2021/2022: Konzert 6

Sonntag, 6. März 2022 Trinitatiskirche 17 Uhr

Salve psallentes

Marianische Vokal- und Instrumentalmusik aus dem Buxheimer Orgelbuch von Bartolomeo Bruolo, Walter Frye, John Dunstaple u.a. Tasto Solo Ltg. Guillermo Pérez Tasto Solo Guillermo Pérez Sendung auf WDR 3 am 14. April 2022 ab 21.04 Uhr

Mit Akribie und Phantasie erkunden Guillermo Pérez und sein Ensemble Tasto Solo die musikalische Welt des Buxheimer Orgelbuches. Die süddeutsche Tabulaturschrift aus dem 15. Jahrhundert ist eine der ältesten erhaltenen Quellen zur Tastenmusik – und überhaupt zur da- maligen Musizierpraxis. So mischen sich bei Tasto Solo die teilweise improvisierten virtuosen Diminutionen auf Clavisimbalum, Organetto und gotischer Harfe als schillernde Farben in die faszinierende Welt des geistlichen Gesangs gregorianischer Melodien und mehrstimmiger Motetten.

Programmfolge

Redeuntes in D
Anonymus / Buxheimer Orgelbuch (um 1460)
Salve sancta Parens
Gregorianischer Choral
Kyrie
Anonymus / Buxheimer Orgelbuch
Entrepris suis
Bartholomeo Bruolo (1. Hälfte 15. Jahrhundert)
Beata viscera
Gregorianischer Choral
Sanctus
Anonymus / Ludolf-Wilkin-Orgelbuch (Winsum 1431)
Ave Regina caelorum
Walter Frye (Mitte 15. Jahrhundert)
Ave Maria
Gregorianischer Choral
Sub tuam protectionem
John Dunstaple (um 1390–1453)
Paumgartner
Anonymus / Lochamer-Liederbuch (Nürnberg, 1451–1460)
Virginalis flos vernalis
Anonymus / Lochamer-Liederbuch
Benedicite
Anonymus / Buxheimer Orgelbuch
Salve Regina
Gregorianischer Choral
Kyrie Angelicum
Anonymus / Buxheimer Orgelbuch
Ave maris stella
John Dunstaple
Virginem mire pulchritudinis
Anonymus / Krasínsky-Manuskript (um 1440)
Beata Maria
Johannes Pullois (Mitte 15. Jahrhundert) / Schedelsches Liederbuch
Praeambulum super D
Anonymus / Buxheimer Orgelbuch
Benedicamus/Mit ganczem Willen
Anonymus / Buxheimer Orgelbuch

Der Himmelskönigin das Salve singen

In den 1460er-Jahren fertigte wohl ein Kopist in der Schweiz eine der heute musikhistorisch bedeutendsten frühen Notenhandschriften zur Instrumentalmusik an. Wir kennen sie als Buxheimer Orgelbuch, denn kurz nach seiner Entstehung gelangte das Manuskript in die Bibliothek der Reichskartause Buxheim im Unterallgäu. Das Repertoire, das hier in einer um Notenlinien erweiterten Tabulaturschrift für Tasteninstrument festgehalten ist, verweist geographisch eher auf Nürnberg, die Heimatstadt des blinden Tastenmeisters und späteren Organisten an der Münchner Frauenkirche, Conrad Paumann (um 1410–1473). Sein Lehrwerk Fundamentum Organisandi bildet einen zentralen Bestandteil des Bandes.

Mit fast 150 liturgischen Kompositionen zeugt das Buxheimer Orgelbuch von der reichen Instrumentaltradition in der geistlichen Musikpraxis, die sich zwischen 1440 und 1470 in den deutschsprachigen Kapellen entwickelt hatte. Der Großteil dieses schillernden liturgischen Repertoires in dem Manuskript ist eng mit der Verehrung Marias als Gottesmutter und Himmelskönigin verknüpft. Im Laufe des 15. Jahrhunderts verbreitete sich in Europa die Praxis, Marienlieder zu singen, die im Rahmen der kirchlichen Vespergottesdienste vor einer Marienstatue aufgeführt wurden. Zu diesem Ritus, der in Deutschland Das Salve genannt wurde, gehörte auf jeden Fall das Salve Regina und das Benedicite. Im Buxheimer Orgelbuch finden sich mehrere Beispiele für instrumentale Bearbeitungen dieser Gesänge, die manchmal im Wechsel mit den Singstimmen in der so genannten Alternatim-Praxis erklangen.

