2025/2026: Konzert 4
Hodie Christus natus est
Weihnachtsmusik von Michael Praetorius, Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach u.a. Calmus Ensemble
Sendung auf WDR 3 am 24.12.2025 ab 20.03 Uhr
Die jahrhundertealten Melodien und Sätze aus Renaissance und Barock sind bis heute nicht wegzudenken aus der Weihnachtszeit und erinnern an alte, teils noch lebendige Traditionen. Geprägt von den Leipziger Thomanerchor-Erfahrungen der Gründungsmitglieder, erweckt das Calmus Ensemble diese Melodien zu neuem Leben. Gregorianische Gesänge, Choralstrophen von Johann Sebastian Bach und Werke von Michael Praetorius und Heinrich Schütz bringen Besinnliches in schönster A-cappella-Kultur zum Klingen.
Programmfolge
- Einzug
- Anonymus
Veni, veni Emmanuel
- Anonymus
- Warten
- Johann Hermann Schein (1586–1630)
Ich freue mich im Herrn - Johannes Eccard (1553–1611)
Nun komm, der Heiden Heiland - Johann Caspar Ferdinand Fischer (1656-1746)
Kyrie - Johann Hermann Schein / Michael Praetorius (1571–1621)
Nun komm, der Heiden Heiland - Johannes Eccard
Übers Gebirg Maria geht - Michael Praetorius
Es ist ein Ros entsprungen
In dulci jubilo
- Johann Hermann Schein (1586–1630)
- Verkündigung
- Johann Hermann Schein / Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Vom Himmel hoch da komm ich her - Johann Schelle (1648–1701) / Heinrich Schütz (1585–1672)
Ach Herr, du Schöpfer aller Ding - Tomás Luis de Victoria (1548–1611)
Alma Redemptoris Mater - Anonymus / Guillaume Dufay (1397–1474)
A solis ortus cardine / Beatus auctor saeculi / Castae parentis viscera - Johann Sebastian Bach
Christum wir sollen loben schon
- Johann Hermann Schein / Johann Sebastian Bach (1685–1750)
- Geburt
- Anonymus
Gaudete! Christus est natus - Jacobus Gallus (1550–1591)
Mirabile Mysterium - Anonymus / Jacobus Gallus
Resonet in laudibus - Johann Walter (1496–1570)
Joseph, lieber Joseph mein - Johannes Eccard
Ich steh an deiner Krippen hier - Anonymus
Coventry Carol - Thomas Tallis (1505–1585)
O nata lux
- Anonymus
- Erneuerung
- Michael Praetorius
Magnificat super Ecce Maria et Sydus ex claro - Thomas Morley (1557–1602)
Madrigal for Christmas - Anonymus
Da pacem Domine - Heinrich Schütz
Verleih uns Frieden / Gib unserm Fürsten
- Michael Praetorius
- Auszug
- Anonymus
Hodie Christus natus est
- Anonymus
Hoffnungsklänge von Frieden und Erlösung
Zur Adventszeit, die am viertletzten Sonntag vor dem 25. Dezember beginnt und zugleich den Anfang eines neuen liturgischen Kirchenjahres markiert, gehört die Vorfreude auf das Weihnachtsfest im Sinne einer hoffnungsvollen Erwartung. Aus religiöser Sicht ist der Advent vor allem von einer kontemplativen Stimmung geprägt, vom reflektierenden Blick auf die Probleme der Gegenwart. Aus dem hymnischen Gesang Veni, veni Emmanuel spricht die Sehnsucht nach der Ankunft des Gottessohnes, der die dunkle Welt von allen Bedrohungen erlöst. Der alte Text wurzelt in den Anrufungen der noch einmal mehrere Jahrhunderte älteren gregorianischen O-Antiphonen zum Advent; nachweisen lässt sich die strophische Reimfassung zum ersten Mal in einer Wiederauflage des jesuitischen Gesangbuches Psalteriolum Cantionum Catholicarum, die 1710 in Köln erschien. Im 19. Jahrhundert erst kombinierte der britische Chorleiter Thomas Helmore den Text mit der heute vertrauten Melodie, einer Singweise aus dem Spätmittelalter. So fließen in diesem eindringlichen Gesang verschiedene Traditionen und Zeiten ineinander.
