Saison 2012/2013: Konzert 6

Sonntag, 3. März 2013 17 Uhr – Im Rahmen des Kölner Festes für Alte Musik Trinitatiskirche

Marienvesper

Geistliche Musik von Heinrich Ignaz Franz Biber und Johann Caspar Kerll Cantus Cölln · Concerto palatino, Ltg. Konrad Junghänel Cantus Coelln Sendung auf WDR 3 zu einem späteren Zeitpunkt

Der Böhme Heinrich Ignaz Franz Biber, einer der größten Geiger seiner Zeit, schrieb als Salzburger Hofkapellmeister auch phänomenale vokal-instrumentale Kirchenmusik. Davon legt seine 1693 veröffentlichte Sammlung »Vesperae longiores ac breviores unacùm litaniis Lauretanis« beredtes Zeugnis ab. Aus ihr hat Konrad Junghänel für sein Vokalensemble Cantus Cölln fünf Psalmvertonungen und ein Magnificat ausgewählt und mit geistlichen Konzerten aus dem Umfeld Bibers zu einer prächtigen Marienvesper für acht Vokalsolisten, Streicher, Generalbass und die Bläser von Concerto Palatino kombiniert.

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Programmfolge

I. VESPERA Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704) Sonata XI à 4 Dixit Dominus Johann Caspar Kerll (1627 – 1693) Salve Regina Heinrich Ignaz Franz Biber Laudate pueri Dominum Johann Caspar Kerll Ave Regina caelorum Heinrich Ignaz Franz Biber Laetatus sum Johann Caspar Kerll Exultate corda devota Heinrich Ignaz Franz Biber Nisi Dominus Johann Caspar Kerll Salve Regina Heinrich Ignaz Franz Biber Lauda Jerusalem Sonata III à 5 Magnificat Pause II. MISSA Johann Caspar Kerll Missa in fletu solationum obsidionis Viennensis Sinfonia – Kyrie – Gloria – Credo – Sanctus/Benedictus – Agnus Dei

Die Quellen

Heinrich Ignaz Franz Biber: Vesperae longiores ac breviores, Salzburg 1693
Heinrich Ignaz Franz Biber: Fidicinium sacro-profanum, Salzburg ca. 1683
Johann Caspar Kerll: Delectus sacrarum cantionum, München 1669
Johann Caspar Kerll: Missae sex, cum instrumentis concertantibus, München 1689

Gotteslob der Gottesmutter

Selbst in unserer säkularen Gesellschaft lassen sich bestimmte Befindlichkeiten nicht nur religiöser, sondern auch allgemein kultureller oder gar politischer Natur noch als Folgen der Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verstehen. Um wieviel mehr musste der Unterschied der Konfessionen in Zeiten eine Rolle spielen, als Aufklärung und Rationalismus noch in den Kinderschuhen steckten, sich aber längst eine Aufteilung der politischen Entscheidungsträger des Heiligen Römischen Reiches in ein Corpus Catholicorum und ein Corpus Evangelicorum etabliert hatte! Die römische Kirche antwortete auf die Ausbreitung der reformatorischen Ideen mit einer »Gegenreformation«. Darin verband sich das prinzipielle Festhalten an den alten religiösen Formen und Dogmen mit einer auch missionarisch motivierten spirituellen Erneuerung, als deren intellektueller Sachwalter vorneweg der neu gegründete Jesuitenorden agierte.

Von solch »gegenreformatorischer« Spiritualität künden bis heute barock ausgestaltete Sakralbauwerke in hellen Farben, üppigen Formen und mit Liebe zum Detail, wie sie geradezu als Standard in jenen Landstrichen anzutreffen sind, in denen die engagiertesten katholischen Parteigänger herrschten – die süddeutschen Fürstbischöfe und Reichsäbte, vor allen aber die Wittelsbacher Herzöge (und seit 1623 Kurfürsten) von Bayern sowie das habsburgische Kaiserhaus Österreich. Ähnlich charakteristisch ist die geistliche Musik des 17. Jahrhunderts, die nach den Vorbildern römischer und venezianischer Meister für diese Kirchen geschrieben wurde. Auch hier finden Klangpracht und Innigkeit zu einer eigenen Harmonie. Gewiss, der Protestantismus lutherischer Prägung beschritt ähnliche Bahnen, behielt er doch gegenüber den musikalischen Reizen des Südens allezeit ein offenes Ohr. Ein religiöses Moment, das die evangelischen Kirchen ablehnten, war aber die Heiligenverehrung Marias, der Mutter Jesu, die nach römischer Lehre unbefleckt empfangen hatte und als erste Erlöste unter den Menschen in den Himmel aufgefahren war. Umso entschiedener bildet die »Gottesmutter« und »Königin des Himmels« ein zentrales Motiv der katholischen Sakralkunst – die herausragende weibliche Identifikationsfigur inmitten einer patriarchalisch geprägten Amtskirche.

