Saison 2017/2018: Konzert 6

Kölner Fest für Alte Musik 2018 Sonntag, 18. März 2018 WDR-Funkhaus 17 Uhr

Die neuen Waffen der Liebe

Sebastián Durón: Zarzuela Las nuebas armas de amor Hannah Morrison | Lupe Larzabal Franz Vitzthum | Terry Wey Christian Dietz Nuovo Aspetto Nuovo Aspetto Sendung auf WDR 3 am 3. April 2018 ab 21.04 Uhr

Jupiter hat Cupido Pfeil und Bogen abgenommen. Der richtet mit neuen, von Diana erhaltenen Waffen Chaos unter den Zyprern an, als diese Jupiters Denkmal ehren. – Der spanische Hofkomponist Sebastián Durón hat um das Jahr 1710 mit Las nuebas armas de amor eine mitreißende, durch reichlich Volkslied-Zutaten gewürzte Zarzuela geschrieben, eine Kurzoper, der ein königliches Jagdschloss nahe Madrid als Aufführungsort den Gattungsnamen gab. Das Ensemble Nuovo Aspetto um den Lautenisten Michael Dücker präsentiert dieses wiederentdeckenswerte Kleinod in einer handverlesenen vokal-instrumentalen Besetzung.

Programmfolge

LAS NUEBAS ARMAS DE AMOR Musik von Sebastián Durón (1660–1716) zur gleichnamigen Zarzuela in zwei Akten, Text von José de Cañizares (1676–1750) konzertante Fassung, Dauer ca. 90 Minuten Aufführung ohne Pause

Kämpfe im Dornengebüsch

In einem Waldgebiet im Norden von Madrid hatte der spanische König Philipp IV. ein Jagdschloss erbauen lassen, das 1635 fertiggestellt war und dem Charakter der Umgebung gemäß den Namen Palacio de la Zarzuela erhielt – Palast am Dornengebüsch. Stand das Wetter der Jagd entgegen, waren dort andere Unterhaltungen gefragt, vor allem Komödienaufführungen mit Musikeinlagen, für die zunächst der Hofdramatiker Pedro Calderón de la Barca den Text und der führende Hofharfenist Juan Hildago die Vertonungen lieferte. Diese kleine, in der Regel zweiaktige Form des Musiktheaters erfreute sich bald großer Beliebtheit, und das auch außerhalb ihres ursprünglichen Aufführungsortes. Der aber klang im Gattungsnamen solcher spanischsprachigen Singspiele weiterhin nach: Zarzuela.

Für gut ein Jahrhundert genoss diese Mischung aus teils gesprochenen, teils gesungenen Dialogen samt rahmenden Chorsätzen und Instrumentalstücken die Gunst des Publikums. Doch auch auf der iberischen Halbinsel, die immer ihre kulturelle Eigenständigkeit betont hatte, übernahm im Laufe des 18. Jahrhunderts die europaweit siegreiche italienische Oper das Regiment. Dies allerdings nicht im Handstreich, sondern Schritt für Schritt: Ein Blick in das Repertoire am spanischen Hof um 1700 zeigt, dass man dort durchaus auch damals schon zur Kenntnis nahm, was sich in Italien musikalisch tat. Dafür sorgte alleine schon die Tatsache, dass Italiens südlicher Teil jahrhundertelang als Vizekönigtum Neapel einen Teil des spanischen Imperiums bildete.