Seit etwa 1600 bekleidete eine Reihe durchweg bemerkenswerter Musiker das Kantorenamt an der Thomasschule in Leipzig. Sie gaben damit zumindest im Bereich der Kirchenmusik den Ton an in der deutschen Wissenschafts-, Kunst- und Handelsmetropole. Unter den Vorgängern von Johann Schelle, Thomaskantor von 1677 bis 1701, und Johann Sebastian Bach, von 1723 bis 1750 in diesem Amt, darf als der bedeutendste Johann Hermann Schein gelten; er war von 1616 bis 1630 Thomaskantor. Wie viele seiner damaligen Kollegen nördlich der Alpen war Schein bewegt von den neuesten musikalischen Ideen aus Italien. Die entfalteten ihre expressive Wirkung daher bald auch zur Verkündigung reformatorischer Glaubensgewissheiten in der wortgewaltigen Bibelübersetzung Martin Luthers und in seinen deutschen Kirchenliedern für Gottesdienst und Hausandacht.
Die Bibelwort-Vertonungen aus Scheins Sammlung Israelisbrünnlein von 1623 bewegen sich zwischen den Formen der altehrwürdigen, in kontrapunktischen Imitationen durchkonstruierten Motette und des flexibleren, leichter an die Wortakzente anzupassenden Madrigals. In der Komposition Ich freue mich im Herren gibt die festliche Vorfreude nach Versen aus dem Buch Jesaja auch der Musik ihren Puls. Mit den Choralsätzen aus seinem Cantional oder Gesangbuch Augsburgischer Confession von 1627 hat Schein darüber hinaus für die mehrstimmige Kirchenliedpraxis bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Maßstäbe gesetzt. Dabei knüpfte er an die so schlichten wie wirkungsvollen mehrstimmigen Choralsätze an, die der unermüdlich publizierende, aber früh verstorbene Wolfenbütteler Hofkapellmeister Michael Praetorius in seiner neunbändigen Sammlung Musae Sioniae zwischen 1605 und 1610 publiziert hatte. In der vierstimmigen Fassung von Praetorius wurde auch das Trierer Weihnachtslied Es ist ein Ros entsprungen populär, dessen Melodie erstmals 1599 im Kölner Druck des Speyerischen Gesangbuches erschien.
Schon aus vorreformatorischer Zeit stammt die Praxis, lateinische und deutsche Texte
in einem Gesang zu verbinden. Ein schönes Beispiel dafür ist das Lied In dulci jubilo.
Besonders kunstvoll kombiniert Praetorius Sprachen und Gesangstraditionen in seinem Magnificat
super Ecce Maria
et Sydus ex claro
. Die kompositorische Grundlage, um
den Lobgesang der Maria aus dem Lukas-Evangelium zu vertonen, liefern hier die beiden
im Titel angeführten Motetten von Orlando di Lasso, dem europaweit einflussreichen Münchner
Hofkapellmeister in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Zwischen die lateinischen
Magnificat-Verse setzt Praetorius noch verschiedene Weihnachtslieder in (überwiegend)
deutscher Sprache.
Zu einer weiteren wichtigen Komponistenpersönlichkeit für das lutherische Kirchenmusikrepertoire wurde Johannes Eccard, der aus dem thüringischen Mühlhausen stammte, als junger Sänger in der bayerischen Hofkapelle unter Lasso engagiert war, später als Kapellmeister in Königsberg wirkte und ab 1608 in Berlin. In seinem heute wohl bekanntesten Werk, dem motettischen Liedsatz Übers Gebirg Maria geht, vertont er eine Reimparaphrase zum Magnificat. Die Verse stammen aus der Feder des Mühlhauser Superintendenten Ludwig Helmbold, den Eccard während eines erneuten Aufenthaltes in seiner Geburtsstadt 1573/74 kennengelernt haben dürfte. Das Weihnachtslied Ich steh an deiner Krippen hier dichtete der Pfarrer Paul Gerhardt 1653; seine Gemeinde im brandenburgischen Mittenwalde sollte es auf die Melodie des Luther-Chorals Nun freut euch, lieben Christen g’mein singen. So fügt es sich auch perfekt in den entsprechenden fünfstimmigen Satz von Eccard.
