2022/2023: Konzert 8

Sonntag, 11. Juni 2023 St. Ursula 17 Uhr In Zusammenarbeit mit dem Romanischen Sommer Köln

A Cappella

Geistliche Musik der Renaissance aus den Reihen der Cappella Sistina von Guillaume Dufay, Josquin Desprez, Andreas de Silva, Carpentras und Costanzo Festa Josquin Capella Ltg. Meinolf Brüser Josquin Capella Sendung auf WDR 3 am 7. Juli 2023 ab 20.04 Uhr

Als Cappella Sistina wird nicht nur das berühmte Gotteshaus im Vatikan mit dem reichen Freskenwerk Michelangelos bezeichnet, sondern auch das päpstliche Vokalensemble, das dort – stets unbegleitet – sang. Seit dem 15. Jahrhundert zog es europaweit hervorragende Sängerkomponisten an. Wie sie sich in ihren liturgischen Werken für Rom immer auch mit den eigenen Traditionen auseinandersetzten, das zeichnet die Josquin Capella in ihrer Musikauswahl über mehr als ein Jahrhundert hinweg von Guillaume Dufay bis Costanzo Festa faszinierend nach. Dabei darf natürlich der Namenspatron des Ensembles nicht fehlen.

Programmfolge

Andreas de Silva (1475/80 – um 1540) Ave Regina caelorum II Guillaume Dufay (um 1400 – 1474) Alma redemptoris mater II Elzéar Genet (Carpentras) (um 1470 – 1548) Alma redemptoris mater Josquin Desprez (1450/55 – 1521) Stabat mater dolorosa Jacques Arcadelt (1507 – 1568) Missa »Ave regina caelorum« Kyrie ‒ Gloria ‒ Sanctus Costanzo Festa (1480/90 – 1545) Lamentationes Hieremiae Prophetae Lamentatio I ‒ Lamentatio V ‒ Lamentatio VI Ave Regina caelorum III

Von Rom in alle Welt

Unter allen bedeutenden Vokal-Kapellen der Renaissance, mit denen Kaiser, Könige und Fürsten ihre Höfe schmückten, überstrahlte eine an Ruhm alle anderen und wirkte in die musikalische Welt des 15. und 16. Jahrhunderts und darüber hinaus: die Cappella Sistina, die Sängerkapelle des Papstes. Noch heute ist in der Nordwand der Sixtinischen Kapelle die Empore zu sehen, die einzig für die Sänger bestimmt war und auf der viele der bedeutendsten Musiker des 15. und 16. Jahrhunderts als Sängerkomponisten wirkten. Traditionsgemäß fanden Instrumente hier keine Verwendung. Die Musik gehörte zum Konzept einer bis dahin nicht gekannten musikalischen und räumlichen Prachtentfaltung. Hier entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Tradition des Singens und Komponierens, die über mehrere Generationen die musikalische Entwicklung prägte.

Über das Leben von Andreas de Silva ist kaum etwas bekannt. Er war Mitglied der päpstlichen Kapelle 1519 und 1520. Seine Marienantiphon Ave regina caelorum ist in einer Abschrift der 1520er Jahre in einem Chorbuch der Cappella überliefert. Die fünfstimmige Motette beginnt mit einem Duett, bestehend unter anderem aus dem Zitat des Antiphon-Beginns. Die gregorianische Melodie wird zeilenweise im Sopran paraphrasiert und dient immer wieder auch als Ausgangspunkt für die Sogetti, die Themen des kontrapunktischen Satzes. Mit dieser Motette eng verwandt ist die gleichnamige sechsstimmige Komposition von Costanzo Festa, die das Programm beschließen wird. Festa war seit 1517 Sänger der Cappella und wurde später ihr erster aus Italien stammender Leiter. Das Ave regina caelorum wird als Spätwerk Festas auf die Mitte der 1530er Jahre datiert. Auch Festa paraphrasiert die einzelnen Abschnitte der Antiphon, und auch er eröffnet mit dem markanten Duett, dass sodann transponiert in zwei Unterstimmen wiederholt wird, bevor er zur Fünf- und Sechsstimmigkeit gelangt.

