Saison 2005/2006: Konzert 6

Sonntag, 5. März 2006 17 Uhr Sendesaal des Deutschlandfunks

Bläsermusiken

von Franz Danzi, Anton Reicha und Martin Joseph Mengal Das Reicha'sche Quintett Das Reicha'sche Quintett Sendung im Deutschlandfunk 14.3.2006

Sie haben sicher alle schon einmal gehört: Michael Schmidt-Casdorff (Flöte), Hans-Peter Westermann (Oboe), Guy van Waas (Klarinette), Ulrich Hübner (Horn) und Christian Beuse (Fagott). Die Instrumentalisten zählen zur Crème der Holzbläser im Bereich der historischen Aufführungspraxis und werden von vielen Ensembleleitern immer wieder gerne gefragt und besetzt. Weniger bekannt ist, dass die fünf Holzbläser seit 1992 ein äußerst erfolgreiches Quintett bilden, das im Ensemblenamen den wohl bedeutendsten Komponisten von Holzbläserquintetten ehrt: Johann Anton Reicha.

Programmfolge

Franz Danzi (1763-1826)
Quintett Nr. 7 A-Dur op. 68,1
Allegro moderato
Larghetto
Minuetto
Polacca

Anton Reicha (1770-1836)
Quintett Nr. 9 D-Dur op. 91,3
Lento - Allegro assai
Adagio
Menuetto. Allegro vivo
Finale. Allegretto

Pause

Anton Reicha
Adagio pour le Cor anglais d-Moll

Martin Joseph Mengal (1784-1851)
Quintett g-Moll "tiré des œuvres de Mozart"
Allegro non troppo
Adagio
Minuetto. Allegretto
Finale. Allegro

Nur für Meister ihres Fachs

Um diese Quintetten gut zu spielen, muss man seine Stimme sorgfältig studieren, sich öfters zusammen üben, um den Geist des Componisten zu fassen. ... Man muss die Stimme, welche den Gesang hat, vorherrschen lassen und sie ja nicht decken. Um diesen Grad von Vollkommenheit zu erlangen, muss man sich bestreben die angezeigten Schattirungen auszudrücken, ohne welche alle Musik ihr Interesse verliert. Durch sorgfältige Beobachtung des Gesagten wird man im Stande seyn diese Quintetten gehörig vorzutragen. Dieses war unser Streben. Folgen Lehrer und Liebhaber der Blas-Instrumente unserm Beispiel, so werden sie dem Verfasser Muth machen ihre Sammlungen zu bereichern. Durch Beharrlichkeit werden sie den Widerwillen besiegen, welcher die Componisten abhält, in diesem Felde zu arbeiten...
VOGT, GUILLOU, DAUPRAT, BOUFFIL, HENRY
Membres de l'École Royale de Musique et du Theâtre Royal de l'Opéra Comique