Die katholische Kirchenmusik ist immer wieder neu von der Vorstellung Marias als einer himmlischen Mutter, Schwester und Fürsprecherin aller Gläubigen inspiriert worden. Diesem Bild verleiht die liturgische Musik einer »Marienvesper« geradezu hymnischen Ausdruck: Der abendliche Stundengottesdienst, der mehr noch als die Feier der Messe vom Gesang getragen wird, ist dann in der Auswahl der Psalmen und Gebete ganz auf die Mutter Jesu ausgerichtet. Im Jahr 1610 veröffentlichte Claudio Monteverdi, der spätere Kapellmeister an San Marco in Venedig, noch von Mantua aus zwei Werkzyklen zu Ehren der »Heiligsten Jungfrau« in einer dem Papst gewidmeten Druckausgabe: eine Messe im alten Stil und eine Vesper, die alle expressiven Möglichkeiten moderner Kompositionsweisen auslotete. Mit ihr lieferte er das klassische Exempel für eine Vielzahl von Publikationen, die Vertonungen der entsprechenden Psalmen, weiterer Gebetstexte und nicht zuletzt des Magnificats boten, das als Gotteslob aus dem Mund Marias im Wortlaut des Lukas-Evangeliums den inhaltlichen Höhepunkt jeder Vesper bildet.

Eine solche Publikation stellen auch die Vesperae longiores ac breviores unacum Litaniis Lauretanis dar, die 1693 beim Verlag Johann Baptist Mayr in Salzburg erschienen. Komponist der insgesamt 26 »längeren und kürzeren« Psalm- und 3 Magnificat-Vertonungen samt angehängter lauretanischer Litanei war der Salzburger Hofkapellmeister Heinrich Ignaz Franz Biber, ein gebürtiger Böhme und begnadeter Violinspieler. Der mutmaßliche Schüler des Wiener Hof-Virtuosen Johann Heinrich Schmelzer hatte 1670 die Gelegenheit einer Einkaufsreise zum Tiroler Geigenbaumeister Jacobus Stainer genutzt, um bei Fürsterzbischof Max Gandolph von Kuenburg in Salzburg unterzukommen, statt ins provinzielle Kremsier zum Olmützer Bischof Karl von Liechtenstein-Kastelkorn zurückzukehren. Max Gandolph, Widmungsträger der heute berühmten Rosenkranz- Sonaten Bibers, förderte dessen Karriere, ernannte ihn 1678 zum Vizekapellmeister und 1684 zum Kapellmeister. Aus den vielen Gnadengeschenken und Ehrenbezeigungen, die Biber als Dank für musikalische Aufwartungen auch von Bayerns Herzog Ferdinand Maria und von Kaiser Leopold I. erhielt, sticht die 1690 erfolgte Erhebung in den Adelsstand heraus. Johann Ernst von Thun, der Nachfolger Max Gandolphs, ernannte ihn zudem im November 1692 zum Truchsess. Für diese denkbar höchste Ehrung durch den Landesherren konnte sich Biber im Jahr darauf mit der Widmung der Vesperae revanchieren. Kirchenmusik komponierte Biber in erster Linie für den Salzburger Dom mit seinen Musizieremporen an jedem Eckpfeiler der groß dimensionierten Vierung; da lag ein vielfältiges Wechselspiel mit mehreren Vokal- und Instrumentalgruppen nahe. Der Druck von 1693 nimmt aber auch auf weniger großzügige Verhältnisse Rücksicht: Er verlangt ein Basisensemble von nur vier konzertierenden Singstimmen, Basso continuo sowie je zwei Violinen und Violen. Nach Belieben können aber vier weitere Vokalstimmen »in Capella« und ein Posaunenchor hinzutreten. In solcher Gestalt erklingen die Vesperpsalmen im heutigen Konzert – als Manifestationen einer prachtvollen und doch bis in kleinste Melodiebildungen auf die subtile Wirkung der Worte bedachten Satzweise.