Jacques Arcadelt hatte zu seinen Lebzeiten vor allem mit weltlicher Musik Erfolge. Wenig bekannt ist, dass auch er als Sängerkomponist der Cappella Sistina einen nicht unerheblichen Teil seiner Schaffenskraft der geistlichen Musik widmete. Seine Missa »Ave regina caelorum« ist als Parodie der Motette von Andreas de Silva ebenfalls in einem Chorbuch der Cappella überliefert. Arcadelt bevorzugt die Dreistimmigkeit des Satzes als Mindeststimmenzahl, zu der er die Soggetti rasch führt. Dreistimmig sind auch die geringstimmigen Sätze. Darüber hinaus nimmt Arcadelt die eigentlich überholte simple Mehrstimmigkeit des Fauxbourdon auf, der bei ihm jedoch nicht als eigenständiger Satztypus neuersteht, sondern den er (im modernen Sinne) als Kette von Sextakkorden zu einem besonderen Ausdrucksmittel seiner Musik macht, ganz so, wie ihn Giovanni Pierluigi da Palestrina häufig verwenden wird.

Zwischen 1428 und 1437 hat auch Guillaume Dufay in der päpstlichen Kapelle gewirkt. Er gilt als musikalischer Gründungsvater der franko-flämischen Komponistentradition. Die Marienantiphon Alma redemptoris mater hat ihren liturgischen Platz am Schluss der Vesper in der Advents- und Weihnachtszeit. Dufay vertont sie dreistimmig, wie es im 15. Jahrhundert üblich war. Dabei paraphrasiert der Cantus die gregorianische Melodie, zunächst solistisch beginnend, bevor die anderen Stimmen in ein sehr freies, polyphones Geschehen eintreten.

Die Bearbeitung des gleichen Textes durch Elzéar Genet alias Carpentras Carpentras zeigt ein völlig anderes Bild, das den Stilwandel am Ende des 15. Jahrhunderts nachvollziehen lässt. Alle Stimmen verwenden nun die gregorianische Melodie als Material für die Soggetti der einzelnen Abschnitte. Indem jede Stimme gleichberechtigt in Beziehung zu jeder anderen tritt, ist ein gemeinsames polyphones Wirken entstanden. Zudem ist der Klang tiefer geworden. Die Gravität des Basses hat an Bedeutung gewonnen, zu dem hier drei tiefe Männerstimmen hinzutreten.

Josquin Desprez war mit Unterbrechungen von 1486 bis 1489 Mitglied der Cappella Sistina. Seine Vertonung der Sequenz Stabat mater dolorosa steht am Beginn eine großen Tradition der Musik über diesen mittelalterlichen Trauertext, der die Mutter Christi am Kreuz stehend beschreibt. Die Motette ist im Chigi-Codex, dem vielleicht berühmtesten Chorbuch der Renaissance, mit zahlreichen anderen Meisterwerken der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überliefert. Josquin gelingt es, durch faszinierende Soggetti den zahlreichen Versen immer neue Gestalt zu geben. Zugleich fasst er Strophen zusammen und gliedert übersichtlich. Durch die melodische Schönheit und eindringliche, deklamierende Repetitionen verleiht er dem Text einen musikalischen Ausdruck, der in dieser Zeit kaum Vergleichbares kennt.

Zu einer weiteren Traditionslinie der Capella Sistina gehören die Lamentationes (Klagelieder des Jeremias) von Costanzo Festa. Sie wurden in der Karwoche in den Nachtmessen gesungen. Sie haben in ihrem hebräischen Ursprung einen akrostischen Aufbau, in dem die ersten Worte eines jeden Verses mit Buchstaben in der Reihenfolge des hebräischen Alphabets beginnen. Diese hebräischen Buchstaben werden nun in der lateinischen Textfassung als Vokalisen vorangestellt. Die einzelnen Teile schließen jeweils mit dem Ruf »Jerusalem, convertere ad Dominum Deum tuum« (›Jerusalem, kehre um zum Herrn, deinem Gott‹). Akkordischer Stil in den vollstimmigen Sätzen wechselt mit imitatorisch angelegten Duetten und Terzetten. Festa verwendet vor allem die tiefen Stimmen. Die hebräischen Buchstaben gliedern durch ihre Klangpracht das Geschehen deutlicher. Es finden sich stärkere Text- Musik-Bezüge, die von Festas Erfahrung in der Kunst des Madrigals zeugen.

Meinolf Brüser

Mitwirkende

Josquin Capella Ltg. Meinolf Brüser Die Josquin Capella singt heute in folgender Besetzung: Axelle Bernage ‒ Sopran Paul Kirby, Will Frost ‒ Tenor Raitis Grigalis, Guido Heidloff Herzig ‒ Bariton Joel Frederiksen ‒ Bass