Bisweilen waren es weltliche Weisen, die Luther für seine Choräle heranzog – ein
bekanntes Beispiel dafür ist Vom Himmel hoch, da komm ich her, für dessen erzählende
Textform er die Melodie eines Spielmannsliedes wählte. Aus den mittelalterlichen Hymnen
Veni redemptor gentium zum Advent und A solis ortus cardine zu Weihnachten
entwickelte er deutsche Übertragungen, in denen sich die gereimten Nachdichtungen mit
der Melodik der gregorianischen Vorlagen verbanden. Dabei unterstützte ihn Johann
Walter, der in Torgau zunächst als kursächsischer Hofmusiker und seit 1526 als
Stadtkantor wirkte. Luthers Adventslied Nun komm, der Heiden Heiland diente um
1700 dem katholischen badischen Hofkapellmeister Johann Caspar Ferdinand Fischer
als thematisches Material im Kyrie seiner A-cappella-Messe in contrapuncto
. Ähnlich
archaisierende Sätze in Motettenform entwarf gelegentlich auch Johann Sebastian Bach,
um die Herkunft einer von ihm verwendeten Choralweise aus der Reformationszeit hervorzuheben.
Der Eingangschor zu seiner Kantate Christum wir sollen loben schon, komponiert
für den 26. Dezember 1724, ist dafür ein schönes Beispiel. Seine kühnen Koloraturketten
rechnen allerdings mit der virtuosen Vokaltechnik des barocken Belcanto.
In ruhigeren Bahnen bewegt sich hingegen das Imitationsgeflecht der Stimmen in den lateinischen
Motetten des 16. Jahrhunderts. So in den Kompositionen des Spaniers Tomás Luis de
Victoria, der für zwei Jahrzehnte neben Giovanni Pierluigi da Palestrina den Stil
der römischen Kirchenmusik prägte, und von Jacobus Gallus, der als Kantor in
Prag von 1586 bis 1591 seine weit rezipierte Motettensammlung Opus musicum herausgab.
Dass aber auch die Meister der alten Vokalpolyphonie dem rhythmischen Gleichklang aller
Partien ihren Reiz abgewinnen konnten, zeigt der dreistimmige Satz zu A solis ortus
cardine von Guillaume Dufay, dem großen franko-flämischen Musiker an der
Wende vom Spätmittelalter zur Renaissance, und ebenso das fünfstimmige O nata lux,
das der englische Hofsänger und -komponist Thomas Tallis 1575 in London veröffentlichte.
Thomas Morley, über seinen Lehrer William Byrd ein Enkelschüler
von Tallis,
schlägt in seinem Madrigal for Christmas einen lockeren Canzonetten-Ton an, auch
wenn die zweite Strophe von der prachtvollen Majestät des lieblichen Kindes
singt.
Zur weihnachtlichen Musiktradition des 16. Jahrhunderts in England gehört aber ebenso
das anonym überlieferte Coventry Carol, das als Wiegenlied ein herzergreifendes
Lamento anstimmt auf die Kinder, die der König Herodes umbringen ließ aus Angst, dass
unter ihnen ein Rivale seiner Herrschaft heranwachsen könnte.
Der neugeborene König der Juden
, den die Magier aus dem Morgenland im Stall von
Bethlehem aufsuchen, soll der Welt den Frieden bringen, so lautet die hoffnungsvolle
Weihnachtsbotschaft des Lukas-Evangeliums. Heinrich Schütz, der kursächsische
Hofkapellmeister in Dresden, erlebte den Dreißigjährigen Krieg in seiner ganzen Länge
und all seinem Elend. Am Ende veröffentlichte er 1648 in seiner Geistlichen Chor-
Music auch eine Motette zu Luthers deutscher Fassung der gregorianischen Antiphon
Da pacem Domine. Die Choralweise scheint bei Schütz nur fragmentarisch auf; vielmehr
hallen in den inbrünstigen Bitten des dichten Satzes noch einmal die Schrecken der verheerenden
Gefechte nach, bevor die sechs Stimmen in geradezu sphärischen Harmonien die Utopie
eines seligen Lebens unter einer friedenstüchtigen politischen Regierung entstehen lassen.
Das heutige Programm schließt mit der Hoffnung auf jenen Erlöser, dessen Ankunft die
Engel in der alten gregorianischen Magnificat-Antiphon Hodie Christus natus est
mit ihrem Gloria in excelsis Deo
verkünden.