In einer feierlichen Vesperliturgie des 17. Jahrhunderts wurden aber nicht nur die fünf Psalmen und das Magnificat vielstimmig und in kontrastreichen Besetzungen ausgeführt, auch für die als Leitverse zu den Psalmen dienenden Antiphonen fand man individuelle musikalische Lösungen. Es konnte sogar eine Instrumentalsonate an deren Stelle treten. Dass man dabei kaum zwischen geistlichem und weltlichem Stil unterschied, zeigen Bibers Sonatae, tam aris, quam aulis servientes (1676) und das Fidicinium sacro-profanum, tam choro, quam foro aptum (ca. 1683) schon im Titel. Der letztgenannten Sammlung entstammen die beiden Ensemblesonaten des heutigen Programms.

Zwischen den Vesperpsalmen sind heute Abend aber vor allem kleiner besetzte geistliche Konzerte von Johann Caspar Kerll zu hören. Der Sohn eines aus Böhmen stammenden, aber wegen seines lutherischen Glaubens emigrierten Orgelbauers wurde im vogtländischen Adorf geboren und kam als junges Orgel-Talent in den 1640er Jahren an den Wiener Hof. Dass er hier zum Katholizismus konvertierte, war unerlässlich für die weitere Ausbildung beim Hofkapellmeister Giovanni Valentini und anschließend in Rom bei Giacomo Carissimi am jesuitischen Collegium Germanicum. Danach stand Kerll in den Diensten des Kaiser-Bruders Leopold Wilhelm in Brüssel, bis er 1656 von Herzog Ferdinand Maria nach München berufen und noch im gleichen Jahr zum Hofkapellmeister ernannt wurde. Mit seinen Kompositionen für den Hof, aber auch für die Jesuitenkirche St. Michael fand er hier große Anerkennung. 1669, fünf Jahre nach seiner Erhebung in den Adelsstand, veröffentlichte Kerll unter dem Titel Delectus sacrarum cantionum 26 geistliche Konzerte für zwei bis vier Singstimmen mit Continuo- und teilweise auch Violinbegleitung. Vier Vertonungen von Mariengebeten aus dem Delectus zeigen im heutigen Programm, wie eindringlich der Carissimi-Schüler die Worte in eine rhetorisch dichte Musiksprache zu übersetzen verstand.

1674 sah sich Kerll veranlasst, seine Münchener Stelle aufzugeben – Grund waren angeblich Intrigen italienischer Kapellkollegen. Den guten Kontakten zum bayerischen Fürstenhaus tat dies aber keinen Abbruch. Der 46-Jährige zog mit seiner Familie wieder nach Wien, wo ihn der Kaiser zum Hoforganisten ernannte. Auch hier lebte Kerll aber alles andere als sorgenfrei. 1679 grassierte die Pest und brachte seiner ersten Frau den Tod. 1683 wurde die Stadt wochenlang von einem türkischen Heer belagert und beinahe eingenommen. Unter dem Eindruck der Kriegsgräuel schrieb Kerll seine Missa in fletu solationum obsidionis Viennensis, die er 1689 gemeinsam mit fünf weiteren Messen in Druck gab und die im zweiten Teil des heutigen Konzerts zu hören ist. Jenes »Wehklagen«, zu dessen »Trost« das Werk laut Titel komponiert wurde, durchzieht in unerhört exzentrischen chromatischen Melodiefortschreitungen die Amen-Fugen von Gloria und Credo – Stellen also, die doch gerade unerschütterliche Glaubenszuversicht ausdrücken sollten.

Im Januar 1690 trat Kerll noch bei der Königskrönung Josephs I. in Augsburg als Organist auf. Das war vielleicht eine letzte Gelegenheit, mit dem jüngeren Salzburger Kollegen Biber zusammenzutreffen. Am Lebensabend wieder nach München zurückgekehrt, starb Kerll 1693, im Veröffentlichungsjahr von Bibers Vesperae longiores ac breviores. Ein bis heute erhaltener Stimmensatz dieses Salzburger Drucks aus dem Bestand der Münchener Jesuitenkirche, dem noch handschriftliche Partien für Zink und drei Posaunen beiliegen, traf demnach erst nach Kerlls Tod an der Isar ein.

behe

Mitwirkende

Cantus Cölln Magdalene Harer, Monika Mauch – Sopran Elisabeth Popien, Margot Oitzinger – Alt Hans Jörg Mammel, Manuel Warwitz, Mirko Ludwig, Immo Schröder – Tenor Wolf Matthias Friedrich, Markus Flaig – Bass Ulla Bundies, Cosima Taubert – Violine Friederike Kremers, Volker Hagedorn, Klaus Bundies – Viola Matthias Müller – Violone Carsten Lohff – Orgel Sören Leupold – Laute Concerto palatino Bruce Dickey – Zink Simen van Mechelen, Charles Toet, Wim Becu – Posaune Ltg. Konrad Junghänel