Saison 2012/2013: Konzert 5

Sonntag, 13. Januar 2013 17 Uhr Trinitatiskirche

Come again

John Dowland zum 450. Geburtstag Dorothee Mields · Hamburger Ratsmusik, Ltg. Simone Eckert Dorothee Mields Sendung auf WDR 3 am 10. Februar 2013

John Dowlands Lachrimae-Thema war zu seinen Lebzeiten schon ein gesamteuropäischer Hit, und auch andere Weisen des englischen Melancholikers tauchten damals in den kontinentalen Musikdrucken und -handschriften auf. Unzählige Consort-Kompositionen im Stile Dowlands demonstrieren darüber hinaus, wie erfolgreich sich seine Zeitgenossen um eine authentische Neugestaltung englischer Pavanen auf dem Festland bemühten. Dem Charme der Dowland-Lieder und dem Widerhall der elisabethanischen Consort-Kultur in Deutschland sind die Hamburger Ratsmusik und die Sopranistin Dorothee Mields gemeinsam auf der Spur.

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Programmfolge

Samuel Scheidt (1587-1654)Galliard Battaglia (1621)
John Dowland (1563-1626)The King of Denmark's Galiard (1604)
  
John DowlandLachrimae antiquae (1604)
 Flow my teares (1603)
Louis de Moys (nach 1600)Pavana d'Aurick (1631)
William Brade (1560-1630)Paduana – Galliard (1607)
  
Orlando di Lasso (1532-1594)Susanne un jour
John DowlandM. Buctons Galiard (1604)
Johann Sommer (1570-1627)Paduana XVIII (1607)
John DowlandGalliarde XVII (1607)
  
John DowlandCan she excuse (1597)
 The Earle of Essex Galliard (1604)
Johann Schop (1590-1667)Sollt' ich, o Bild der Tugend (1642)
John DowlandThe Earle of Essex Galliard
Gabriel Voigtländer (1596-1643)Weibernehmen ist kein Pferde-Kauff (1650)
  
PAUSE 
  
John DowlandPavan (1610)
Thomas Simpson (1582-1628)Galliard (1610)
  
John DowlandSay love (1603)
 Weep you no more (1603)
  
Melchior Borchgrevinck (1570-1632)Paduana I (1607)
Jacob Praetorius (1586-1651)Galliarde I (1607)
  
John DowlandCaptain Digories Galliard (1597)
 If my Complaints (1597)
Johann SchopPaduana – Galliard (1633)
John DowlandMr. Knight's Galliard
Michael Praetorius (1571-1621)Galliarde CCCVII (1612)
John DowlandMistris Winter's Jump
Michael Praetorius Galliarde CCC (1612)
  
John DowlandPaduana Anglois
 Come again (1597)

Dowland auf Europareise

Die Biographie des englischen Lautenisten John Dowland durchziehen zahlreiche Reisen wie ein roter Faden. Bereits mit siebzehn verschlägt es ihn für vier Jahre nach Frankreich; die große Vielfalt der Musik dort fasziniert ihn. Im Jahr 1594 geht es nach Deutschland, an die Höfe des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel und des Landgrafen Moritz von Kassel. Sowohl diese Adeligen als auch seine Kollegen in deren Hofkapellen werden später wieder seine Wege kreuzen. Weiter zieht es ihn nach Italien: Er lernt in Venedig Giovanni di Croce kennen, erreicht aber das ersehnte Ziel Rom nicht, wo er sein Idol, den Komponisten Luca Marenzio, zu treffen hoffte: Er wird mit einem Mordkomplott gegen Königin Elisabeth in Verbindung gebracht und muss Hals über Kopf nach Deutschland zurückkehren. Spätestens Anfang 1597 ist er wieder in London, einmal mehr in der vergeblichen Hoffnung, als Hoflautenist angestellt zu werden, und um sein First Booke of Songes zu veröffentlichen.