Als der Bonner Hornist und Musikverleger Nikolaus Simrock ab ca. 1817 die Bläserquintette op. 88, 91 und 99 von Anton Reicha im Druck veröffentlichte, konnte er nicht nur auf die werbende Unterstützung des Komponisten zählen. In einem auf französisch und deutsch abgedruckten Avertissement setzten sich für die neuartigen Stücke auch jene Virtuosen ein, deren herausragende Fähigkeiten Reicha zur Komposition animiert hatten: Gustave Vogt (Oboe), Joseph Guillou (Flöte), Louis-François Dauprat (Horn), Jean-Jacques Bouffils (Klarinette) und Antoine Nicolas Henry (Fagott). Als Reicha'sches Quintett sind diese fünf Instrumentalisten in die Musikgeschichte eingegangen, allesamt Meister ihres Fachs, die in Paris an der Opéra-Comique bzw. dem Théâtre-Italien spielten und als Professoren am Conservatoire wirkten.
Die Einladung an andere Komponisten, Reicha in der Quintettkomposition nachzueifern, war aus Sicht der Interpreten nur allzu verständlich. Seine Bläserquintette, von denen die ersten um 1810 komponiert und zunächst in Privatzirkeln aufgeführt worden waren, standen nun, Jahre später, immer noch etwas einsam im musikalischen Repertoire, wenn Reicha ihre Zahl seit der öffentlichen Premiere 1814 im Foyer der Comique auch deutlich vermehrt hatte. In der pulsierenden Kunstmetropole Paris lieferten den Musikenthusiasten allerdings eher die Aufführungen neuer Opern und Sinfonien den Gesprächsstoff; den weiteren Quintetten Reichas hingegen fehlte aus Sicht des Publikums das Sensationelle -- der Reiz des Neuen war verflogen. Schon 1814 hatte ein Rezensent im Journal de Paris bei allem künstlerischen Lob nicht auf die Bemerkung verzichtet, die Werke seien ein wenig zu lang...
Reicha, den gebürtigen Böhmen, der unter der Obhut des Onkels zunächst in Oettingen-Wallerstein, dann in der Bonner Hofkapelle an der Seite des gleichaltrigen Ludwig van Beethoven zum Musiker mit dem Hauptinstrument Flöte herangereift war, schätzte man in Paris als Mann der Lehre, kaum als Persönlichkeit des Konzertpodiums. 1818 wurde seine bis dahin privat organisierte, didaktisch ungemein erfolgreiche Unterrichtstätigkeit mit einer eigens geschaffenen Professur für Harmonie und Kontrapunkt am Conservatoire honoriert; zu seinen Schülern zählten dort u.a. Hector Berlioz und Franz Liszt, César Franck und Charles Gounod.
Auch die Bläserquintette waren einer primär satztechnischen und kompositionsästhetischen Aufgabenstellung entsprossen: der Übertragung des damals schon als klassisch empfundenen Streichquartetts auf ein in Klang und Technik völlig anderes Instrumentalensemble. Dabei entwickelte Reicha aber gleichzeitig einen Gegenentwurf zum Streichquartett. Zwar wahren die Bläserquintette dessen Tradition im formalen Aufbau, doch bringen sie eine bedeutende Erweiterung der klanglichen Dimensionen ins Spiel -- nicht so sehr durch die erweiterte Zahl der Stimmen, sondern durch die differenziert eingesetzte Palette der unterschiedlichen Instrumentalfarben. Auf dem harmonischen Fundament von Fagott und Horn wechseln sich die drei höheren Stimmen mit je eigenen Klangwerten in der Melodieführung ab, spielen sich im kontrapunktischen Austausch eine Vielzahl an Motiven zu, tauchen aber auch immer wieder in harmoniefüllende Rollen ab. Das fordert die Zuhörer ebenso wie die Spieler. Der thematische Verlauf ist hier wesentlich schwieriger zu erfassen als in den melodiebetonten und entsprechend populären Harmoniemusiken, die bis dahin das Bläserrepertoire bestimmt hatten.
Neben dem intellektuellen Anspruch standen einer weiteren Verbreitung der Quintette ihre hohen spieltechnischen Anforderungen entgegen. Der Pariser Korrespondent der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung, der Anfang 1818 von der Aufführung der Quintette op. 91 berichtete, hielt es daher für müßig, die Werke von anderen Interpreten als den fünf Pariser Bläsern aufführen zu lassen; er empfahl den Musikenthusiasten daheim anstelle des Notenkaufs eine Paris-Reise. Wer diesem Rat im Jahr darauf folgte, konnte mit einigem Glück das Reicha'sche Quintett mit dem Adagio pour le Cor anglais hören, bei dem Gustave Vogt von der Oboe zum tieferen, melancholisch timbrierten Englischhorn wechselte (auch Rossini und Berlioz bedachten Vogt später noch mit herausragenden Partien für diese Tenoroboe).