Dass die führenden Komponisten in Madrid durchaus offen waren für neue rhetorische und virtuose Impulse, zeigt sich im musikdramatischen Schaffen des spanischen Hofkapellmeisters Sebastián Durón. 31 Jahre war er alt, als er im September 1691 zunächst als Organist an die Real Capilla in Madrid kam: ein Mann im geistlichen Stand, der aus der kastilischen Provinzstadt Brihuega stammte und sich als brillanter Tastenmeister und Kirchenkomponist an den Kathedralen von Sevilla, El Burgo de Osma und Palencia einen Namen gemacht hatte. Nicht lange dauerte es, bis man am Hof des letzten spanischen Habsburgers, Karls II., auch Duróns theatralische Ader entdeckte. Die wesentlichen Impulse dazu dürften von der zweiten Gattin des Monarchen ausgegangen sein: Maria Anna aus dem Hause Pfalz-Neuburg, eine gebürtige Düsseldorferin, war mit dem italienischen Opernstil großgeworden und stellte entsprechend hohe Ansprüche auch in Madrid. Denen kam Durón in der vermutlich ersten seiner vielen musikdramatischen Kompositionen prompt nach: der Musik zur Zarzuela Salir el amor del mundo von 1696. Die Liebe, meist in der Personifizierung des Gottes Amor alias Cupido, die hier die Welt verlässt, begegnet auch in den folgenden Jahren fast immer schon im Titel solcher Stücke. Den Text lieferte wohl damals schon José de Cañizares – eine schillernde Persönlichkeit, die sich erst als Kavallerieoffizier profilieren konnte und dann als Hofdichter mit einem bedeutenden dramatischen Werk. Außerdem war Cañizares zwischen 1702 und 1747 als Zensor der öffentlichen Theater von Madrid tätig, des Teatro del Príncipe und des Teatro de la Cruz.

Ein wunderbares Ergebnis der fruchtbaren Zusammenarbeit von Cañizares und Durón ist jedenfalls die Zarzuela Las nuebas armas de amor, die heute Abend wohl zum ersten Mal seit dem 18. Jahrhundert in ihrer ganzen musikalischen Fülle zu erleben ist.


Die Handlung um die neuen Waffen der Liebe ist in ihren Grundzügen schnell erzählt: Die Einwohner Zyperns leiden unter dem Regiment von CUPIDO (Amor), der die Menschen mit seinen Pfeilen ins Herz trifft und dadurch bei ihnen die Liebe erweckt. JUPITER, der höchste Gott, hört die Klagen der ihm ergebenen Zyprer und will sie von solchen Leiden erlösen. In einem Kampf mit CUPIDO entreißt er diesem den Bogen und den Köcher mit den Pfeilen.

CUPIDO ruft daraufhin die Jagdgöttin DIANA aus der Unterwelt zu Hilfe, die ihm aus ihrem Arsenal neue, weitaus unheilvollere Waffen leiht: Pfeile der Enttäuschung und Entmutigung, des Misstrauens, des Zweifels und der Ignoranz. Indem er sie auf die Zyprer abfeuert, stiftet CUPIDO unter ihnen Verwirrung und Unheil. Auf der Strecke bleibt vor allem FINEZA – die Zärtlichkeit! Da können die Spaßvögel SILVIO und ENARETA, die für einen kurzen Moment singend die Szene betreten, auch nur noch gegenseitig übereinander herziehen. Vor allem aber ist JUPITER selbst einer der Leidtragenden, denn er hat sich in die schöne Astrea verliebt, die ihm gegenüber nur Widerwillen fühlt.

CUPIDO fordert schließlich JUPITER zu einem erneuten Kampf, denn jetzt kann er ihn mit der Unterstützung von DIANA besiegen. Er erhält seine ureigenen Waffen zurück, und die Zyprer sehen ein, dass es für sie doch wichtiger ist, den Liebesgott zu verehren. JUPITER zieht sich trauernd auf den Olymp zurück.


Die Musik für die Schlüsselszenen dieser Handlung komponiert Durón nach den Hinweisen, die Cañizares im Textbuch gibt. Vornehmlich gilt sie der Auseinandersetzung zwischen den Göttern Cupido, Jupiter und Diana. Deren Dialoge werden also dadurch überhöht, dass sie ihren Gedanken und Gefühlen singend Ausdruck verleihen – und das in einer eindringlichen, harmonisch und melodisch überaus reichen Sprache. Aber auch die komische Szene zwischen Silvio und Enareta wird in einem Zank-Duett genüsslich ausgekostet. Für all das stehen dem Komponisten zum einen die liedhaften spanischen Arienformen aus Estribillo (Refrain) und Coplas (Zweizeiler-Zwischenstrophen) zur Verfügung, die er hier und da noch nach alter Tradition als Seguidilla oder Tonada überschreibt. Oft findet er für seine Arietas auch originelle neue ariose Gestaltungsmöglichkeiten über eingängigen Harmoniemodellen. Dazwischen streut er aber immer wieder die moderne Da-capo-Form der italienischen Oper ein: zaghaft angedeutet noch in der ersten Arie des Jupiter, Que no es possibile, entschiedener ausgestaltet in Suelta la flecha, die zudem von einem veritablen Opernrezitativ eingeleitet wird. Cupidos Solo Quantos temeis el rigo in Da-capo-Manier, das bald darauf folgt, ist in der Partitur sogar explizit als Arieta Ytaliana bezeichnet.