Andererseits enthält das Manuskript Transkriptionen von Andachtsmotetten wie dem berühmte Sub tuam protectionem des englischen Hofkomponisten John Dunstaple, von Antiphonen wie dem Ave Regina caelorum und sogar von Tänzen und geistlichen Liedern wie O Regina gloriosa und Virginalis flos vernalis. Diese große und auffallend kohärente Gruppe von Stücken in der Buxheimer Handschrift lässt eine Verwendung für das Salve vermuten. Darüber hinaus könnte ein Teil dieses Repertoires auch in feierlichen Messen erklungen sein, gemeinsam mit anderer Musik, die ebenfalls in dem Manuskript zu finden ist.

Musikpraxis, die sich unter den erfahrenen Fingern Conrad Paumanns und seines Umfeldes vor allem auf den Tasteninstrumenten entfaltete, hat Tasto Solo motiviert, seine Forschungs- und Aufführungsarbeit in Bezug auf dieses Repertoire im Buxheimer Orgelbuch und in anderen deutschsprachigen Quellen dieser Zeit fortzusetzen. Das Ensemble präsentiert im heutigen Konzert mehrere Abschnitte des Mess-Ordinariums und stützt sich dabei auf die im Buxheimer Manuskript überlieferten Versionen des berühmten Kyrie Cunctipotens Genitor Deus (Choralmesse IV nach der kanonisierten Editio Vaticana), das in der Handschrift als Angelicum bezeichnet wird, und das Kyrie de Sancta Maria (Choralmesse IX cum Jubilo der Vaticana), das bei den Feierlichkeiten zu Ehren der Jungfrau Maria verwendet wurde.

Hinzu kommen Teile aus anderen handschriftlichen Quellen, die für das Verständnis der außergewöhnlichen instrumentalen Entwicklung, die sich während des 15. Jahrhunderts in Deutschland vollzog, von großer Bedeutung sind. Zu nennen wären hier einige Kompositionen, die sozusagen aus dem Recycling von weltlichem Repertoire für den paraliturgischen Gebrauch entstanden sind: so Virginem mire pulchritudinis, das auf der mittelalterlichen Ballade En discort aus der Zeit des französischen Dichterkomponisten Guillaume de Machaut (um 1300–1377) basiert; ebenso die Kontrafaktur Beata Maria, arrangiert auf der Grundlage des ursprünglichen Rondeaus De ma dame. Die Komposition stammt von Johannes Pullois, einem franko-flämischen Musiker,

der von 1443 bis 1447 und dann wieder ab 1468 an der Liebfrauenkathedrale in Antwerpen wirkte und in der Zwischenzeit Sänger der päpstlichen Kapelle in Rom war.

Zu den beiden anderen namentlich bekannten Komponisten in unserem Programm, dem vermutlich aus Venetien stammenden Bartholomeo Bruolo und dem Engländer Walter Frye, ließen sich bislang kaum weitere biografische Details ermitteln. Von beiden wissen wir eigentlich nur dank der Überlieferung ihrer Musik. Nicht abschließend klären lässt sich ferner, auf welche Persönlichkeit der Titel des Stücks Paumgartner anspielt. Vermutlich ist das Mitglied einer Nürnberger Patrizierfamilie gemeint, mit der Wolfheim von Lochamer verwandtschaftlich verbunden war. Der wiederum war einer der ersten Besitzer jener Liederhandschrift, die später nach ihm benannt wurde.

Schließlich stellt Tasto Solo noch Teile aus dem Vespergottesdienst und speziell aus dem Salve vor. Es folgt dabei den schillernden Bearbeitungen, die sich im Buxheimer Orgelbuch vom Folio 37 recto bis zum Folio 44 verso vor dem Magnificat finden, dem Lobgesang Marias aus dem Lukas-Evangelium. Da wechseln sich virtuose Diminutionen und flamboyante Präludien auf Orgelinstrumenten, mittelalterlichen Cembali und gotischen Harfen (von denen einige eigens für dieses Programm gebaut wurden) mit den gregorianischen Gesängen und mehrstimmigen Vokalkompositionen ab, aus denen sie ihre Inspiration schöpfen, die sie begleiten und vervollständigen.

Guillermo Pérez

Mitwirkende

Tasto Solo
Ltg. Guillermo Pérez – Organetto Das Ensemble tritt heute in folgender Besetzung auf: Barbara Zanichelli, Anne-Kathryn Olsen, Carine Tinney – Sopran Marine Fribourg – Mezzosopran David Catalunya – Clavisimbalum Bérengère Sardin – Harfe Thomas Baeté – Fidel Guillermo Pérez – Organetto

Tasto solo wird gefördert durch

2022_spanien_botschaft 2022_spanien_buchmesse