Vermutlich als eine Reaktion auf die eingangs zitierte Initiative der Pariser Bläser komponierte indes Franz Danzi, der Hofkapellmeister in Karlsruhe, Anfang der 1820er Jahre drei Bläserquintette, die als sein Opus 56 zeitgleich in Berlin und Paris erschienen. Auf Anregung des Pariser Verlegers versah Danzi die Veröffentlichung mit einer Widmung an Reicha, der offenbar die Korrektur vor der Drucklegung übernommen hatte. Sicherlich verband Danzi mit diesem Schritt die Hoffnung, dass seine Kompositionen von den hervorragenden Pariser Bläsern aufgeführt würden -- ein Hoffnung, die sich allem Anschein nach aber nicht erfüllte. Andernorts hingegen erfreuten sich seine im Vergleich zu Reicha gefälligeren Quintette großer Beliebtheit; sie waren kürzer, hoben das melodische Moment stärker hervor und eröffneten den Bläsern dankbare Gestaltungsräume: "In Karlsruhe, Mannheim u. Stuttgart hat man ihnen die Ehre angethan sie den Reicha'schen vorzuziehen, weil, wie man sagt, die Blasinstrumente weit zweckmäßiger benützt sind", bemerkte Danzi nicht ohne Stolz gegenüber seinem Offenbacher Verleger Johann Anton André. Obwohl von Haus aus Cellist (unter anderem in der Münchener Hofkapelle als Nachfolger seines Vaters), hatte der Komponist wohl schon vor den Karlsruher Jahren reichlich Erfahrung in der Arbeit mit Bläsern sammeln können. Nicht umsonst war er während seiner Zeit als Stuttgarter Theater-Kapellmeister 1812 zum Instructor der Blasinstrumenten-Ausbildung am neu gegündeten königlichen Kunstinstitut berufen worden. Das heute zu hörende A-Dur-Quintett entstammt der Anfang 1824 als Opus 68 erschienenen dritten und letzten seiner Veröffentlichungen mit je drei Bläserquintetten.

Ebenfalls 1824 publizierte einer der frühesten Pariser Schüler Reichas drei eigene, wenngleich durch Werke Haydns, Mozarts und Beethovens inspirierte Bläserquintette: Martin Joseph Mengal. Zu diesem Zeitpunkt wirkte er noch als Solohornist an der Seite von Vogt, Bouffils und Henry im Orchester der Opéra-Comique. Im Jahr darauf kehrte er als Dirigent nach Flandern zurück, 1835 wurde er in seiner Geburtsstadt Gent zum Direktor des neu gegründeten Konservatoriums ernannt.
Von den vier Sonaten-Sätzen, die Mengals Mozart-Quintett zugrunde liegen, waren drei in ihrer Ursprungsfassung für Klavier und Violine im vorangehenden Konzert des Forum Alte Musik Köln zu hören: "Allegro" und "Tempo di Menuetto" aus der e-Moll-Sonate KV 304 sowie das "Andantino cantabile" aus der D-Dur-Sonate KV 306. Hinzu tritt für den Finalsatz das Allegro aus dem Beginn der Sonate G-Dur KV 379. Mengals Bearbeitung beschränkt sich keineswegs auf die Neuinstrumentierung. Er greift thematisch in die Durchführungen und Schlüsse der Sonatensatzformen ein und erweitert sie dabei. Auch deutet er die Kompositionen neu, indem er die Dynamik und das Tempo gravierend ändert -- so im Falle des ersten Mozart-Satzes vom Allegro im 2/2-Takt zum Allegro non troppo im 4/4-Takt, im zweiten Satz vom Andantino cantabile zum Adagio.
Als Reicha'sches Quintett unserer Tage haben Michael Schmidt-Casdorff, Hans-Peter Westermann, Guy van Waas, Ulrich Hübner und Christian Beuse die künstlerische Bedeutung Mengals wieder entdeckt. Sie sehen seine Bläser-Adaptionen als eigenständige Kompositionen, letztlich als einen dritten Weg der romantischen Quintettkomposition neben Reichas "Kammermusiksinfonien für Bläser" und Danzis "wechselnden Dialogen".

behe

Mitwirkende

Das Reicha'sche Quintett

Michael Schmidt-Casdorff, Flöte
Hans-Peter Westermann, Oboe, Englischhorn
Guy van Waas, Klarinette
Ulrich Hübner, Horn
Christian Beuse, Fagott