Virtuos wechselt Durón zwischen den Soloformen, die immer von den Harmonien einer reich besetzten Gruppe von Generalbassinstrumenten begleitet werden. Da dominieren mit Harfe, Gitarre und Laute die gezupften Saiteninstrumente, zu denen man im weiteren Sinne auch das Cembalo zählen darf. Aber ebenso finden sich in spanischen Quellen der Zeit Hinweise auf das mit Schlegeln gespielte Salterio. Fallweise gesellen sich zwei Violinen als instrumentale Klangkrone im Triosatz hinzu. Wenn der Text es nahelegt, verbünden sie sich aber auch mit kämpferischer Verve zum Unisono. Blockhafte fünfstimmige Chöre für je zwei Sopran- und Tenorstimmen sowie Instrumentalbass leiten stimmungsvoll in einzelne Szenen ein; vor allem als Gefolge Dianas im Dialog mit Cupido gewinnt der Chorpart dramatisches Profil. Ebenso eindringlich setzt am Ende des ersten Aktes das Terzett von Jupiter, Cupido und Diana seinen kriegerischen Akzent im Stil einer Batalla, der die Violinen mit ihren Tonrepetitionen die nötige Attacke verleihen. Den zweiten Akt beschließt nach einer ausgedehnten Rezitativ-Folge der drei Göttergestalten der überraschend kurze Ensemblesatz Viva de amor el honor.

Weder das Libretto noch die Musik zu Las nuebas armas de amor scheint seinerzeit gedruckt worden zu sein – was den ursprünglichen privaten Charakter des Werks andeutet. Aus den erhaltenen Chroniken geht aber hervor, dass diese Zarzuela mit Duróns mitreißender Musik von November auf Dezember 1711 sieben Tage in Folge im Teatro del Príncipe durch die Compañia des Schauspielers Joséph de Prado aufgeführt wurde. Als sie dann am 18. Dezember 1721 noch einmal im Palast des spanischen Botschafters in Lissabon gegeben wurde, war ihr Komponist bereits fünf Jahre tot.

Auch bei der Serie im Madrider Teatro del Príncipe hatte es sich 1711 schon um eine Wiederaufnahme gehandelt, wie ein fünf Jahre älteres Notenmanuskript für Harfe beweist, in dem sich vier Sologesänge aus Las nuebas armas de amor finden. Duróns Musik muss also spätestens 1706 entstanden sein – wie hätten einige der Arietas sonst damals schon als Lieder zur Harfenbegleitung kursieren können? Nach Experten-Vermutungen dürfte die Uraufführung von Las nuebas armas de amor unter der musikalischen Leitung des Hofkapellmeisters Durón bereits um 1703 in einem höfischen Rahmen vor handverlesenem adeligen Publikum stattgefunden haben – vielleicht ja aus Anlass einer Verlobung oder Hochzeit, denn zu solchen Ereignissen setzte man gerne solche Verwirrspiele um Amor in Szene.