Schon ein Jahr später versucht ihn Landgraf Moritz nach Kassel zurückzuholen, während gleichzeitig der frisch gekrönte dänische König Christian IV. seinen Hofkapellmeister Melchior Borchgrevinck nach London entsendet, um geeignete Musiker für das ehrgeizige Projekt einer groß besetzten Hofkapelle zu akquirieren. Dowland geht nach Kopenhagen. 1601 schickt ihn Christian nach London zurück, um erneut Musiker anzuwerben und für die dänische Königsfamilie englische Pretiosen zu besorgen (Handschuhe für die Königin, Tennisschläger, Lautensaiten, Gamben … ). Diese privaten Einkäufe, deren Kosten Dowland sogar vorstreckt, deuten darauf hin, dass er der persönliche Lautenlehrer Christians IV. ist, vermutlich mit Zugang zu dessen Privatgemächern. 1603/04 wird dem Rastlosen selbst eine zweite Reise gestattet. Im Frühjahr 1604 überwacht er persönlich in London die Drucklegung seiner Sammlung Lachrimae or Seven Teares. Außerdem bemüht er sich um die Gunst Jakobs I. und Queen Annes, einer Schwester Christians IV. Trotz einer Audienz erhält er die vakante Stelle des Hoflautenisten abermals nicht. Doch Anne wird Widmungsträgerin seiner Lachrimae-Sammlung, die – nach Dowlands eigenen Worten – in ihrem Geburtsland Dänemark begonnen und in ihrem Königreich England vollendet wurde.

Im Februar 1606 sieht sich Christian IV. aus finanziellen Gründen gezwungen, sich von seinen beiden teuersten englischen Musikern – Dowland und seinem Kollegen William Brade – zu trennen; er vermittelt ihnen aber Anstellungen am Hof des Schwagers in Wolfenbüttel. Doch Dowland kehrt noch im selben Jahr nach England zurück, in den Dienst des Earl of Suffolk. Endlich – am 28. Oktober 1612, im Jahr der Drucklegung seiner Sammlung A Pilgrims Solace – erhält er den Posten als Musician for the Lute am königlichen Hof, den er bis zu seinem Tod innehat.

Heute wird John Dowland meist auf den Melancholiker reduziert. Freilich stilisiert er sich in all seinen Schriften selbst dazu und bejammert immer wieder die Widrigkeiten seines Lebens – die langjährigen vergeblichen Bemühungen um Anstellung am englischen Hof werden zum Leitmotiv seiner Biographie. Dahinter verbergen sich aber zahlreiche Aspekte, die das Bild seiner Persönlichkeit erst vervollständigen. Als freier Musiker eignet er sich auf seinen Reisen hervorragend für subversive politische Tätigkeiten. Daneben glänzt er als Bestsellerautor, der allein mit seinem First Booke sechs Auflagen erzielt. Seine Musik findet Verbreitung in ganz Europa, wird in Städten wie Paris, Antwerpen, Nürnberg, Frankfurt, Leipzig, Amsterdam, Hamburg nachgedruckt – und auch in Köln, in Jean-Baptiste Besards Thesaurus Harmonicus von 1603. Mit seinem ureigenen Gespür für Ohrwürmer landet Dowland einen »Hit« nach dem anderen. Gelegentlich übernimmt er auch musikalische Ideen aus gängigen Madrigalen und verarbeitet sie gekonnt weiter. Finanziell ist er erfolgreicher als die meisten Musiker seiner Zeit: Am dänischen Hof verdient er so viel wie ein Flottenadmiral. Trotz des einsetzenden Stilwandels wird Dowland noch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod in ganz Europa geschätzt, bearbeitet und verbreitet.

Dowlands Lachrimae ist die einflussreichste Pavane jener Epoche; kaum eine Melodie wird jemals so oft kopiert oder bearbeitet. Mit dem Motiv der Seven Teares greift Dowland selbst auf Marenzios Madrigal Parto da voi, mio sole zurück, das in England 1588 in der legendären Sammlung Musica transalpina unter dem Titel Now I must part erschienen ist. Der Text hat Dowland auch zu seinem Now, o now I needs must part inspiriert, außerdem verarbeitet er die Pavane zum Lied Flow my teares. Mit ihrer beispiellosen Rezeption auf dem ganzen Kontinent findet sich die Pavane sogar im abgelegenen ostfriesischen Emden als Pavana d'Aurick des Niederländers Louis de Moys in Le petit Boucquet de Frise Orientale, einer Hochzeitsmusik von 1631. William Brade, nach der Entlassung aus dänischen Diensten Hofkapellmeister auf Schloss Gottorf und Direktor der Hamburger Ratsmusik, gestaltet seine Paduana II gemäß dem Lachrimae-Modell mit dem fallenden Tetrachord gleich am Anfang und in der Oberstimme als Ausgangspunkt für weitere motivische Entwicklung. Im Unterschied zur Disposition bei Dowland mit einem Sopraninstrument, drei Tenorinstrumenten und einem Bass lässt Brade die beiden Oberstimmen sich in ihren Stimmverläufen kreuzen, imitieren und die Führung teilen. Diese Besetzung ist typisch für das »anglo-germanische« Repertoire dieser Zeit, das die zweiteilige Anthologie Außerlesene Paduanen und Galliarden (Hamburg 1607/1609) repräsentiert.

