1570–1630) Rimanti in pace John Dowland Love those beams that breed Come heavy sleep Orazio Vecchi L’humor balzano

Madrigalverwandtschaften

Ob diverse Vertonungen desselben Textes, neue Textierungen derselben Musik oder kompositorische Erwiderungen, Anlehnungen und Zitate – Madrigale des 16. und 17. Jahrhunderts inspirierten und beeinflussten sich gegenseitig, bezogen sich teils explizit aufeinander. Unser Ensemble widmet sich im heutigen Programm ganz dem musikalischen Dialog dieser Zeit, der auch über große Distanzen hinweg stattfand.

In der 1588 in London veröffentlichten Sammlung Musica Transalpina erschienen italienische Madrigale, unterlegt mit neu geschriebenen englischen Texten. Diese wiederum inspirierten weitere musikalisch-poetische Werke. Solche Verknüpfungen lassen sich in Madrigalen von Luca Marenzio, John Wilbye und John Dowland nachverfolgen.

Verschiedene musikalische Antworten auf ein und denselben Text zeigen dabei häufig ebenso viele Unterschiede wie Ähnlichkeiten. So etwa Orazio Vecchis L’humor licentioso und Di marmo siete voi von Heinrich Schütz. Auch die Madrigale Dolorosi martir von Luzzasco Luzzaschi und Luca Marenzio nutzen die gleichen Worte, einige ähnliche kompositorische Elemente, aber eine jeweils eigene musikalische Sprache. Wobei nicht auszuschließen ist, dass Luzzaschi die Version Marenzios in Kopf und Ohr hatte, während er die eigene komponierte.

Auf den Spuren dieser musikalischen Verflechtungen zwischen Werken verschiedener Entstehungszeiten und -orte folgen wir gleichzeitig dem Auf und Ab des Schicksals in all seinen Formen. Es darf geweint, geseufzt und gelacht werden …

Tessa Roos

 

Anmutige Gedanken, in Verse von durchaus unterschiedlicher Länge gebracht und in ein lockeres Reimschema gefügt: das italienische Madrigal lieferte als lyrische Form, in der die Nachfolger des großen Francesco Petrarca hohe sprachliche Souveränität und poetische Virtuosität zeigten, literarische Steilvorlagen für die mehrstimmige weltliche Vokalmusik. Kein Fürstenhof, keine schöngeistige Akademie intellektueller Eliten, in der nicht im kunstvoll imitierenden Kontrapunktsatz von Liebesfreud und Liebesleid gesungen wurde, mal in offenem Jubel, mal in herzergreifender Klage, oft in sublimen allegorischen Naturbildern als Spiegelungen innerer Seelenzustände.

Luca Marenzio war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der vielleicht berühmteste und beliebteste Madrigalkomponist. Alleine schon durch seine Tätigkeit für mehrere römische Kardinäle und sogar Papst Clemens VIII. wurde Marenzio einer der einflussreichsten Musiker seiner Zeit. Darüber hinaus komponierte er für die Medici in Florenz und für König Sigismund von Polen, bei dem er 1596 in Warschau zu Gast war. Beim musikliebenden Herzog Alfonso d’Este in Ferarra war Luzzasco Luzzaschi der in der Madrigalkunst tonangebende Meister. Wie Marenzio gelang ihm eine besonders intensive Textausdeutung durch bildhafte melodisch-rhythmische Figuren und besondere harmonische Wendungen. Priester im Musikeramt wie die Domkapellmeister Vincenzo Ruffo in Verona und Orazio Vecchi in Modena widmeten sich ebenfalls der weltlichen Kunst der mehrstimmigen Madrigalvertonung.

Dieser Tradition folgte der eine Generation jüngere Claudio Monteverdi zunächst gemeinsam mit seinem Violinkollegen Salamone Rossi am Gonzaga-Hof in Mantua. Monteverdis spätere Madrigalvertonungen wiesen aber auch den Weg hin zu einem neuen, konzertanten Stil, in dem die Mitwirkung von Instrumenten unverzichtbar wurde.

Sehnsuchtsvoll blickte das nördlichere Europa auf Italien als Mutterland der Musik. Noch bevor eine große Zahl italienischer Musiker die Alpen überquerte, war ihre Madrigalkunst schon im melancholisch gestimmten England des Elisabethanischen Zeitalters in Noten angekommen. Sie traf dort auf willige Interpreten und offene Ohren. Sinnbildlich dafür stehen die Londoner Drucke italienischer Kompositionen mit englischer Textunterlegung. Darunter war die Musica Transalpina von 1588 der vielleicht einflussreichste. Unter den vielen Komponistennamen ist dort Marenzio prominent vertreten und mit Alfonso Ferrabosco dem Älteren einer der ersten Musiker aus dem Süden, die London zu ihrer Wahlheimat machten. Hinzu kommt mit William Byrd ein einziger, aber musikgeschichtlich höchst bedeutender Engländer.

Sein Landsmann und katholischer Glaubensgenosse John Dowland, als Lautenist ebenso begnadet wie als Schöpfer vokaler Liebes- und Lebensschmerz-Lamenti, ging nach Italien, um bei Marenzio zu studieren. John Wilbye hingegen blieb wie Byrd sein Leben lang auf der Insel und wurde auch als Hausmusiker im familiären Umfeld des Lord Thomas Kytson ein landesweit geschätzter Madrigalkomponist.

1609 begann für Heinrich Schütz dank eines Stipendiums des Landgrafen Moritz von Hessen die musikalische Lehrzeit bei Giovanni Gabrieli, dem Organisten am Markusdom in Venedig. Noch vor deren Ende stand 1611 die Veröffentlichung des Gesellenstücks als Opus 1: Primo libro de madrigali di Henrico Sagittario Allemanno. Diesem Buch mit 19 italienischen Madrigalen von Schütz sollte zwar kein weiteres mehr folgen, die rhetorische Kraft und die Detailliebe in der Textausdeutung nach dem Vorbild der italienischen Meister blieben aber auch die folgenden Jahrzehnte hindurch ein Kennzeichen seiner vielen Vertonungen deutscher und lateinischer Texte.

behe

Mitwirkende

InVocare

Heute singt InVocare in folgender Besetzung:
Charlotte Nachtsheim – Sopran
Tessa Roos – Mezzosopran
Loïc Paulin – Tenor
Daniel Thomson – Tenor
Valerio Zanolli – Bariton