Die Madrider Wiederaufnahme von 1711 muss man sich dagegen als großes öffentliches Bühnen-Event mit einiger Anziehungskraft auf ein breites Publikum vorstellen – dass es sieben Tage en-suite gegeben wurde, spricht für sich. Ob die Kunde davon allerdings den Komponisten erreichte, ist fraglich. Denn Jahre zuvor hatte Durón bereits das abrupte Ende seiner bis dahin steil ansteigenden Musikerkarriere erleben müssen. Zwar war er 1700 nach dem Tod Karls II. von dessen Nachfolger, dem Bourbonen Philipp V., zum Maestro der Real Capilla ernannt worden und damit zum ranghöchsten Musiker des Königreiches. Dann aber hatte sich im Spanischen Erbfolgekrieg kurzfristig das Blatt zugunsten von Philipps Herausforderer, dem österreichischen Erzherzog Karl, gewendet, und als der im Begriff stand, nach Madrid einzumarschieren, war ihm Durón mit der Hofkapelle entgegengegangen. Diese öffentliche Bekundung seiner fortwährenden Sympathie für das Haus Habsburg konnte nicht ungesühnt bleiben: Am 16. Dezember 1706 wurde Durón aus den Hofdiensten entlassen und des Landes verwiesen. Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte er in der Nähe von Bayonne im französischen Teil des Baskenlandes im Exil. Dorthin hatte sich auch seine langjährige Gönnerin, die Königinwitwe Maria Anna, zurückgezogen, der Durón jetzt wieder als Musiker zu Diensten stand – zuletzt, bis zu seinem Tod im August 1716, im ehrenvollen geistlichen Rang eines höfischen Groß-Almoseners (Limosnero mayor).


Die heutige Aufführung präsentiert von der Zarzuela Las nuebas armas de amor nur die durch Sebastian Durón in Musik gesetzten Teile. Der Inhalt der weiteren Schauspielhandlung ist im beigefügten Libretto in deutscher Übersetzung angedeutet. Die musikalische Umsetzung durch das Ensemble Nuovo Aspetto dürfte den Aufführungen kurz nach 1700 im Prinzip recht nahe kommen: Die Instrumente begleiten dabei eine Gruppe von Sängerinnen und Sängern der höheren Stimmlagen, die gemeinsam auch den Chor bilden – eine vokale Basspartie hat Durón nach alter spanischer Tradition nicht vorgesehen. Ergänzende Impulse durch Schlaginstrumente dürfen dabei nicht fehlen – nicht zufällig spricht der tänzerische Chor Al Dios de los Dioses in der zweiten Hälfte des ersten Aktes vom lieblichen Klang der Kastagnetten. Gesungen wurde diese Musik seinerzeit von den männlichen und weiblichen Sänger-Schauspielern zweier Theatertruppen, die sich offensichtlich die Spielaufträge bei Hofe wie auch in den beiden öffentlichen Theatern Madrids teilten. Die Zeit, in der man speziell geschulte (italienische) Gesangsvirtuosen engagierte, sollte in Spaniens Hauptstadt erst etwa dreißig Jahre später anbrechen!

In dieser Beziehung sind wir gegenüber den erlauchten Ersthörern von Duróns Zarzuela über die neuen Waffen der Liebe in einem nicht zu unterschätzenden Vorteil: Unsere Sängerinnen und Sänger sind vokale Meister ihres Faches und daher mit der Virtuosität der italienischen Barockoper ebenso vertraut wie mit den farbreichen Nuancierungen der Musik aus Spaniens Goldenem Zeitalter, die in Duróns Tonsprache noch unüberhörbar mitschwingt.

behe

Besetzung/Mitwirkende

CUPIDO, der Liebesgott Amor Terry Wey – Countertenor JUPITER, die höchste Gottheit Franz Vitzthum – Countertenor DIANA, die Göttin der Jagd Hannah Morrison Hannah Morrison – Sopran SIRENA, eine junge Frau NINFA, eine Waldnymphe FINEZA, die Zärtlichkeit Guadalupe Larzabal – Mezzosopran ENARETA, ein (weiblicher) Spaßvogel Adrián Rodriquez Van der Spoel – Tenor SILVIO, ein (männlicher) Spaßvogel Christian Dietz – Tenor NUOVO ASPETTO Mayumi Hirasaki, Frauke Pöhl – Violine Johanna Seitz – spanische Barockharfe Elisabeth Seitz – Salterio Adrián Rodriquez Van der Spoel – Barockgitarre Ulrike Becker – Viola da gamba Wiebke Weidanz – Cembalo Michele Claude – Perkussion Michael Dücker – Theorbe, Barockgitarre und Leitung