Melchior Borchgrevinck ist seit 1587 in der dänischen Hofkapelle tätig, die er ab 1603 auch leitet, später am Gottorfer Hof und in Hamburg. In der zweiten Periode seiner Paduana I, die am Anfang der Sammlung von 1607 steht, findet sich das melodisch wörtliche, rhythmisch aber stark veränderte Zitat der ersten beiden Takte von Dowlands Lachrimae. Borchgrevinck nimmt mit diesem Stück eine zentrale Position innerhalb dieser bedeutenden Anthologie von Musik für Violen ein, die eine Vielzahl von Lachrimae-Bezügen und weiteren musikalischen Anglizismen auch in Stücken anderer Komponisten bietet. Johann Sommer, William Brades Nachfolger in Gottorf, komplettiert Dowlands Galliarde XVIII im Druck von 1607 mit seiner Paduana XVIII – und greift fast notengetreu auf Orlando di Lassos Madrigal Susanne un jour zurück. Eine frühere Fassung nach Lassos Vorlage ist Dowlands M. Buctons Galiard. Johann Schop vermischt in Paduana XIV und Galliard XV seines 1633 erschienenen Ersten Theils newer Paduanen, Galliarden, Allmanden, Balletten, Couranten und Canzonen Material aus Dowlands Songs Can she excuse und If my Complaints. Beide existieren auch schon in eigenen Instrumentalfassungen Dowlands. Schop zeigt hier seine profunde Kenntnis der englischen Pavanen, erkennbar an der tiefen Schlüsselung sowie an der konsequenten motivischen Dichte und den Imitationen. 1642 greift er nochmals auf dieselbe Idee zurück und veröffentlicht mit dem befreundeten Pastor und Dichter Johann Rist die Sammlung Galathee, in der die Melodie im Lied Sollt' ich, o Bild der Tugend wieder auftaucht.

Gabriel Voigtländer, Trompeter in Lübeck, in Kopenhagen bei Christian IV. und in der Gottorfer Hofkapelle, verwendet in der Sammlung Allerhandt Oden und Lieder (1650/1664) Dowlands Melodie von Can she excuse für sein Lied Weibernehmen ist kein Pferde-Kauff; in der Sammlung Opusculum Neuwer Pavanen, die 1610 in Frankfurt erschien, findet sich die Galliard des seinerzeit an den Höfen von Bückeburg und Heidelberg wirkenden englischen Lautenisten Thomas Simpson neben Bearbeitungen von Werken Dowlands. Der Organist Samuel Scheidt ist in Halle dem Hofkapellmeister Brade unterstellt und übernimmt 1618 dessen Stelle, als Brade nach Güstrow berufen wird. In Halle entstehen vermutlich Teile seiner Ludi musici (Hamburg 1621-1627) – möglicherweise, nachdem ihn Brade mit englischem Repertoire in Berührung gebracht hat. Scheidt bezieht seine Battaglia direkt auf Dowlands The King of Denmark's Galiard. In der Tanzsammlung Terpsichore des Wolfenbütteler Hofkapellmeisters Michael Praetorius von 1612 erscheinen Bearbeitungen von Dowlands Mr. Knight's Galliard als Galliarde CCCVII und Mistris Winters Jumpe als Galliarde CCC. Praetorius ergänzt das vermutlich handschriftlich überlieferte Gerüst von Ober- und Unterstimme durch neue Mittelstimmen zum vierstimmigen Satz. Als junger Kammerorganist könnte er Dowland 1594 bei seinem ersten Aufenthalt in der Residenz Wolfenbüttel persönlich begegnet sein. Die Kasseler Landgrafentochter Elisabeth von Hessen schließlich hat die englische Königin höchstpersönlich als Patin. Die Paduana Anglois aus ihrem Lautenbuch ist eine Fassung für Laute solo des Lieds Come again, die Dowland selbst angefertigt hat.

»What time and diligence I haue bestowed in the search of Musicke, what travel in forren countries.« – Reisend und dabei immer lernend ist es John Dowland mit seinem Einfallsreichtum vergönnt, selbst 450 Jahre später immer noch gesungen, gespielt und rezipiert zu werden.

Simone Eckert

Mitwirkende

Hamburger Ratsmusik
Dorothee Mields – Sopran
Hamburger Ratsmusik

Die Hamburger Ratsmusik spielt heute in folgender Besetzung:
Barbara Hofmann, Hermann Hickethier, Heike Johanna Lindner, Christian Zincke – Viola da gamba
Ulrich Wedemeier – Laute
Simone Eckert – Viola da gamba und Leitung